Occupy ist schon besetzt

Banken besetzen, im Park zelten, laut protestieren – was dem guten Bürger vor nicht allzu langer Zeit noch anstößig erschien, gilt nun als konform: Die Occupy-Bewegung wird selbst besetzt. Dazu gibt es einen gar nicht mal so schlechten Kommentar auf tagesschau.de. Zumindest, was die Analyse der Situation betrifft. Die Angst, dass das wachsende Misstrauen der Menschen am Fundament „unserer“ Demokratie explodieren könnte, teile ich nicht. Denn die Occupy-Leute betonen ja immer wieder, wie sehr sie auf dem Fundament unserer Demokratie stehen.

In einem der zentralen Manifeste dieser Bewegung heißt es „wir sind nicht gegen das System, das System ist gegen uns“. So mag es sich anfühlen, aber das ist ein Irrtum. Das System ist nicht für die Menschen da, und deshalb lohnt es sich absolut, gegen das System zu sein. Das System ist nämlich immer gegen einen. Es ist wirklich schade, dass diese ganzen Proteste ins Leere laufen werden, weil sich die Protestierenden nicht klar machen, dass sie nicht gegen die „irren Auswüchse“ des Systems kämpfen müssen, sondern gegen das System an sich. Kapitalismus ist per se nicht menschenfreundlich.

Und so ausdrücklich ich den Ost-Pastor Joachim Gauck nicht leiden kann, so muss ich ihm doch zustimmen, wenn er sagt, dass er diese ganze Occupy-Geschichte (nein, ich schreib jetzt nicht „Antikapitalismus-Debatte“ , denn sie ist leider gar nicht antikapitalistisch) für „unsäglich albern“ hält. Gauck hält sie für albern, er weil den Markt und damit eine kapitalistische Weltordnung für eine Art Naturgesetz hält. Auch interessant. Für ihn ist die Vorstellung einer Welt ohne die Bindung an Märkte eine romantische Spinnerei. Da sollte der Pastor seine Bibel noch mal lesen. Da steht nicht drin, dass der Mensch an Märkte gebunden sei. Im Gegenteil, den Geldverleihern, den Wucherern, den Zöllnern geht’s an den Kragen. Und Jesus kann Geldverleiher auch nicht leiden, der prügelt dieses Pack sogar aus dem Tempel seines Vaters, weil er diese ganze Geschäftemacherei widerlich findet.

Aber geschenkt, ich will hier keine Werbung für eine Religion machen, die ich für überholt halte. Ich wundere mich nur über Pastor Gauck. Ach, was heißt wundern. So einer wie der kann wohl nicht anders. Bin ich froh, dass der nicht Bundespräsident geworden ist. Nicht, weil ich Köhler oder Wulf besser fände. Aber Gauck ist noch verlogener. Was bei der Konkurrenz schon bemerkenswert ist. Obwohl, wen interessiert das. Was geht mich dieser ganze Staatszirkus an?

Der Punkt, auf den ich eigentlich hinaus will, ist der: Solange diese ganze Occupy-Bewegung nur die Auswüchse des Systems kritisiert, und nicht das System an sich, solange ist sie keinen Pfifferling wert. Der Kapitalismus muss nun wirklich nicht gerettet werden. Das Irre jedoch ist: Er wird gar erst nicht infrage gestellt!

Nein, die Leute auf der Straße wollen, dass Geld „wieder in den Dienst der Menschen gestellt wird“ – als ob es jemals ein dienstbares Ding gewesen wäre. Fataler Irrtum: Der arbeitende Mensch ist das Produktionsmittel. Der Mensch dient der Vermehrung des Geldes, und nicht das Geld der Vermehrung der Menschen. Deshalb werden die Verhältnisse so eingerichtet, dass der Großteil der Menschheit gezwungen ist, zu arbeiten, um zu überleben. Das war schon immer so, und das wird immer so bleiben. Es sei denn, es gäbe endlich mal eine Generation von Menschen, die intelligent genug wäre, das zu erkennen und mutig genug, die Konsequenzen zu ergreifen: Weg mit dem Geld. Aufhören mit dem Wahnsinn, für den Markt zu produzieren und nicht für die Menschen.

Diese Produktionsweise hat die Menschen lange genug unglücklich gemacht und versklavt. Aber das hat nicht Gott so eingerichtet, sondern der Mensch. Die Menschen haben auch lange geglaubt, dass die Erde eine Scheibe sei. Trotzdem ist inzwischen anerkannt, dass sie eine (wenn auch nicht perfekte) Kugel ist. Und dass sie sich um die Sonne dreht, und nicht die Sonne um die Erde. Menschen wurden verbrannt, weil sie diese Tatsachen herausgefunden hatten, während eine übermächtige Mehrheit noch an die Scheibenwelt und eine über den Himmel wandernde Sonne glauben wollten. Und was es sonst noch so gibt, woran sie glauben wollen. An irgendwelche göttliche Ordnungen glauben ja noch immer erstaunlich viele Menschen – und die sind oft auch überzeugt, dass ihr Gott der richtige ist, obwohl das angesichts der Tatsache, wie viele einzige und wahre Götter es dann geben müsste, völlig absurd ist.

Der Kapitalismus samt Markt ist ebensowenig Naturgesetz wie die göttliche Ordnung, die die Erde ins früher Zentrum allen Denkens gestellt hat. Ich finde es unsäglich albern, weiterhin an das Gute im Kapitalismus glauben zu wollen. Die Welt dreht sich nicht ums Weltfinanzsystem. Es gibt so vieles, was sehr viel dringender gerettet werden müsste.



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