Das war also ein ziemlicher Schlamassel, in dem wir da steckten. Herr Schmidt lag kaltschweißig an einen Stuhl gelehnt und stöhnte. Blondie keifte hysterisch und ich bekam schlagartig ein schlechtes Gewissen.
“Äh…” ich deutete auf Herrn Schmidt und gestikulierte wild. Glücklicherweise versteht man sich in der Welt des Rettungsdienst auch ohne Worte, und so konnte das Team meine Gestikulationen problemlos als “macht irgendwas, das hilft” identifizieren. Mit ein paar schnellen Griffen hatten Tim und Phillip Herrn Schmidt ein 12-Kanal-EKG aufgeklebt. An dieser Stelle muss ich noch etwas einfügen. Ich sagte ja, dass die RTW-Besatzung aus DREI Personen bestand, und ich nur den einen, nämlich Tim, kannte. Das war gelogen. Ich kannte sie alle drei mehr oder weniger gut. Sorry, Jungs, ich kann Euch nach dieser Aktion nicht weiter decken. Die anderen beiden, die das sich nun entfaltende Chaos mitzuverschulden hatten, waren nämlich Paul und Erzdaemon (@Erzdaemon). Erzdaemon trat nun vornehmlich dadurch in Erscheinung, dass er sich sofort liebevoll (etwas zu liebevoll für meine Begriffe) um Blondie kümmerte. Paul wühlte im Medikamentenkoffer. Ich betrachtete interessiert den Ausdruck des EKGs.
“Der hebt über der Hinterwand.” stellte ich ungläubig fest.
“Was hebe ich?” fragte Herr Schmidt.
“Ihre Hinterwand.” erklärte ich ihm.
“Warum?” fragte Herr Schmidt ängstlich.
“Weiß ich doch nicht warum, wahrscheinlich lieben Sie fettes Essen und wenig Sport.” Herr Schmidt sah mich irritiert an.
“Sie meint, dass sie möglicherweise einen klitzekleinen Herzinfarkt haben könnten…” Danke Paul. Jetzt griff sich Herr Schmidt nochmals laut stöhnend an die Brust, was sehr zu meinem Ärger das EKG auf dem Monitor verwackelte, ich hatte da nämlich noch was gesehen, was mir nicht gefiel. Blondie keifte trotz Erzdaemons Bemühungen noch lauter. Paul wühlte wieder ungerührt im Medikamentenkoffer, während Tim einen Zugang am rechten Handrücken von Herrn Schmidt etablierte. “Was willst du denn jetzt haben?” fragte Paul etwas ungeduldig.
“Ja, mein Gott, das übliche Herzinfarktschema eben…” brummelte ich.
“ASS, Morphin, Heparin, MST?” fragte Paul und fing schon mal an, Ampullen aufzuziehen, wobei ihm jetzt Phillip half.
“Ja, obwohl, das MST verdient er eigentlich nicht…” sagte ich zu mir selbst. “Soll er doch kotzen.” Phillip hatte mein Selbstgespräch gehört und sah mich tadelnd an. Ich räusperte mich. “Alles bitte, und Sauerstoff.” Das war überflüssig, die Maske hatte Tim ihm schon aufs Gesicht gepappt. Ich blickte wieder auf das EKG. Es zeigten sich vermehrt Extrasystolen und kurze Phasen mit VTs. Herr Schmidt war davon jedoch noch weitestgehend unbeeinträchtigt. Der Druck lag systolisch über 100 mmHg. Ich spritzte nacheinander die Medikamente, die die Jungs mir anreichten. Tim war währenddessen rausgegangen, um für Herrn Schmidt einen Interventionsplatz zu finden. Schließlich sagte ich zu Paul: “Kleb ihm mal die Defi-Elektroden drauf. Mir gefällt der Rhythmus nicht. Nur so zur Sicherheit.”
“Was ist mit meinem Rhythmus?” fragte Herr Schmidt panisch, während Paul unsanft die Elektroden austauschte.
“Och.. alles schick.” sagte Paul und klebte ungerührt weiter.
“Was ist mit seinem Herz! Ich will helfen!” rief Blondie und riss sich von Erzdaemon los. “Ich habe es gebrochen, ich will es heilen!” rief sie theatralisch aus. Ich wollte mich übergeben, aber es schien mir unpassend. Was dann folgte muss uns Paul bei Gelegenheit mal genauer erklären. Mir ist nämlich nicht klar, wie Blondie es schaffte, bei dem von Paul bewachten Defi einen Schock auszulösen. Bei mir klappt das nicht mal, wenn ich es will. Paul? Kläre uns bitte bei Gelegenheit mal auf, wie du dich hast von einem Mädchen überwältigen lassen, und wie Blondie es schaffte, bei diesem hochtechnisierten Gerät die richtigen Knöpfe zu drücken?
