Offener Brief an den ARD-Chefredakteur wegen der Ukraine-Berichterstattung

Von Hartstein

“Der Chefredakteur von ARD-aktuell und somit auch der Tagesschau und der Tagesthemen, Dr. Kai Gniffke hat sich am 29. September 2014 um 23:57 auf dem Blog der Tagesschau mit einem kritischen und selbstkritischen Text zu den Vorwürfen des Programmbeirats der ARD und der damit ausgelösten weiteren Diskussion zu Wort gemeldet…Ich antworte auf den Blog-Eintrag von Dr. Kai Gniffke und werde dabei einen konkreten Vorschlag zur genaueren Beobachtung und Bewertung der weiteren Berichterstattung und Kommentierung der Öffentlich-rechtlichen Sender im Allgemeinen und der ARD im Besonderen machen. Albrecht Müller

Sie schreiben:

„Die scheinbare Wiederkehr von Kaltem Krieg und Ost-West-Konflikt scheint aber die Gemüter viel stärker zu bewegen als andere Konflikte.“

Dazu ist anzumerken:

Es ist keine scheinbare Wiederkehr. Siehe die Bedeutung von scheinbar. Die oben erwähnten, früher aktiven Politiker sind in Sorge um ihr verdienstvolles Lebenswerk, weil der Kalte Krieg massiv wiedergekehrt ist. Und weil Versprechen gegenüber den Vertretern der damaligen Sowjetunion und damit auch des heutigen Russlands vom Westen gebrochen worden sind. Darauf gehen Sie in Ihrem Text vernünftigerweise ein.

Die ältere Generation weiß noch, wie der Kalte Krieg aussieht und wie gefährlich er sich zum konkreten militärischen Konflikt ausweiten kann. Es wäre gut, man würde diese Erfahrungen beachten und nicht leichtfertig über die Sorgen hinweggehen. Das geschieht sehr oft in den Sendungen der Öffentlich-rechtlichen Sender (wie der kommerziellen Sender sowieso).

Sie schreiben:

„Wir widersprechen aber ganz energisch den Vorwürfen einer gezielten Desinformation oder beabsichtigten Manipulation von Informationen in der Tagesschau. Wir haben stets nach bestem Wissen und Gewissen sowie sorgfältiger Recherche berichtet. Es gibt keinen Grund, sich für Fehler zu entschuldigen oder in der Berichterstattung nun gar “gegenzusteuern”. …

Vielleicht haben wir die russischen Interessen zu wenig für den deutschen Zuschauer “übersetzt”. Wir hätten evtl. die NATO-Position noch kritischer hinterfragen können.“

Dazu ist anzumerken:

Sie gehen, siehe oben, davon aus, dass Teile der Kritik an der ARD und anderen Medien gesteuert sei, von der Regierung Russlands direkt oder über Public-Relations-Agenturen. Dass das für manche Veröffentlichungen zutrifft, nehme auch ich an. Aber Sie unterstellen, dass es diesen Public Relations-Einfluss von westlicher Seite, also von den USA, der NATO, der Europäischen Union und einzelnen westlichen Regierungen nicht gäbe; Sie nehmen offenbar an, dass es unter Ihren Kolleginnen und Kollegen keine gibt, die offen sind für die gezielte Desinformation und Manipulation von Informationen? Verzeihen Sie, das ist unglaublich blauäugig. Ihre Kolleginnen und Kollegen haben nicht alle nach bestem Wissen und Gewissen sowie nach sorgfältiger Recherche berichtet. Einige sind zu sehr eingebunden in die Beziehungsgeflechte und Netze, die die genannten Einrichtungen und Regierungen geflochten haben.

Vielleicht sollten Sie sich einmal Vorgänger der jetzigen PR-Arbeit und ihren Niederschlag in Berichterstattung und Kommentierung zum Konflikt zwischen Russland und dem Westen anschauen. Lassen Sie sich dazu einfach einmal eine Woche Berichterstattung und Kommentierung zum Kosovo-Krieg von 1999 auf den Bildschirm laden. Dann werden Sie das „evtl.“ in Ihrer Einlassung zur NATO-Position sofort streichen wollen.

Damit bin ich auch noch bei einigen Defiziten der Berichterstattung, der Recherche und der Kommentierung durch die ARD wie auch das ZDF:

  • Sie berichten leider nie – von winzigen Ausnahmen abgesehen – über die Netze und Beziehungsstrukturen zwischen Politik, Publizistik und Wissenschaft.
  • Sie sind ausgesprochen freundlich mit den Positionen und Positionsänderungen der herrschenden Parteien umgegangen. Haben Sie irgendwann die Bundeskanzlerin ernsthaft mit den Sorgen ihres Vorgängers Helmut Kohl konfrontiert? Haben Sie irgendwann den Bundesaußenminister von der SPD und den SPD-Vorsitzenden mit den Einsichten ihrer Partei, der SPD, konfrontiert, die im Berliner Programm von Dezember 1989 festgeschrieben sind, nämlich deren Willen zum Ende der Blockkonfrontation und dem Abbau der Blöcke einschließlich der NATO?
  • Ist irgendwo in den Sendungen der ARD und des ZDF die Politik der Sanktionen konfrontiert worden mit den früheren und nicht veralteten Einsichten, dass man in Konfliktsituationen Vertrauen bilden muss statt die Eskalation anzuheizen? Vertrauensbildende Maßnahmen, Gewaltverzicht, Strukturen gemeinsamer Sicherheit – das sind doch keine vergangenen Erkenntnisse. Wenn Ihre Redaktionen nach bestem Wissen und Gewissen vorgegangen wären, dann hätten sie diese Einsichten zur Debatte gestellt und hätten die heutigen Politiker damit konfrontiert.

Es fehlt bei den öffentlich-rechtlichen der kritische Biss…”

Quelle und gesamter Text: http://www.nachdenkseiten.de/?p=23436#more-23436