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Was würdest du tun, wenn dir jemand beichtet, dich in sieben Tagen zu ermorden? Und das, obwohl du dir nicht einmal etwas vorwerfen kannst?
Diese Frage muss sich Brendan Gleeson in der Rolle des Pfarrers James Lavelle stellen. In seiner Gemeinde ist er geachtet und respektiert. Schließlich kümmert er sich um seine Schäfchen, leiht jedem ein Ohr und bemüht sich, niemanden im Stich zu lassen. Doch nach einer folgenschweren Beichte ändert sich sein Leben völlig. Sieben Tage verbleiben, um seine Angelegenheiten zu regeln. Sieben Tage, um Lebewohl zu sagen.
„Am Sonntag bist du tot“ von Regisseur und Autor John Michael McDonagh ist ein herber Schlag in die Magengrube. McDonagh spricht in seinem Film derart viele Themen an, dass es den Zuschauer droht, zu überfordern. Im Vordergrund steht natürlich die Rolle der katholischen Kirche in Irland. Schon seit Jahren muss sie sich mit immer neuen Enthüllungen zurecht finden, die erschütternder nicht sein könnten. So wurde erst dieses Jahr ein Massengrab von über 800 Kinderleichen entdeckt, die dort von Nonnen namenlos verscharrt wurden. 2009 kamen Hunderte Missbrauchsfälle ans Licht, die sich durch die Jahrzehnte zogen und erst jetzt vor Gericht behandelt werden. Besonders gefährlich: Der Staat half der Kirche eine lange Zeit, diese Fälle zu vertuschen. Kinder, die jahrelang missbraucht und vergewaltigt wurden – all das holte das Land die letzten Jahre ein und hat seine Spuren hinterlassen. McDonagh greift dies nun in seinem neuesten Film auf und setzt ironischerweise auf einen vollkommen unschuldigen Priester als Identifikationsfigur. Dabei ist der Film weit weniger Komödie, als noch „The Guard“. Zwar gibt es immer wieder humorige Situationen, diese sind jedoch meist tiefschwarz und bitterböse, oder erscheinen mit Einsetzen des Abspanns in einem völlig anderen Licht.
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McDonagh vergisst zudem nicht, die aktuelle Krisensituation Irlands miteinzubeziehen. Die Bewohner der Gemeinde von Gleeson kämpfen um ihre Existenz, angesichts der Auswirkungen der Finanzkrise. Vor allem Irland erwischte es schwer, als durch Fehleinschätzungen seitens der Kreditinstitute der schlimmste Zusammenbruch am Immobilienmarkt in ganz Westeuropa die Folge war. Die Steuerzahler mussten Milliarden zur Verfügung stellen, um den Staat wieder aufzupeppeln. Klar, dass das tiefe Wunden in der Mittel- und Unterschicht hinterlassen hat. Man könnte also sagen: Irlands Bewohner befinden sich in einer Glaubenskrise. Sei es der fehlende Glaube an den Staat, oder eben an Gott und seine Kirche. Umso passender, dass sich in „Am Sonntag bist du tot“ alles darum dreht.
Nicht umsonst lautet der englische Originaltitel des Films „Calvary“ bzw. deutsch übersetzt Golgatha. Der Ort nämlich, an dem Jesus sein Leben gab, um die Menschheit von seinen Sünden zu befreien. Insofern ist Gleesons Figur durchaus ein wenig Jesusfigur, wenn er aufrecht unter den Gebeugten geht um am Ende der Woche wissentlich in den vermeintlichen Tod zu gehen. Interessanterweise ist „Am Sonntag bist du tot“ in seiner Machart ein sehr, sehr langsamer Film. Der Zuschauer muss sich auf die Figuren einlassen, um überhaupt Zugang zu finden. Lange Dialoge beherrschen das Geschehen und gerade anfangs verrennt sich McDonagh ein wenig in ihnen. Doch sobald das Publikum sämtliche Nebenfiguren kennt und ihre Standpunkte nachvollziehen kann, zeigt sich: McDonagh hat ganze Arbeit geleistet. Sämtliche Figuren besitzen Tiefe, haben ihr eigenes Päckchen zu tragen. Seien es ein Kneipenbesitzer, der aufgrund der misslichen Lage mit Zwangsräumung rechnen muss, oder der reiche Bankier, der eine gewisse Mitschuld an der Finanzkrise trägt. Sie alle haben ihren Glauben verloren, irren ziellos umher.
Mit Brendan Gleeson in der Hauptrolle hat „Am Sonntag bist du tot“ auch einen hervorragenden Star im Mittelpunkt. Schon sein Gesicht erzählt eine Geschichte, seine traurigen Augen, die Falten im Gesicht und der ungepflegte Bart. In Verbindung mit dem erhabenen und doch drückenden Score erreicht der Film eine Sogwirkung, die mit sich zieht. Regisseur McDonagh braucht bloß die Kamera auf Gleesons Gesicht zu halten und der Zuschauer weiß, was in ihm vorgeht. Kommt dann noch die eindrucksvolle Kulisse Irlands hinzu, ist sicher: Ein Unheil wird geschehen. Doch auch der restliche Cast braucht sich nicht zu verstecken. Chris O’Dowd überrascht mit einer äußerst dramatischen Performance, die zeigt, dass er mehr kann, als der Tollpatsch in „IT Crowd“ und Aiden Gillen wirkt, als wäre er direkt aus „Game Of Thrones“ ans Set gekommen. Beide sorgen für einige Lacher.Doch wie gesagt: „Am Sonntag bist du tot“ ist mehr Drama, als Komödie. Dafür sorgt Filmemacher McDonagh schon, der seinen Film konsequent zu Ende zählt. Es ist schön, dass es noch Autoren gibt, die keinen Rückzieher machen und ohne Rücksicht auf Verluste ihr Ding durchziehen. Das macht den Film zu etwas besonderem und wertet ihn noch zusätzlich auf. „Am Sonntag bist du tot“ erzählt intelligent von einem Land auf der Suche nach seinem Glauben. Von Krisen – spirituell und finanziell – gebeutelt, trifft es zunächst die Unschuldigen. Ironischerweise geht es in Irland wirtschaftlich jetzt wieder aufwärts. Der Unschuldige sühnt für die Schuldigen, ein Silberstreif Hoffnung am Horizont. Und doch: „Calvary“ trifft den Zuschauer ins Mark. Bitterböse.
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BEWERTUNG: 08/10Titel: Am Sonntag bist du totErscheinungsjahr: 2014FSK: ab 16 freigegebenGenre: DramaLaufzeit: 104 MinutenRegisseur/Autor: John Michael McDonaghDarsteller: Brendan Gleeson, Chris O'Dowd, Aiden Gillen, Kelly Reilly, Domhnall Gleeson, David Wilmot, Dylan Moran, Isaach de Bankole