Nur einer seiner Klasse

Der ehemalige Bundespräsident, so weiß der ehemalige Bundeskanzler, habe die gesamte politische Klasse beschädigt. Klingt dramatisch. Dabei täuscht er sich allerdings. So etwas wie eine politische Klasse gibt es nämlich gar nicht - es gibt nur politisches Mittelmaß. Ach, er meint Klasse anders? Er meint Gruppierungen, die sich nach bestimmten Merkmalen zusammensetzen? Soziologisch gemeinte Klasse demnach? Nicht Klassifizierung? Einerlei, denn klassifiziert ist es auch, wenn man es soziologisch meint, denn die politische Klasse ist eine Gruppierung, die sich durch das Merkmal Mittelmaß als Klasse definiert.

Symptom, nicht einzigartiger Günstling

Die Galionsfigur der politischen Kaste ist nun abmontiert. Damit aber nicht die besorgniserregende Nähe der Politik zur Wirtschaft - Wulff war nur ein besonders blauäugiges Symptom. Nicht aber einzigartig in seiner Unbedarftheit, sich als Person, die im Sinne des Allgemeinwohls zu handeln hätte, bei vermögenden Unternehmern anzubiedern, die am Allgemeinwohl wenig Spaß haben. Dabei ist es nicht Wulffs Verdienst alleine, das Wort Allgemeinwohl mit "Im Allgemeinen geht es mir ganz wohl" zu übersetzen. Freundschaftliche Zuwendungen gaben schon Hoteliers oder Versicherer an die Politik weiter - da meist in Parteikassen, was als Unterschied betrachtet wird. Die Resultate solcher Günstlingszuwendungen in die Kassen der Parteien waren allerdings viel schlimmer, denn die Nähe des großen Geldes zur Parteikasse hat manche Reform zugunsten der spendablen Herrschaften, zuungunsten des Allgemeinwohls bewirkt. Man denke nur an die Riester-Rente oder an den verkleinerten Mehrwertsteuersatz für das horizontale Gewerbe - also an jenes, das Übernachtungen samt Frühstück feilbietet.

Kein Nestbeschmutzer - nur einer seines Milieus

Die anderen machen es ja auch! Das ist fürwahr keine Entschuldigung. So dürfte man auch morden - andere machen das doch auch! Was der Politik nur so stinkt, was der ehemalige paffende Bundeskanzler-Götzenschnitzkopf meint, ist doch etwas ganz anderes. Der Mann (Wulff) war noch gut zehn Jahre zu jung für das Amt - man braucht mehr Erfahrung, mehr erworbene Gewieftheit, wie man das Zugesteckte besser versteckt, vergräbt, aus dem Blickfeld schafft, journalistensicher verschnürt. Er hätte noch etwas länger üben sollen. Erwischt geworden zu sein: das ist die Beschädigung, die man meint. Was sollte auch sonst gemeint sein? Der rauchende Alt-Altbundeskanzler schwadroniert um die Würde eines Berufsstandes, die es gar nicht gibt - nicht in einer marktkonformen Demokratie mit marktkonformen Parlamentariern, die marktkonforme Visionen hegen. In so einer Republik ist Wulff kein Nestbeschmutzer, sondern nur ein Exemplar seines Milieus.

Gewusst haben es alle - jeder kennt seinen örtlichen Bürgermeister und schon der verhält sich, wie es der Bundespräsident tat. Dort ein Anruf beim Lokalredakteuer: Anschiss, weil etwas geschrieben werden könnte, was schadet - dann Einladung zum Schwager, der einen Auftrag der öffentlichen Hand erhielt - das Tiefbauunternehmen eines Schulfreundes gießt vergünstigt das Fundament seines privaten Häuschens - und abends kostenfreies Fressen und Saufen auf dem Volksfest, der Dank des Festwirtes, abermals den Ausschank lizenziert bekommen zu haben. Gratifikationen hier, Vorzüge dort, immer nahe am wirtschaftlichen Puls der Region. Nur die Journalisten haben diese Regionalschmarotzer besser im Griff als weiland Wulff. Das kann die politische Kaste ihm nicht verzeihen - fast hätte er sie alle verraten... wenn man es insgeheim nicht eh schon ahnte.


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