Heimat, das ist ja vor allem in letzter Zeit, dank dem ganzen Schwachsinn von Pegida und der CSU-Offensive, Migrationsmitbürger, mögen doch bitte nur noch Deutsch sprechen, ein bisschen ein dreckiges Wort.
Überhaupt ist es vor allem unter vermeintlichen intellektuellen Menschen ein ziemlich uncooler Begriff. Benutzt man ihn, wird man belächelt, ja gar ausgelacht. Und trotzdem stolpert man immer wieder darüber, wenn mal wieder ein neuer „Heimat“-Roman erscheint, die vermeintliche Renaissance des „Heimat“-Films ausgerufen wird. Man beachte allerdings die Anführungsstriche. Ohne die kleinen Ironiehäkchen darf man ja solche Begriffe („Liebe“ ist auch so ein Wort) nicht mehr verwenden heutzutage. Zu schnell wird man sonst in die rechtskonservative Ecke gestellt.
Menschen mit komischen Namen, wie ich, oder mit dunkler Haut und dunklen Haaren bekommen solche Begriffe aber auch gern mal ganz ironiefrei an den Kopf geworfen. „Ah, fahren Sie in die Heimat über die Feiertage?“, fragte mich mal eine wohlwollende Dame am Schalter, als ich vor Jahren mal ein Busticket nach Prag über Silvester kaufte. Ich lächelte artig und erklärte, nein, ich wolle nur mit meinem Freund ein paar Tage Urlaub machen.
Völlig ironiefrei beschäftigt sich dieser Tage auch das DB-Magazin Mobil mit dem Thema und befragt diverse Autoren, Künstler und Promis zu ihrem Heimatbegriff. Eine Freundin brachte mir das Blatt mit und wies mich auf den Text von Fatih Akin hin. „Ich hab viel an dich gedacht dabei“, sagt sie. „Heimat sei ein Zustand im Kopf“, sagt Fatih Akin, der selbst durch und durch Hamburger (um genau zu sein, Ottenser) ist.
Kürzlich bekam ich auch ein Buch geschenkt von einem Freund, der selbst vor nicht allzu langer Zeit nach Hamburg gezogen ist. Vorn aufs Vorsatzblatt schrieb er mir eine Widmung, die mir fast die Tränen in die Augen trieb: „Weil Du Hamburg zum Zuhause machst.“
Mit anderen Worten, der Heimatbegriff hat sich in den letzten Tagen und Wochen mal wieder in mein Bewusstsein geschlichen und ich mache mir Gedanken darüber. Hat auch mit meiner letzten Reise zu tun, auf der ich mich zum 1000sten Mal gefragt hab, „verdammte Scheiße, wie kann man sich bloß an so unterschiedlichen Ecken dieser Welt gleichermaßen derart zu Hause fühlen?“ Das ist nämlich ehrlich gesagt ganz schön anstrengend mitunter.
Als ich vor ziemlich genau einem Jahr nach Hamburg zurück gezogen bin, war das so ziemlich der schönste Tag meines Lebens. Mein Zuhause hatte mich wieder, und ich mein Zuhause. Für mich war und ist das was sehr Besonderes, einen solchen Ort gefunden hat, der so viel Raum in meinem Herzen erobert hat, dass ich ihn wohl nie mehr freiwillig verlassen werde. Zumindest nicht für länger. Und dann komme ich aber wieder nach Kairo, oder wie im Frühjahr nach Jeddah, und fühle mich genauso wohl, will genauso wenig weg und habe Heimweh und große Sehnsucht, sobald ich im Flieger sitze. Wohin und in welche Richtung, das weiß ich dann immer gar nicht so genau. Nur, dass ich dann immer schrecklich durcheinander bin und tagelang herum laufe wie Falschgeld, im Versuch, mich zu sortieren.
Wenn ich aufzählen sollte, was „Heimat“ oder „Zuhause“ für mich ist – dann fallen mir so viele verschiedene Dinge ein – die Hafenkräne gegenüber der Landungsbrücke 10 mit all den Möwen und Schiffen, das Wohnzimmer meiner Tante in Jeddah mit dem ganzen Lärm einer riesigen Verwandtschaft, der Midan Tahrir in Kairo mit all seinem Smog und 24-Stunden-Stau. Und wenn all diese Bilder sich vermischen, sich überlagern, einander in die Quere kommen, dann ist „Zuhause“ das stundenlange Telefonat mit meinem besten Freund, der mich immer auffangen, einloten und beruhigen kann.
Und wenn ich in der Zeitung von Nazi-Aufmärschen in Köln oder von Steinigungen in Saudi Arabien oder großflächigen Verhaftungen in Ägypten lese, dann fällt mir auch wieder ein, dass „Heimat“ eben nicht nur schön und gut ist, sondern eben auch weh tut und Dinge anstellt, mit denen man ganz und gar nicht einverstanden ist.
„Heimat im Kopf“ finde ich deshalb auch schwierig. In meinem Kopf mischen sich da zu viele Dinge, werden zum Nebel über der Elbe oder eben dem Smog über dem Nil. Heimat, denke ich dann, sollte was Klare sein, ein klares Gefühl. Wie Liebe. Andererseits – wie klar ist man sich schon manchmal in diesen großen, komplexen Dingen wie Liebe. Oder eben Heimat.
Dann halte ich es lieber mit meinem Freund Rudi, der mir diese herrliche Widmung geschrieben hat, und denke, Heimat, das ist wohl die glückliche Kombination aus einem Ort und einer Handvoll Menschen, in der einem sowohl das eine wie das andere gleichermaßen am Herzen liegt. Und glücklich ist, wer das wenigstens einmal in seinem Leben erleben darf. Ich selbst, so denke ich inzwischen, nachdem sich die Unruhe und der Nebel über Heimatlosigkeitsgefühl und Zerrissenheit mal wieder gelegt hat, habe noch viel mehr Glück – ich habe viele Heimaten, mindestens drei bis vier Orte, an denen ich Menschen und Dinge finde, die mir ein Zuhausegefühl geben. Und wo ich auch einfach mal bleiben könnte. Oder hin zurückkehren kann. Das ist es wohl – Heimat ist da, wo man immer wieder gern hin zurück kommt …
Jetzt an Weihnachten ist Zuhause dann auch wieder Mamas Nussecken, Peter Alexanders Weihnachtsalbum und jede Menge Sekt mit meinen Cousinen. Im Januar ist es dann wieder mein Hafen mit seinen Kränen, und im Februar … wer weiß…
Liebe Leute – ich sage euch also: Bitte legt die Menschen nicht so fest mit diesem „Heimat“-Dings. Gerade wir, die wir komische Namen oder ein anderes Aussehen haben, wir brauchen eben manchmal mehr als nur einen Ort, mehr als nur eine Sprache, mehr als nur einen Schlag Mensch. Und dafür brauchen wir gefälligst weder ein Deutsch-Gebot noch Integrationspolizei!
Zum Schluss noch ein „Heimat“-Lied, ganz ohne Ironie, von der tollen, tollen Anna Depenbusch. Heimat ist halt nicht einfach. Wie Liebe. Hört man ja.
In diesem Sinne – Frohe Weihnachten! Am besten mit einer Portion Heimatfilme!!