Nur Platzhalter

Von Tkonicz

“Junge Welt”, 20.10.2011
Präsidentschaftswahlen in Bulgarien: Kandidat der regierenden GERB mit Konkurrenz aus der eigenen Partei

Die Stadtverwaltung der bulgarischen Hauptstadt Sofia hat für den kommenden Sonntag ein Alkoholverbot verhängt. So soll die erste Runde der bulgarischen Präsidentschaftswahl zu einer nüchternen Angelegenheit werden. Möglicherweise wird die Abstimmung auf diese Weise im scharfen Kontrast zu den Exzessen des Wahlkampfes stehen, der von Schlammschlachten, Manipulationsvorwürfen und pogromartigen Ausschreitungen gegen die Minderheit der Roma überschattet wurde.
Die OSZE warnte kürzlich vor Fälschungen des Wahlergebnisses, die durch großangelegten Stimmenkauf und Manipulationen während der Auszählung möglich wären. Laut der bulgarischen Zeitung Dnevik sollen zehn bis 15 Prozent aller Eintragungen auf den bulgarischen Wählerlisten aus sogenannten toten Seelen bestehen – Namen von nichtexistenten Bürgern, die bei Wahlmanipulationen benutzt werden könnten. Zudem haben insbesondere die bulgarischen Rechtsextremisten von den rassistischen Ausschreitungen Ende September zu profitieren versucht, bei denen Roma-Siedlungen in mehreren bulgarischen Städten angegriffen wurden

Schließlich kann eine einseitige Wahlkampfberichterstattung zugunsten der regierenden GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) konstatiert werden. Einer Studie des Zentrums für soziale Integration zufolge sollen Politiker der GERB die Berichterstattung im Fernsehen und in landesweiten Printmedien im September und Oktober dominiert haben, während über etliche Oppositionskandidaten eine regelrechte Medienblockade verhängt wurde.

Dennoch schrumpfte in den letzten Tagen der zuvor komfortable Vorsprung des Präsidentschaftskandidaten der GERB, Rosen Plewneliew, der nun aller Voraussicht nach die absolute Mehrheit verfehlen und in einer Stichwahl gegen seinen sozialdemokratischen Herausforderer Iwajlo Kalfin antreten wird. Plewneliews Wahlkampf leidet unter dem großen Ego des GERB-Vorsitzenden und Ministerpräsidenten Boyko Borisow, der zuletzt wiederholt erklärt hatte, künftig selbst für das höchste Staatsamt kandidieren zu wollen, so daß Plewneliew derzeit einem Platzhalter für den »starken Mann« der GERB gleicht.

Die Wahl eines sozialdemokratischen Staatschefs käme nicht unbedingt einem Linksruck in Bulgarien gleich. Der studierte Ökonom Ivaylo Kalafin gibt sich im Wahlkampf besonders wirtschaftsfreundlich; er mahnt ein besseres Investitionsklima in Bulgarien an und fordert den Staat auf, mehr »Freiheiten und Möglichkeiten für Investoren« zu schaffen. Zu diesem erfolgreichen Schlußspurt des »Sozialisten« Kalafin trug hingegen die Wahl des populären Fernsehstars Stefan Danailow als Vizepräsidentschaftskandidat genauso bei wie ein Bestechungsskandal innerhalb der GERB, in dem ausgerechnet der Wahlkampfleiter von Plewneliew verstrickt ist.

Nahezu chancenlos bei dem derzeitigen Präsidentschaftsrennen ist die unabhängige Kandidatin und ehemalige EU-Kommissarin Meglena Kunewa, die auf knapp zweistellige Umfragewerte kommt und für eine möglichst rasche Weiterführung der EU-Integration Bulgariens eintritt.

Seine Träume von einer Präsidentschaft kann auch Wolen Siderow, Führer der rechtsextremen Partei Ataka, begraben. Die bulgarischen Neofaschisten konnten bei der letzten Parlamentswahl 2009 rund 9,4 Prozent der Wählerstimmer erringen und bilden eine wichtige Stütze der rechten GERB-Regierung, die sie im Parlament tolerieren. Derzeit würden laut Prognosen rund drei Prozent der Wähler für Siderow stimmen.

Somit ist die skrupellose rassistische Kampagne gescheitert, mit der Ataka die Ende September in Bulga­rien ausgebrochenen ethnischen Unruhen zu instrumentalisieren hoffte. Nach dem Unfalltod eines Jugendlichen im Dorf Katunitsa, der durch ein Mitglied eines Roma-Klans verursacht worden sein soll, fanden über mehrere Tage Brandschatzungen und Übergriffe gegen Roma in mehreren Ortschaften statt. In Wahlkampfmaterial und bei Ansprachen warnte Siderow fortan vor der »Zigeunerisierung Bulgariens« und behauptete, die »Zigeunerkriminalität« stelle eine »Bedrohung für den bulgarischen Staat« dar. Ende September erhob Siderow auch den Anspruch auf die Besetzung des Postens des Innenministers durch seine Partei, die bislang die GERB-Regierung lediglich tolerierte: »Wir haben dafür sehr gut vorbereitete Leute. Ich denke tatsächlich, daß sie es uns schuldig sind, nach zwei Jahren selbstloser Unterstützung.«