Nur eine entspanntere Form von Arbeitszeit

oder Für Unternehmen ist Freizeit nur Arbeitszeit, die fruchtbar gemacht werden muss.
Neulich berichtete der hessische Systemfunk vom Teambuilding. Im Extremfall - was Idealfall wäre! - würden hierbei die Belegschaften von Firmen zur Stärkung ihrer Teambelastbarkeit am Hochseil balancieren oder Steilwände emporklettern. Die "Expertin" für Arbeitswelt des hessischen Rundfunks beurteilte diese Extreme zwar zwiespältig. Aber wenn man regelmäßig mit den Kollegen sein Privatleben teilte, so beratschlagte sie ins Land hinaus, würde das die Teamfähigkeit immens steigern. Es reichten ja auch weniger extreme regelmäßige Unternehmungen. Man könne ja auch regelmäßig seine Abende miteinander verbringen oder so.

Nur eine entspanntere Form von Arbeitszeit

Kollegialität auch außerhalb der Arbeitszeit fördert die Produktivität.
Szene aus Moderne Zeiten

Nun könnte man mit den Schultern zucken und behaupten, dass in der vor- bis hin zur frühkapitalistischen Zeit, die Sphären von Arbeitszeit und Freizeit miteinander verquickt waren. Mit dieser neuen Form der Zusammenlegung kann dieses ursprüngliche Lebenskonzept, in dem das Familiäre am Puls der Arbeit lag, jedoch nicht verglichen werden. Die auf Effizienz getrimmte Lebens- und Berufsberatung, die sich unter dem Label von Work-Life-Balance sammelt, betreibt eine ganz andere Form der Zusammenlegung. Eine, die das Private nicht als gleichrangig erachtet, sondern als Ausgangsbasis für den Beruf. Familie ist für diese Lehre im optimalen Falle nicht mehr als ein Stimmungsstabilisierer. Sie hat die Laune für die Karriere zu heben - oder ist im gegenteiligen Fall nichts anderes als ein Hemmnis.
Mit der Work-Life-Balance, nach der man in seiner Freizeit mit Kollegen nur deshalb etwas unternehmen sollte, um damit dem Unternehmen zu dienen, um als Team zu wachsen, greift man nicht auf die früher übliche Vermengung von Arbeitszeit und Freizeit zurück. Die war zwangsläufig und aus der Raumnot geboren. Man arbeitete und wohnte meist unter einem Dach, konnte die Arbeitsphasen also nicht separieren. Heute will man, dass die Freizeit nicht zu doll separiert wird.
Der ideale Mitarbeiter ist demnach also Single oder hat einen Partner, der im selben Unternehmen tätig ist. Führungskräfte in großen Unternehmen sehen es tatsächlich nicht ungerne, wenn man seinen Lebenspartner im Kreise der Kollegenfamilie hat. Wenn beide Partner nämlich für denselben Arbeitgeber schuften, dann verbindet das ungemein, macht es möglich, dass das Paar sein Privatleben nach den Interessen der Firma ausrichtet. Eine solche Konstellation macht die beiden Arbeitskräfte kalkulierbarer.
Work-Life-Balance ist eine Industrie. Ihre Ware ist der warme Ratschlag, wie man es besser machen kann. Meist nicht für die, die arbeiten, sondern für die, die arbeiten lassen. In der Wahrnehmung dieser Industrie ist Freizeit nichts anderes als eine entspanntere Form von Arbeitszeit, ist Freizeit nicht nur die Zeitspanne zur Überbrückung zwischen Arbeitszeitsequenzen, sondern eine brachliegende Ressource für Unternehmen. Eine Freizeit, in der das Unternehmen im Hinterkopf präsent ist, weil darin Arbeitskollegen vorkommen oder Partner, die im selben Betrieb tätig sind. Sie ist demnach verlängerte Arbeitszeit, die nicht mal vergütet werden muss.
Diese Auffassung von Balance zwischen Arbeit und Privatleben ist ein softer Totalitarismus. In dem gilt freie Zeit nicht als individuell verfügbare Zeit, sondern als Phase, in der man sich praktisch zwar von der Arbeit fernhält, aber dennoch die berufliche Strukturen beibehält. Jede Freizeit ist eine unentgeltliche Arbeitszeit, in der man an seiner Teamfähigkeit feilen und seine Firmenloyalität schulen sollte. Der Angestellte bleibt Angestellter auch dann. Alle Aktivitäten außerhalb der Arbeitszeit sind für die Hausierer der Work-Life-Balance-Industrie die Aktivitäten einer temporär stillgelegten Arbeitskraft.
Nicht weit von meiner Arbeitsstelle gibt es ein Hotel, in dem zuweilen Teambuilding-Maßnahmen diverser Unternehmen abgehalten werden. Manchmal verlagern sie den ganzen Spaß in den Garten. Da stehen sie im Kreis, manchmal halten sie sich gegenseitig die Hand, ich habe sogar schon mal gesehen, wie man einzelnen Personen die Augen verbunden hat. Ich kann mir nicht helfen, aber dieser ganze Zirkus scheint mir doch eine arg esoterische Attitüde an den Tag zu legen. Dieser ganze Quatsch von Vertrauen und Zusammengehörigkeit, von verschweißter Schicksalsgemeinschaft und dergleichen, das ist die plumpe Esoterik von Kapitalisten, die einen reibungslosen Ablauf im alltäglichen Geschäft bevorzugen, die das zwischenmenschliche Kleinklein geringfügig halten wollen, indem sie erzählen, Teamfähigkeit sei die oberste Priorität im beruflichen Alltag.
Wieviel Zusammengehörigkeit und Schicksalsgemeinschaft übrigbleibt, wenn Arbeitsplatzabbau geplant ist, kann man dann ganz schnell erkennen. Letztlich kommt die Zweckgemeinschaft ans Tageslicht - und mehr war man ja auch nie. Eine Zweckgemeinschaft, in der man den Mitgliedern weismachen wollte, sie seien viel mehr. Das Teambuilding hatte die Aufgabe übernommen, aus einem Haufen einzelner Arbeitnehmer eine Gruppe zu stilisieren, die mehr ist als Zweckverband. Nicht einfach Belegschaft, sondern Familie.
Und dann kündigt man irgendwann doch den Bruder und den Cousin dieser Familienkonstellation und die Teambuilding-Delegierten schwärmen verstärkt aus, um die verunsicherten Familienmitglieder zu betreuen und sie in ihrer Treue zu bestärken. Geht miteinander essen, klettern, wandern, liebe Brüder und Schwestern. Zusammen. Bleibt ein Team. Und dann gehen sie geschlossen in eine Freizeit, in der sie am reibungslosen Ablauf ihres beruflichen Alltags, aber auch am reibungslosen Ablauf von Kündigungen, Lohnkürzungen und Mobbing arbeiten.

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