Doch so recht interessiert hätten sich Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) und Familienministerin Kristina Schröder (CDU) nicht für Ivanovics Anliegen, berichten Teilnehmer des Gipfels. „Es hat bis heute kein Wort der Entschuldigung oder Richtigstellung gegenüber unserer Minderheit gegeben“, sagt Ivanović, der seit 30 Jahren Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Juwelendiebe serbischer Herkunft (ZDJsH) ist.
Gleich mehrere Medien hatten in den Monaten nach dem Mord an Kiesewetter am 25. April 2007 auf der Heilbronner Theresienwiese über eine angeblich heiße Spur berichtet: Sie führe ins „Juwelendiebmilieu“, zitierten Medien anonyme Ermittler damals. Der "Spiegel" wusste zusätzlich von einer Spur zu einer "mafiösen Organisation türkischer Nationalisten". Der "Stern" weitete den Verdacht zum Vorwurf gegen eine ganze Minderheit zu steigern, die Tat mit ihrem Schweigen zu decken: „Schließlich hielten sich an jenem verhängnisvollen 25. April mehrere Serben unweit des Tatorts auf. Doch niemand will etwas gesehen haben.“
Wie man heute weiß, hatten ganz andere vor fünf Jahren in Chemnitz ein Wohnmobil mit dem Kennzeichen C-PW 87 angemietet, um damit nach Heilbronn zu fahren und die Polizistin Michèle Kiesewetter zu ermorden: die Neonazis vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Sie waren es, die sich an den Streifenwagen heranschlichen, in der die Polizistin Mittagspause machte, ihr unvermittelt von hinten mit einer 9-mm-Patrone aus einer Pistole Marke Radom in den Kopf schossen.
Doch erst spät kam die Auflösung: Am 4. November 2011 werden die beiden 1998 abgetauchten Neonazis Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tot in einem Wohnmobil in Eisenach gefunden. In ihrem Fahrzeug liegen auch die Dienstwaffen der Polizisten Kiesewetter und Martin A. Später stellt sich heraus: Etwa eine halbe Stunde nach der Tat im April 2007 hatten Polizisten 15 Kilometer südöstlich des Tatorts ein Wohnmobil mit dem Nummernschild C-PW 87 registriert – dies hatte Böhnhardt neun Tage vorher unter einer Tarnidentität in Chemnitz angemietet. Ob er oder Mundlos den tödlichen Schuss auf Kiesewetter abgaben, weiß man noch nicht, aber das ist jetzt auch egal.
Wichtig ist, dass die Medien eine heiße Spur ins „Juwelendiebmilieu“ witterten, als die Polizei noch dem „Phantom“ von Heilbronn hinterherjagte. Das war eine Frau, die an unterschiedlichsten Tatorten in halb Deutschland und mehreren Nachbarländern vermeintlich DNA-Spuren hinterlassen hatte – am Tatort eines Mordes an einer Rentnerin in Idar-Oberstein; an einer in Gerolstein gefundenen Heroinspritze, in die ein Kind getreten war; bei Einbrüchen in Dietzenbach, Freiburg und Österreich; an einer Kugel, die in Worms auf einen Sinto abgefeuert wurde; und schließlich in dem Dienst-BMW, in dem Michèle Kiesewetter erschossen wurde.
Dass man unter anderem wegen der wild auf der Landkarte verstreuten Tatorte auf herumreisende Juwelendiebe als Tatverdächtige kam, hält der Zentralratsvorsitzende Ivanović im Rückblick für ein „rassistisches Klischee, das sehr tief in den Köpfen drinsitzt“. Er sagt heute: „Hier wurde eine Minderheit unter den Generalverdacht gestellt, eine Polizistin hingerichtet zu haben.“
Erst im Frühjahr 2009 stellte sich heraus: Es gibt kein „Phantom“, das umherreist und unterschiedlichste Straftaten begeht, vom Einbruch in eine Gartenlaube bis zum kaltblütigen Mord. Die DNA stammte von einer Mitarbeiterin einer Firma, deren Wattestäbchen die Polizei benutzt, um am Tatort Spuren zu sichern. Dass die Ermittler diese Verunreinigung erst nach Jahren bemerkten, gilt als eine der peinlichsten Pannen der deutschen Kriminalgeschichte.
Doch frech: Selbst nach dieser Schlappe ermittelte die Polizei weiter intensiv unter Serben und Juwelendieben. In einem internen Ermittlungsbericht vom 29. April 2010, also gut drei Jahre nach der Tat, geht das baden-württembergische Landeskriminalamt (LKA) allen erdenklichen Spuren nach. So wird an einer Stelle spekuliert, dass Russen hinter der Tat stecken könnten, den es sei „bekannt, dass in russischstämmigen Kriminellenkreisen der Polizistenmord eine statusaufwertende Tat darstellt“. Außerdem hatte ein Zeuge in der Nähe des Tatorts einen Mann gesehen, der hektisch in einen Audi hechtete und dem Fahrer „dawei, dawei“ zurief (russisch für „Los, los“). Andere vermeintliche Fährten führten in angebliche Kreise kirgisischer Drogenschmuggler. In einzelnen Fällen wurden sogar Telefone überwacht, Mikrofone in Autos eingebaut und Handy-Funkzellen ausgewertet.
Zwar hätten auch zahlreiche weitere Vernehmungen „keine weiterführende Erkenntnisse“ erbracht, wie es in dem Zwischenbericht des baden-württembergischen LKA von 2010 heißt; ihre vermeintlich heiße Spur in Kreise der serbischen Juwelenmafia wollten die Ermittler dennoch nicht ganz aufgeben. Schließlich „hatten die Vernehmungsbeamten einvernehmlich das Gefühl, dass die Personen mehr über die Tat wissen, als sie angeben“.
Heute weiß man nicht nur, dass die wahren Täter Neonazis waren. Sondern auch, dass diese womöglich auch Ausländer vom Balkan als potenzielle Opfer im Hinterkopf hatten. In den umfangreichen Listen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) mit möglichen Zielen tauchten auch der ZDJsH und dessen Dokumentationszentrum auf.
„Wir hoffen, dass die ermittelten Fakten endlich zu mehr Verantwortungsbewusstein bei den Ermittlungsbehörden beitragen“, sagt der ZDJsH-Vorsitzende. Er setzt nun auf die Unterstützung durch den baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann von den Grünen. Am 10. Mai wird er ihn zu einem Gespräch treffen. Ivanovics Ziel: Kretschmann zu einer offiziellen Erschuldigung der Landesregierung zu den falschen Verdächtigungen der Ermittler gegen seine Berufs- und Volksgruppe zu bewegen. Ähnliches fordern inzwischen auch die mafiöse Organisation türkischer Nationalisten, die kirgisischen Drogenschmugglerringe und die Vereinigung der russischstämmigen Kriminellenkreise in Deutschland (VdRKKD)
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