Hier nun läuft es anders, von der ersten Minute an. Köhler, gleichbleibend beim ständigen Wechsel seiner Startformation, hat diesmal den ehemaligen Fußballgott Thomas Neubert wieder ins Sturmzentrum gestellt. Lindenhahn und Aydemir bleiben draußen, dafür besetzen die Stürmer Dennis Mast und Angelo Hauk die Außenpositionen und in der Mitte spielt Phillip Schubert für Boltze den zweiten defensiven Mittelfeldmann hinter Pavel David, den Matchwinner des Derbys in Magdeburg.
Auf dem Platz ist einmal mehr Marco Hartmann der Chef, aber er ist heute sehr allein. Angelo Hauk hat seine kurze Karriere als treffsicherer Stoßstürmer schon wieder beendet, er wedelt wieder viel mit den Armen und behauptet keinen Ball. Dass lässt sich vom vielverspotteten Thomas Neubert nicht sagen: Er hat in der ersten Hälfte zwar zwei Dutzend Male Probleme, einen Ball anzunehmen. Einmal aber gelingt es.
Was die vom Saisonverlauf früh ernüchterten Fans auf den Behelfstribünen des Neustädter Alptraumstadions sehen, ist ein Offenbarungseid zum Osterfest. Wie in den bösen alten Tagen, da noch jede kurze Siegesserie mit gnadenloser Unbedingtheit aus eigener Kraft beendet wurde, läuft es hier nach Plan. Hamburg kommt, Halle steht. Nach 35 Minuten spricht die Eckenbilanz Bände: Hamburg fünf, Halle null. Sven Köhler, der seine besten Leute wohl mit Blick auf das Pokalhalbfinale beim unterklassigen SV Landsberg in vier Tagen schont, ist einmal mehr um die Erkenntnis reicher, dass es bei der zweiten Reihe nicht reicht.
Nach 37. Minuten können das auch die sehen, denen es bisher nicht aufgefallen ist: Über Nico Kanitz´ linke Seite trabt Ofuso locker bis in Höhe Elfmeterraum, er zieht zwei, drei Schritte nach innen und schießt in Robben-Manier ins Tor.
Im Grunde könnte jetzt abgepfiffen werden. Die Körpersprache der Hallenser sagt alles über den weiteren Spielverlauf. Da ist nichts, und da kommt nichts. An Thomas Neubert läuft das Spiel ebenso vorbei wie an Angelo Hauk und Phillip Schubert. Telmo Texeira ist ein ständiger Unruheherd in der eigenen Abwehr. Einzig Dennis Mast gelingen ab und an mal Flankenläufe. Seine Flanken aber erreichen entweder niemanden. Oder es ist gar nicht erst jemand mitgelaufen.
Gegen Kiel hatte es bis zur 61. Minute gedauert, bis alles entschieden war. Heute müssen die Fans sieben Minuten länger warten. Dann holt der bis dahin zuverlässige Mouaya einen Hamburger von den Beinen, den Strafstoß verwandelt Kazior sicher. Im Gegenzug keimt noch einmal Hoffnung, als Mast drei, vier Hamburger ausdribbelt und dann ebenfalls im Strafraum gelegt wird. Doch Pavel David schießt den folgenden Elfmeter mit der Wucht eines F-Jugendkickers und der Genauigkeit eines englischen Nationalspielers in die Arme von HSV-Torwart Mickel.
Jetzt wird es leidenschaftlich, jetzt wird es boshaft und gemein. Auf dem Platz spielen die Rotweißen ihrem Anhang Einsatz vor, indem sie Rangeleien mit Hamburgern suchen, bei denen die aus Gründen der Zeitersparnis natürlich gern mitmachen. Auf den Rängen reißt derweil der dünne Firnis der Fußball-Zivilisation. Ältere Männer in Socken, Sandalen und knielangen Hosen schreien "Aua, aua" und die früher üblichen Sätze mit Busch und Dschungel, während grellblondierte Mädchen neben ihnen, die wie gemacht scheinen für einen Karriere bei "Frauentausch", gellend fordern, der Schiedsrichter solle den gerade gefoulten Hamburger doch bitte schön gleich noch ficken.
Dabei gibt es keinerlei Grund für Aufregung, wie Trainer Köhler auf der anderen Seite des Platzes beispielhaft vorlebt. Stoisch steht der Mann in Schwarz da, das Kinn schwer in die Hand gestützt, eventuell ratlos, eventuell aber auch nur am Ende seines Lateins. In den großen Begegnungen mit namhaften Gegnern gelingt es ihm prima, seine Leute zu motivieren. Doch geht es um nichts, geht gar nichts. Es ist - bei zwei noch ausstehenden Begegnungen - so bereits das vierte verlorene Heimspiel in dieser Saison. Im vergangenen Jahr waren insgesamt nur drei verloren worden, im davor sogar nur zwei. Eine Tendenz. Und keine gute.