17.10.2011 – Seit dem vergangenen Wochenende haben zahlreiche Politiker versucht, die Protestbewegung 15. Oktober für sich zu vereinnahmen. Den vorläufigen Höhepunkt erreichte dieses „Occupy the Occupy“ heute mit dem Versuch der Kanzlerin, sich mit der Bewegung zu solidarisieren.
Möglich wird dies vor allem durch die einheitliche Berichterstattung der Medien. Hier wird von einer Bewegung gesprochen, die ihren Weg von den USA aus nach Europa nahm und in der es ausschließlich um die Kritik an der Macht des Bankensystems geht. Dabei ist das, was wir zur Zeit unter dem Schlagwort „Echte Demokratie Jetzt“ erleben weitaus mehr, als nur der bürgerliche Versuch, die Befugnisse der Banken ein wenig zu beschneiden. Es geht hierbei um die Unzufriedenheit und Empörung von immer mehr Menschen, die von den herrschenden Verhältnissen angewidert sind.
Wenn sich jetzt genau diejenigen versuchen an die Spitze der Bewegung zu stellen, denen wir die Misere hauptsächlich zu verdanken haben, dann läuft in der öffentlichen Kommunikation einiges schief. Die Bewegung braucht ein konsensuales Manifest, um Kontur zu gewinnen und klar auszusprechen, für was und gegen was sie eigentlich antritt und um Trittbrettfahrern eine deutliche Absage zu erteilen.
Merkel versteht die Bankengegner und sieht sich in ihrem Kurs bestärkt
Heute um kurz vor 17.00 Uhr konnte man es in der Online-Ausgabe des Stern nachlesen: Angela Merkel äußert „großes Verständnis“ für die Proteste und begrüßt deren Forderungen und Ziele. Regierungssprecher Seibert setzt dem ganzen die Krone auf und sieht in den Aktionen vom Wochenende das „Gerechtigkeitsverlangen“ der Menschen, den internationalen Finanzmärkten Zügel anzulegen und betont, dies sei in Deutschland bereits zum Teil umgesetzt.
Merkel selber sieht sich in ihrem politischen Kurs von der Bewegung sogar gestützt und geht dabei ignorant darüber hinweg, dass sich die Demonstranten, wenn sie nicht gerade vom Bundeskanzleramt oder vom Reichstag weggetragen werden, vor allem auch gegen sie und ihre Politik wenden.
Wenn wir zur Zeit erleben, wie sich Politiker jeder Couleur genau mit der Bewegung solidarisch erklären, die sie eigentlich fürchten müssten, dann ist die Occupy-Bewegung in größter Gefahr, selber okkupiert zu werden.
Möglich wird dies erst durch die Beliebigkeit, mit der sich die Bewegung zur Zeit noch präsentiert. Da sie keine konkreten politischen Ziele benennt sondern in ihrer Entstehungsphase hauptsächlich Unzufriedenheit und Empörung signalisiert, bietet sie dem gesamten Spektrum der Politik-Darsteller eine freundliche Kontaktfläche, an die diese nur anzudocken brauchen.
Der Ausweg aus dieser, sich deutlich abzeichnenden Misere kann nur darin bestehen, dass sich die Bewegung zumindest auf ein Minimum konsensualer Forderungen einigt, um damit klar zu machen, dass sie dem Großkapital, den Herrschenden, den Mächtigen und den Verursachern der herrschenden Verhältnisse keine Heimat bieten will.
Unmissverständliche Forderungen statt kleinschrittiger Bankenkritik
Bei den Protesten handelt es sich um eine Demokratiebewegung und nicht um eine Imitation des Occupy-Wall-Street-Movements. Die Empörung der Menschen beruht auf der Beobachtung, dass in diesem und in anderen Ländern über die Köpfe der Mehrheiten hinweg regiert wird, dass die Regierungen Marionetten der Wirtschaft sind und dass die Umverteilung von Vermögen und Ressourcen von unten nach oben schamloser betrieben wird, als jemals zuvor.
