öffnen statt einengen

Von Bernhard Jenny @bernhardjenny

ein jahr ist vergangen. weder für die ARGEkultur, noch für die menschen in unserem land, in europa oder anderswo, irgendein jahr. sondern ein jahr der besonderen umstände. ein jahr, in dem wir mit viel unerwartetem konfrontiert waren. ein jahr, das vieles verändert, aber auch so manches – scheinbar zumindest – zementiert hat. wir hatten gerade erst erfahren, wie menschenunwürdig, zusammengepfercht und von einer profitorientierten firma bewacht, menschen, die sich aus krieg, not und elend in sicherheit bringen wollten, in traiskirchen und zeltstädten von den politisch verantwortlichen behandelt werden. da standen plötzlich viel mehr menschen als erwartet direkt vor uns: auf den bahnhöfen, in verschiedenen lagern und notunterkünften, an den grenzen. jetzt waren jene, die wir gerade erst nur in fernsehberichten aus dem balkan und aus ungarn gesehen hatten, wirklich da.

es ist eng geworden. verdammt eng. unsere grenzen, die wir fast schon vergessen hatten, über die sich manche von uns täglich ganz selbstverständlich hin und her bewegten, wurden uns hart und heftig in erinnerung gerufen. europa, das freie, wurde plötzlich wieder zu einem europa der angst und der grenzbalken. ja sogar zaunbesicherte grenzen zerfurchen genau jene landschaft, in der sich bereits eine ganze generation ganz unbekümmert an freie landschaft gewohnt hatte.

es ist eng geworden. verdammt eng. in den „social media“- und online-foren ergreifen zunehmen menschen die gelegenheit, all ihren hass, all ihren frust und ihre wut auf was und wen auch immer rauszukotzen und der community ins gesicht zu schleudern. was bis vor wenigen monaten noch lange nicht „ging“, geht heute locker durch. wir gewöhnen uns bereits an eine welt, in der der hass und ekel vor menschen, vor anderen kulturen, anderen religionen ganz normal zu werden droht.

es ist eng geworden. verdammt eng. denn die politisch verantwortlichen reagierten in vielen fällen auf die neue situation entweder gar nicht, oder völlig daneben. manche waren wohl wirklich überfordert, anderen passte die möglichkeit, härte und unmenschlichkeit als markenstiftende eigenschaften zu verbreiten, wunderbar in den politischen kleinkram. „wir müssen unser land so unattraktiv wie möglich machen“ – wer hätte sich einen solchen claim bis vor kurzem für österreich vorstellen können?

es ist weit aufgegangen. beeindruckend weit. nein, nicht das „tor mit seitenteilen“. sondern die herzen unzähliger menschen, die einfach nicht akzeptieren wollten und konnten, dass es immer enger und enger wird. von den ersten stunden an sind es menschen aus allen gesellschaftlichen bereichen und ebenen, die sich für die unterstützung der menschen engagieren, die zu uns geflüchtet sind.

es ist weit aufgegangen. beeindruckend weit. eine selbstbewusste zivilgesellschaft fragte nicht lang, was erlaubt und legal sei, sondern handelte. versorgung mit essen, kleidung, moralischer unterstützung und ratschlägen für die weiterreise – tausende freiwillige ließen die politisch zaudernden ebenso wie die hassposter*innen einfach liegen und handelten. konkret und für manche alteingesessenen institutionen zu schnell.

es ist weit aufgegangen. beeindruckend weit. ehrfurchtsvoll müssten sich die verantwortlichen vor der grossen schar an freiwilligen und ehrenamtlichen helfer*innen verneigen und ihnen danken, sie müssten von ihnen lernen und das erarbeitete wissen sichern. das wird wohl nur in seltenen fällen passieren. dennoch: hier haben sich menschen getroffen und voneinander gelernt, so manche haben durch die begegnungen sich selbst verändert, vielerorts wurde aus geflüchteten und helfer*innen eine solidarische gemeinschaft.

widerstand gegen die enge. mitten in so dramatischen gesamtgesellschaftlichen entwicklungen muss sich ein gesellschaftskritisches kulturzentrum laufend positionieren. die ARGEkultur sieht sich durch die interdisziplinäre verbindung der kompetenzen als produzentin, veranstalterin und netzwerkpartnerin in einer singulären position für zeitgenössisches kunst- und kulturschaffen im raum salzburg und darüber hinaus. ein haus der kultur kann freiräume austesten, experimente wagen und ratlosigkeiten verarbeiten, kann kreative antworten auf dumpfe verkürzungen und
begreifbare bilder für komplexe unübersichtlichkeiten suchen. dazu braucht es eine ernsthafte und seriöse zusammenarbeit mit kunstschaffenden, mit aufgeschlossenen und kritischen besucher*innen und mit zahlreichen freischaffenden sowie zivilgesellschaftlichen initiativen.

räume öffnen, wenn enge droht. (…) zwischen hassposter*innen und hetzer*innen einerseits und politischer unfähigkeit und zynischem kalkül andererseits muss täglich ein freiraum erarbeitet werden: kultur.

auszug aus dem vorwort zum aktuellen ARGEkultur salzburg tätigkeitsbericht 2015

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 foto: cover tätigkeitsbericht grafik © annette rollny
Schlagwörter: ARGEkultur