NSU: Kommando späte Reue

NSU: Kommando späte Reue Julia Jüttner ist die Insiderin, Uwe Böhnhardt war der Militante, Uwe Mundlos der Intellektuelle, Beate Zschäpe die Mitläuferin: Im Fall der Döner-Morde haben die beiden mittlerweile toten Neonazis nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins "Spiegel" ein Geständnis hinterlassen. Auf nicht verbrannten DVDs, die die Ermittler in dem abgebrannten Wohnhaus der Gruppe in Zwickau fanden, erklärten sie, ihre Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) sei ein "Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz "Taten statt Worte". Die Neonazis bekennen sich dem "Spiegel"-Bericht zufolge dazu, mindestens neun Morde an türkischen und griechischen Einwandern begangen zu haben. Wenige Stunden später konnten Ermittler in den Trümmern des Hauses auch die NSU-Mitgliedsausweise von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe (Foto oben) sicherstellen. Die darin eingeklebten Beitragsmarken belegen, dass das tödliche Trio sich bis zuletzt nicht von seiner menschenverachtenden Einstellung  distanziert hatte.
Bei den Ermittlungen werden nun auch weitere ungeklärte Anschläge überprüft. Nach Informationen des "Tagesspiegels" untersuchen die Behörden etwa den Sprengstoffanschlag Ende 1998 in Berlin auf das Grab von Heinz Galinski. Damals war der Grabstein von des einstigen Präsidenten des Zentralrats der Juden vollkommen zerstört worden – die Bilder ähneln denen der Terrorzellenhaus in der Zwickauer Frühlingsstraße 26. Man sehe hier deutliche „eine einheitliche Handschrift“ hieß es in Sicherheitskreisen.
Geprüft wird auch die Tatverwicklung eines Mannes, der sich direkt nach dem Freitod von Böhnhardt und Mundlos im mitteldeutschen Lützen in die Luft gesprengt hatte. Der frühere Korvettenkapitän der DDR-Volksmarine galt als enttäuschter Sonderling, hinterließ aber weder Bekenner-DVDs noch einen NSU-Mitgliedsausweis. „Wir tappen noch im Dunkeln“, verriet ein Fahnder.
Die Bundesanwaltschaft, die die Ermittlungen zum rechten Terrornetzwerk übernommen hat, verfüge zur Zeit über keinerlei Hinweise darauf, warum die ruchlose Mundlos-Bande aus Zwickau sich erst fünf Jahre nach dem letzten Döner-Mord zu seinen Taten bekennen wollte. "Vielleicht war das eine Art Kommando Späte Reue", sinniert ein Fahnder, der sich noch genau erinnert, wie "die RAF früher immer schnell zur Hand war mit einem Bekennerschreiben". Das habe damals "noch gezogen, damit kamen die immer in die Tagesschau". Mundlos und Co. gelang das nach 1998 nie wieder. "Wir fragen uns, ob die sich gewundert haben, woran das liegt."
Rätselhaft sei vor allem, wie sogar Uwe Mundlos, nach seinem beinahe nachgeholten Abi bekanntlich der intellektuelle Kopf der Gruppe, habe übersehen können, dass das Wesen terroristischer Tätigkeit in seiner öffentlichen Wahrnehmung liege. „Terrorismus ist von Hause aus keine militärische Strategie, sondern primär eine Kommunikationsstrategie“, erläutert Extremismusexperte Franz Wagner vom Friedensforschungsinstitut der Unesco in Toulouse im PPQ-Gespräch. Terroristen strebten zwar nach Veränderungen der bestehenden Ordnung, doch ziele ihr Kampf mit Bomben und Pistolen nicht auf die militärische Befreiung von Gebieten, sondern auf Veränderung des Denkens, „um dadurch gesellschaftliche Veränderungsprozesse zu erzwingen.“ Der Terrorist wolle, dass alle wissen, was er getan habe und warum. „Terror ist Druckmittel, um mit Hilfe öffentlicher Aufmerksamkeit Ziele durchzusetzen.“
Im Fall der NSU konnte das nicht gelingen, weil die verschworene Truppe sowohl ihre Anschläge als auch ihre Ziele über mehr als zehn Jahre streng geheim hielt. Wie besessen sammelten Mundlos, Zschäpe und Böhnhardt Tatwaffen, selbst ganz zum Schluss, als die beiden Männer sich aus Enttäuschung über die geringe Ausbeute ihres Banküberfalls in Eisenach selbst gerichtet hatte, mochte sich Beate Zschäpe nicht von der gemeinsamen Waffensammlung trennen. Statt sie auf dem Weg nach Jena, wo sie sich den Behörden stellen wollte, in einen Fluss zu werfen, versuchte sie, sie zu verbrennen. Das gelang nicht und so wurden die Tatwaffen aus der Dönermord-Serie, von der Erschießung einer Polizistin in Heilbronn, vom dritten Schützen beim Kennedy-Mord und aus dem Fall Petra Kelly und Gert Bastian in Zwickau gefunden. Direkt neben einem Paar Handschellen, das der vor vier Jahren ermordeten Michéle Kiesewetter zugeordnet wurde. Fieberhaft ermitteln die Behörden inzwischen, wie es dazu kommen konnte: Deutsche Polizei-Handschellen haben weder eine Seriennummer noch sonstige individuelle Merkmale, die sie als Eigentum eines einzelnen Polizisten erkennbar machen.
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