Fasst man die Wünsche und Bedürfnisse der maßgeblich an den Protesten beteiligten Menschen zusammen, dann entsteht ein Manifest, auf dessen Inhalte sich fast alle Teilnehmer, Anhänger und Sympathisanten verständigen können.
Wenn verhindert werden soll, dass die Bewegung jetzt von genau denjenigen, die das Ziel der Proteste sind, vereinnahmt wird, dann muss sie ihre Beliebigkeit ablegen und sich auf eine Liste gemeinsamer Forderungen verständigen, denen sich Politik-Darsteller, Industrielle, Spekulanten, Investoren und Bangster nicht anschließen können, ohne ihr Gesicht zu verlieren.
Bewegung 15. Oktober
Manifest für echte Demokratie, soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Solidarität
Demokratie
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die sich zur Demokratie im Sinne einer direkten Volksherrschaft bekennt, die Aufklärung über Manipulation stellt und in der jede Stimme, ohne Ansehen von Vermögen und sozialem Status, gleich viel zählt.
Frieden
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die sich mit aller Kraft für den Frieden zwischen den Völkern und im Innern einsetzt und in der Krieg und Gewalt geächtet und nicht als Mittel der Politik anerkannt werden.
Meinungsfreiheit
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der jeder seine Meinung ohne Angst vor Verfolgung oder Benachteiligung offen und frei äußern kann.
Toleranz
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der jeder, unabhängig von seiner Herkunft, seiner Religion, seiner Überzeugung, seiner sexuellen Orientierung und seinen körperlichen und geistigen Eigenschaften mit Toleranz, Würde und Verständnis behandelt wird
Solidarität
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die Schwachen, Hilfsbedürftigen und Notleidenden, unabhängig von den Ursachen für ihre Schwäche, ihre Hilfsbedürftigkeit und ihre Not, im eigenen Land und in jedem anderen Land solidarisch und hilfsbereit gegenübersteht.
Wirtschaft
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der sich die Wirtschaft dem Wohl der Menschen unterordnet, in der Besitz untrennbar mit sozialer Verantwortung verbunden ist und in der das Streben nach Glück höher bewertet wird als das Streben nach Gewinn.
Arbeit
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, die sich für gerechte und faire Arbeitsverhältnisse einsetzt, die Menschen in allen Lebenslagen und Altersgruppen Perspektiven bietet und die verhindert, dass die Würde der Arbeit der Profitsucht und Gier Einzelner geopfert wird.
Bildung
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der jeder, unabhängig von seiner Herkunft, seinem sozialen oder finanziellen Status, seinem Alter und seiner Vorbildung Zugang zu allen Bildungsangeboten erhält und sich frei und ohne Einschränkungen mit allen Inhalten beschäftigen kann, die ihm für seine persönliche Entwicklung als sinnvoll erscheinen.
Soziale Sicherheit
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der niemand Angst um seine soziale Sicherheit und seine Versorgung mit Wohnung, Nahrung, Wärme, Kleidung, kultureller und sozialer Teilhabe, medizinischer Versorgung, Bildung, Kommunikation, Genuss und Mobilität hat.
Nachhaltigkeit
Wir wollen in einer Gesellschaft leben, in der alle mit Sorgfalt und Behutsamkeit mit den Menschen, der Natur, der Umwelt und den Ressourcen umgehen.
Hierbei handelt es sich um einen Vorschlag. Jeder, der sich zugehörig zu der Bewegung fühlt, soll den Entwurf prüfen, ihn erweitern, ergänzen und verbreiten, bis er sich zum Konsens entwickelt hat, der den Protesten ein klares Gesicht verleiht und es den Medien und der Politik unmöglich macht, sie für sich und ihre eigenen Ziele zu vereinnahmen und zu missbrauchen.
Empört Euch! Verbündet Euch! Wehrt Euch!