Ich veröffentliche hier den Kommentar von Uwe Lehnert, den er bei evangelisch.de hinterließ, als eigenen Artikel:
Die katholische Kirche in Deutschland hat am zweiten Weihnachtstag der Opfer der weltweiten Christenverfolgung gedacht und einen stärkeren Schutz der Religionsfreiheit gefordert.
Sich für Verfolgte einzusetzen, ist immer aller Ehren wert und kann nur unterstützt werden, moralisch wie materiell. Dennoch kommt ein sehr schales Gefühl auf, wenn gerade die (katholische) Kirche die Verfolgung ihrer Anhänger im Ausland beklagt und lauthals Religionsfreiheit einfordert. Religionsfreiheit ist in Deutschland formal garantiert, faktisch durch das kirchliche Arbeitsrecht aber in erheblichem Maße außer Kraft gesetzt. Im Grundgesetz Artikel 3, Absatz 3 heißt es zwar: »Niemand darf wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.« Dieser Artikel ist bezüglich der Religion in Deutschland bei Arbeitsplatzfragen Makulatur – dank des Artikels 140, Unterartikel 137 (WV) (Übergangsbestimmung!), in dem der Kirche ein Selbstverwaltungsrecht eingeräumt wird. Die Kollision dieser beiden sich widersprechenden Artikel wird durch höchstrichterliche Rechtsprechung regelmäßig zugunsten der Kirchen interpretiert. Auch das selbstherrliche Umwandeln des Selbstverwaltungsrechts durch die Kirchen in ein umfassend kompetenzerweiterndes Selbstbestimmungsrecht ist nachträglich durch das kirchennahe Bundesverfassungsgericht »abgesegnet« worden.
Praktisch ergeben sich daraus folgende Konsequenzen: Eine Erzieherin, obwohl fachlich geeignet, bekommt die Stelle in einer konfessionellen Kindertagesstätte nicht, wenn sie der Kirche nicht angehört. Ein Gärtner, eine Putzfrau, ein Hausmeister, obwohl mit einem Verkündigungsauftrag in keiner Weise befasst, werden nicht eingestellt, wenn sie sich als nicht gläubig im Sinne der christlichen Kirche bezeichnen. Der leitende Arzt eines konfessionellen Krankenhauses wird fristlos entlassen, wenn er sich inzwischen als konfessionslos betrachtet. Dabei werden alle diese Einrichtungen praktisch zu 100% aus Mitteln des Staates und der Sozialkassen bezahlt.
Etwa die Hälfte der Stellen eines Arztes, Altenpflegers, Sozialpädagogen oder Kindergärtners sind heute unter kirchlicher Regie. Die Kirche ist mit 1,3 Mill. Beschäftigten, vor allem durch Caritas und Diakonie, der zweitgrößte Arbeitgeber. In manchen Gebieten Deutschlands, z.B. in Nordrhein-Westfalen oder in Teilen Ostdeutschlands, hat sie ein Quasimonopol inne. Sie kann damit die Kirchenmitgliedschaft eines Arbeitsplatzsuchenden regelrecht erpressen, womit sie auch in ungezählten Fällen Erfolg hat. Diese Situation ist nur vergleichbar mit jener, in der sich Menschen in den nationalsozialistischen oder kommunistischen Diktaturen befanden, in der sie ohne Parteimitgliedschaft wenig oder keine Chancen auf höherwertige Arbeitsplätze hatten, oft genug überhaupt keine Arbeit bekamen.
Die Kirche ist die erste Institution nach dem Krieg, die ganz offiziell und gesetzlich gedeckt wieder sagen darf: »Juden raus« So ungeheuerlich diese Behauptung klingen mag, tatsächlich ist es so, dass ein Mitarbeiter, der zuvor der Kirche angehörte und zum Judentum überwechselt, laut Arbeitsvertrag damit seine Entlassung auslöst, z.B. aus einem zwar staatlich finanzierten und unter dem theoretischen Schutz des Grundgesetzes stehenden, aber kirchlich verwalteten Krankenhaus. Inoffizielle Informationszuträger – man ist wieder an die jüngste Vergangenheit erinnert – sorgen dafür, dass selbst Informationen aus dem Intimbereich (z.B. neben Glaubensangelegenheiten auch sexuelle Orientierungen) der jeweiligen Arbeitsstelle bekannt werden und als Entlassungsgrund auch von den Gerichten aufgrund der Gesetzeslage anerkannt werden. Erst in letzter Zeit besinnen sich einzelne Landesarbeitsgerichte und erinnern sich an verfassungsrechtlich verbürgte Menschenrechte, zu denen eigentlich auch in Deutschland die Religionsfreiheit gehören sollte. Auch dafür sollte Herr Zollitsch sich betend einsetzen.