Bevölkerungswissenschaftler Rainer Münz kann einer alternden Gesellschaft auch Positives abgewinnen. Als Voraussetzung dafür nennt er nichts weniger als grundlegende Reformen in Pensions- und Bildungssystem.
Die Presse: Laut einer Studie der Bertelsmann-Stiftung nehmen die Innovationsressourcen innerhalb einer alternden Bevölkerung ab. Befinden wir uns in einer unaufhaltsamen Abwärtsspirale?
Rainer Münz: ich widerspreche dem düsteren Szenario Abwärtsspirale. Die Alterung unserer Gesellschaft hat ja vor allem damit zu tun, dass unsere Lebenserwartung steigt – statistisch gesehen um 6-7 h pro Tag. Das ist jedenfalls eine gute Nachricht
Die Presse: entscheidend ist allerdings nicht nur, wie alt wir werden, sondern auch, wie wir alt werden.
Rainer Münz: Die meisten von uns wollen alt werden, aber nicht wirklich alt sein. Wir kommen heute jedenfalls gesünder ins höhere Alter. Die ältere Generation von heute hat kaum Notzeiten erlebt und seltener schwere körperliche Arbeit verrichtet als die Generationen davor. All dies führt dazu, dass die Menschen im Alter weniger verschlissen sind. Wir können uns nicht mehr daran erinnern, dass man im 19. Jahrhundert um die 60-Stunden-Woche und nach 1945 um einen arbeitsfreien Samstag gekämpft hat. Wir sind heute einen viel kürzeren Teil unseres Lebens beruflich aktiv als früher. In Summe dauert ein Menschenleben heute etwa 700.000 Stunden. Davon verbringen wir zurzeit nur 10-15 % mit Erwerbsarbeit. Wir sind viel produktiver als unsere Vorfahren. Zugleich steigt aber die psychische Belastung durch Arbeit.
(Die Presse, 11.9.2012)