Occupy Sandy

Heute muss ich einmal ein gutes Haar an Occupy lassen – ganz ernsthaft und unironisch. Es hat sich nämlich heraus gestellt, dass es etwas gibt, dass Occupy sehr viel besser kann als Kapitalismuskritik. Und das ist – Katastrophenhilfe. Mit Occupy Sandy hat sich ein Netzwerk gebildet, das den vom Wirbelsturm Sandy geschädigten Menschen an der US-amerikanischen Ostküste unbürokratisch und effektiv hilft. Während die staatlichen Katastrophenhelfer an eher repräsentativen Orten mit dem Aufräumen beschäftigt sind und dafür sorgen, dass die Finanzzentren in Manhattan wieder brummen, warten die Leute in den als weniger wichtig kategorisierten Randgebieten weiterhin auf Hilfe aller Art: Noch immer sind viele Haushalte ohne Strom, ohne Heizung, ohne fließend Wasser. Eigentlich fehlt es an allem, obwohl die hilfsbereiten US-Amerikaner alles mögliche spenden: Kartons mit Kleidung, Konserven, Putzmitteln oder Klopapier stapeln sich in den Kirchen, denn der Glaube spielt in den USA eine große Rolle. Aber der Herr verteilt die Sachen nicht, das müssen Menschen machen. Und hier zeigt sich, dass die gut vernetzten Leute von Occupy das sehr gut können.

Rettungsschirme für Menschen

Rettungsschirme für Menschen – Occupy Sandy ist gerade dabei, diese Forderung praktisch umzusetzen.

Während die etablierten Hilfsorganisation wie das rote Kreuz gar nicht wissen, was sie mit den ganzen freiwilligen Helfern machen sollen, die sich bei ihnen melden, kann Occupy jeden gebrauchen. Die meist sehr jungen Aktivisten nutzen ihre Kommunikationsmittel für die Koordination: Das mobile Internet, die Occupy-Homepage, Twitter und Facebook. Überall in der Stadt sind sie im Einsatz und wissen, was wo gebraucht wird: In der Clinton Street 520 wird dringend Infusionsflüssigkeit benötigt oder der Treffpunkt für die Teams die Häuser in Rockaway ausräumen wollen ist morgen früh um 8 Uhr dort und dort, bitte Gummistiefel mitbringen.

Von staatlichen Katastrophenhelfern von der FEMA oder der Nationalgarde ist auch Wochen nach dem Sturm noch immer nichts zu sehen. Privatleute haben provisorische Ausgabestellen eingerichtet, wo sich diejenigen, die alles verloren haben, Babynahrung, Windeln, Konserven oder Schaufeln abholen können, ebenfalls alles Spenden. Occupy hat einen Free Store eingerichtet, in dem der Bedarf kontinuierlich mitgeteilt wird: Bitte keine Kleider mehr, brauchen dringend Wasserpumpen und Schläuche. Auch Arbeitshandschuhe und Müllsäcke werden benötigt.

Ein großer Vorteil der Occupy-Leute ist, dass sie es gewöhnt sind, sich dezentral zu organisieren: Sie warten nicht, bis ihnen jemand sagt, was zu tun ist. Sie sehen einfach, wo was zu tun ist und packen einfach an. Diejenigen, die schon länger dabei sind, weisen die neuen ein, freundlich und pragmatisch. Sich gegenseitig zu helfen sei schließlich das, wofür Occupy stehe.

Natürlich finde ich dieses Engagement großartig und vor allem werden es die Leute, denen damit tatsächlich geholfen wird, das noch großartiger finden. Es zeigt aber einmal mehr auf, wie schlecht die staatliche Katastrophenhilfe im angeblich reichsten Land der Welt funktioniert. Der Staat überlässt es nach den Gesetzen des freien Marktes seinen Bürgern, sich um sich selbst zu kümmern.

Auf diese Weise hat auch bei Katrina die staatliche Katastrophenhilfe genau nicht funktioniert: Der freie Markt regelt das nämlich nicht. Während die USA logistische Wunderleistungen vollbringen können, wenn es um Militäreinsätze im Ausland geht, kriegen sie es nicht auf die Reihe, eine relativ kleine Großstadt im Süden ihres Staatsgebietes zu evakuieren. Die Katastrophenhilfe vor sieben Jahren in News Orleans bestand in erster Linie darin, dass die Polizei vor dem Hurrikan durch die Straßen fuhr und die Leute aufforderte, die Stadt zu verlassen. Denn die völlig zutreffende Befürchtung war, dass die Dämme dem gigantischen Sturm nicht standhalten würden und das unter dem Meeresspiegel liegende Stadtgebiet in einer mehrere Meter hohen dreckigen Flut absaufen würde. Was dann tatsächlich auch geschah.

Wer es sich leisten konnte, verließ New Orleans. Aber diejenigen, die kein Auto bzw. kein Geld für Benzin hatten oder sich kein Bus- oder Bahnticket kaufen konnten, diejenigen, die niemanden außerhalb der Stadt kannten, zu dem sie hätten fliehen können, blieben zurück. Also genau diejenigen, die am dringendsten Hilfe benötigten, bekamen keine: Die Bewohner der Armenviertel, die Alten, die Kranken. Entsprechend waren unter ihnen die meisten der etwa 1.800 Opfer des Hurrikans und der nachfolgenden Flutkatastrophe zu beklagen.

Hierzu gibt es zwei erhellende Texte im Gegenstandpunkt – vielen Dank an KHM für die Links:

Wie die freie Marktwirtschaft in New Orleans wieder einmal funktioniert hat

Wie Amerika seine Katastrophen bewältigt


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