Es gibt zwei genau Dinge, die dem Bernabéu wichtig sind vor allen anderen: Gewinnen und attraktiven Offensiv-Fussball spielen. Den geforderten Fussball spielt in Real Madrid in dieser Saison nicht – und jetzt gewinnen die Mannschaft nicht einmal mehr. Da diese beiden Punkte aber von niemandem ausser Kraft zu setzen sind, sollte sich jetzt auch der allmächtige Trainermanager vorsehen. Alle seine Versuche, mit Schuldzuweisungen nach allen Seitenden Ball aus dem eigenen Feld zu spielen, könnten bald nicht mehr genug sein.
Alle die Erklärungsversuche vergangener Jahre zählen nicht mehr: Man müsse den Kader mal zusammen lassen, statt immer neue Spieler zu kaufen; der Trainer müsse beibehalten werden und ein paar Jahre Zeit für kontinuierliche Arbeit bekommen; der Übungsleiter müsse mehr Machtbefugnisse erhalten und alles Sportliche selbst entscheiden, der Präsident solle sich raushalten – gebetsmühlenartig wurden solche Forderungen über viele Jahre aufgestellt. Nun, sie sind alle erfüllt! Ausnahmslos. Mourinho hat in seiner dritten Spielzeit alle Macht der Welt, um zu entscheiden, was immer ihm geraten erscheint.
Und ausgerechnet jetzt spielt Real Madrid weder ansehnlichen noch erfolgreichen Fussball. Die Liga ist nach einem Drittel der Saison praktisch gegessen. Nicht nur liegt man elf Punkte hinter Barcelona, auch der Stadtrivale Atlético ist bereits acht Punkte enteilt. In der ersten Phase der Champions gab es weit mehr Schlaglöcher als gewöhnlich und die Klassifizierung für das Achtelfinale als Gruppenzweiter ist wahrlich kein Glanzlicht. Real Madrid besteht aus einem defensiven und einem offensiven Block. Dazwischen ist nichts, zumindest wenn der offensichtlich unausweichliche Özil auf dem Platz steht.
Das hat zur Folge, dass Innenverteidiger Pepe die langen Pässe versucht, die konsequent beim Gegner landen, und sein Kollege Sergio Ramos als Mittelstürmer endet. Wenn clevere Trainer – wie die von Dortmund oder Betis – dem einzigen Spielgehirn Xabi Alonso gar noch eine Sonderbewachung verpassen, geht rein gar nichts mehr. Eine so simple wie effektive Strategie, Real Madrid praktisch zu annulieren, weil die Kupplung im Mittelfeld plötzlich ausgewischt wird. Hervorragende Spieler, von Mannschaft keine Spur mehr.
Noch versucht José Mourinho nach jedem Punktverlust die Falkland-Taktik. Den Konflikt auf die Schiedsrichter verlagern, auf den Spielkalender, auf die angebliche fehlende institutionelle Unterstützung – doch die Effizienz verbaler Luft-Pirouetten schwindet zusehends mit den Ergebnissen. Er sollte sich vor Atlético Madrid in acht nehmen. Falls das Duell mit dem Traditionsrivalen am Wochenende zum ersten Mal seit zwölf Jahren negativ ausgeht, wird er erleben, wie wenig seine Lieblingschemikalie Schwafeldioxid noch wert ist.
Das Bernabéu hat inzwischen das Messer zwischen den Zähnen. Die Rede ist nicht von den Foren- und Twitter-Textern sondern von denen, die das Schicksal des Vereins bestimmen: den “Socios” und “Abonados”, die die Plätze auf den Rängen seit Jahren und manchmal seit Jahrzehnten innehaben. “The Special One” für Real Madrid ist und bleibt dieses Stadion und niemand sonst. Es wird auch keine Rücksicht auf allmächtige Startrainer nehmen, wenn die beiden wichtigsten Bedingungen unerfüllt bleiben.