Die Situation war folgende. Ich schrie: “Nein!” Phillip schrie: “Nein!” Erzdaemon schrie: “AAAARGH”, weil sich just in dem Moment Ivan II von hinten an ihn herangeschlichen hatte, und jetzt in seinen Haaren saß und auf ihn einschlug. Blondie mag wohl Kampfkatzen. Blondie keifte laut, diesmal, da sie von dem Schock auch was abbekommen hatte. Paul erging es nicht besser, doch der keifte nicht, er hing nur etwas benommen auf Herrn Schmidt. Er ließ sich aber durch ein paar Schläge ins Gesicht schnell wieder einsatzfähig machen. Herr Schmidt? Nun, sicher habt ihr schon mal was von der “vulnerablen Phase” des Herzens gehört. Das ist die Phase, in der man elektrisch ein Kammerflimmern auslösen kann. Der arme Herr Schmidt hatte also Pech. Er sagte jetzt gar nichts mehr.
“Jetzt guck dir an, was du da gemacht hast!” sagte ich vorwurfsvoll zu Blondie und zeigte auf Herrn Schmidt. “Jetzt ist er tot.” Blondie heulte. Phillip sah mich mal wieder tadelnd an. Tim kam gerade zurück uns guckte etwas irritiert. Erzdaemon guckte gar nicht, der kämpfte noch immer lautstark mit der Katze. Paul sah mich auch böse an und fragte: “Wollen wir da nicht vielleicht was machen? Nur so ein Vorschlag.”
“Drücken!” rief Tim. “Schocken.” sagte Paul. Der flimmert ja. “Drücken!” rief Phillip. “Schocken!” rief Erzdaemon, noch immer mit der Katze kämpfend (Respekt an dieser Stelle). Alle sahen mich an. Ich sah sah Herrn Schmidt an und sagte: “Ähhh…” Paul löste währenddessen einfach einen Schock aus. Gebannt sahen wir alle auf den Monitor, aber die Grillparty war noch nicht vorbei. Noch immer Kammerflimmern. “Nochmal.” sagte ich. Paul schockte nochmals. Endlich. Sinusrhythmus.
“So eine Scheiße.” murmelte ich. Dann ging es recht schnell, wir hatten Herrn Schmidt gerade die Maske aufgedrückt und fingen an, geschäftig das Post-Reanimationsprogramm abzuspielen, als Herr Schmidt begann, sich zu wehren. Nach ein paar weiteren Sekunden hatte er sich von Tim freigekämpft, der sehr determiniert war, ihn zu beatmen und rief: “Was ist denn hier los?” Ich war erleichtert. Das war ja gerade noch mal gut gegangen. Ich versteckte den Tubus, den ich schon in der Hand gehalten hatte, hinter meinem Rücken. “Nichts, Herr Schmidt. Alles schick.” Dann machten wir Herrn Schmidt in Windeseile transportklar. Erzdaemon war dabei keine große Hilfe, denn er hatte sich gerade mit viel Mühe von der Katze befreit und streckte Ivan II weit von sich. “Hier!” sagte er zu Blondie. Diese reagierte gar nicht.
“Ich will mit!” sagte sie zu mir.
“Aber nicht bei uns im RTW, dich lass ich nicht mehr in die Nähe von Paul. Äh, Herrn Schmidt.” Sie setzte ihren Dackelblick auf. Phillip ließ sich schließlich erweichen. “Ich nehme sie im NEF mit.”
“Äh, U-Bahn?” fragte ich noch, aber Phillip sah mich schon wieder so tadelnd an.
“Und was ist DAMIT?” Erzdaemon schaltete sich wieder in die Diskussion ein und zeigte bestimmt auf Ivan II.
“Ich kann das arme Tier nicht einfach hier in der Wohnung zurücklassen, ich habe keinen Schlüssel!”
“Kommt nicht in Frage!” rief Phillip. “Ich muss fahren. Nachher springt mir das Ding auch auf den Kopf.”
“Kommt nicht in Frage.” sagte Erzdaemon. “Ich fahre den RTW, das Ding bleibt von mir fern.” Alle sahen mich an. Ich seufzte.
So fuhren wir Herrn Schmidt ins nächste Herzkatheterlabor. Ich mit Pappkarton auf dem Schoß. Und darin? Ivan II. So in der Klinik anzukommen ist einfach würdelos.