Von Stefan Sasse
Die Entscheidungsprozesse innerhalb der schwarz-gelben Koalition geben ein ums andere Mal Anlass zum Kopfschütteln. Nachdem im Zuge der NSU-Affäre zahlreiche Spitzenbeamte von Posten des Verfassungsschutzes zurückgetreten sind und dessen katastrophaler Aufbau ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt wurde, gab es eigentlich niemanden mehr, der ernsthaft der Meinung sein konnte, der Verfassungsschutz könne so weitermachen wie bisher. Sogar in den großen Zeitungen wurde die Frage, ob er nicht besser vollstänig abgeschafft werden könne, diskutiert - eine Frage, die im Übrigen eine große Berechtigung hat. Nun aber hat die Koalition ihr großes Trumpfblatt in dieser Krise enthüllt. Hans-Georg Maaßen, ein bislang eher unbekannter Ministerialdirigent im Innenministerium, der die Bundesregierung im NSU-Ausschuss vertrat, soll künftig die Behörde führen. Ein "ausgewießener Experte" sei er, und "ein brillanter Jurist". Doch kaum wurde die Personaille bekannt gegeben, weht Schwarz-Gelb bereits heftiger Gegenwind entgegen, denn Maaßen ist kein gar so unbeschriebenes Blatt: in der Kurnaz-Affäre war er die treibende Kraft hinter den Kulissen, die dafür sorgte, dass Kurnaz in Guantanamo eingesperrt blieb. Man fragt sich, ob der Koalition ein solcher Hintergrund als Ausweis brillanter Juristerei gilt oder ob man schlicht nicht besonders gut überprüft hat, wen man da an die Spitze einer der umstrittensten Behörden des Landes setzen will.
Beides jedenfalls wäre nicht gerade ein Auweis großer Sachkompetenz seitens der Regierung. Hat man einfach nicht besonders gut nachgeschaut, so drängt sich der Eindruck auf, dass man einen Insider wollte - Maaßen ist immerhin im NSU-Ausschuss federführend tätig gewesen -, der eine Aura von Law&Order verbreitet und das Versprechen auf ein großes Aufräumen transportiert. Das tut Maaßen zugebenermaßen; auf den Bildern, die man derzeit sehen kann, wirkt er nicht gerade wie jemand mit dem besonders gut Kirschen essen ist. Passt auf, ihr Verfassungsschutz-Schlendriane! scheint er über die gekreuzten Arme zu rufen. Also genau das, was Friedrich sich bei dieser Wahl gewünscht haben dürfte. Maaßens Ansichten aber sind das wahre Problem hinter der Fassade, die aufgerichtet wurde, um größere Umstruktierungen unter den Augen der Öffentlichkeit beim Verfassungsschutz zu vermeiden (die unvermeidlich als Schwäche Schwarz-Gelbs ausgelegt würden). Man muss sich dazu in Erinnerung rufen, dass es CDU und FDP sind, die sich immer wieder entschieden hinter den Verfassungsschutz gestellt haben, besonders in der äußerst umstrittenen Überwachung der LINKEn.
Wäre man nun gezwungen, die Behörde öffentlich auseinanderzunehmen und zu restrukturieren, wäre dies auch ein implizites Eingeständnis anderer Fehleinschätzungen. Besser also, einen harten Hund die faulen Eier aussortieren zu lassen.
Nur, der harte Hund ist selber eins. In einer Geste echter Sensibilität für das Problem hat das entsprechende Gremium der FU Berlin den Antrag der Ehrendoktorwürde für Maaßen, den die dortige juristische Fakultät eingebracht hatte, abgelehnt. Auch hier kann man nur den Kopf über die Berliner Juristen schütteln, denn Maaßens Verständnis von der Juristerei ist wahrlich beängstigend. Er ist, was ihm im Portfolio normalerweise positiv aufgelistet wird, ein loyaler Beamter - er tut, was man ihm sagt, buchstabengetreu nach dem Gesetz. Er steht in einer Tradition, die schon Hans Karl Filbinger nicht verstehen ließ, warum "was gestern Recht war heute Unrecht" sein soll. Gesetze müssen ausgeführt werden, ganz egal, ob die Auswirkungen offensichtlich falsch sind und höhere Prinzipien dem im Weg stehen. Offenbar wird dies am Fall Kurnaz. Als die Amerikaner 2002 der Bundesregierung mitteilten, dass Kurnaz kein Terrorist war, lehnte Rot-Grün seine Einreise ab - und verurteilte ihn damit quasi zur Staatenlosigkeit und jahrelangem Aufenthalt in Guantanamo. Die juristische Begründung war von Maaßen gekommen, der wie folgt argumentierte: Kurnaz sei mehr als sechs Monate im Ausland gewesen. Damit erlosch automatisch seine Aufenthaltsberechtigung. Um nach Deutschland einreisen zu können, müsste er eine neue beantragen. Dass Kurnaz nicht gerade freiwillig in Guantanamo war, ist dabei irrelevant, denn "Nicht entscheidend ist, ob der Auslandsaufenthalt freiwillig erfolgt. Es handelt sich um ein Erlöschen kraft Gesetzes. Allein die Verwirklichung des Tatbestands führt dazu, dass der Ausländer seine Aufenthaltsgenehmigung verliert, ohne dass er einer ausdrücklichen behördlichen Verfügung bedarf. Schon nach dem Wortlaut dieser Vorschrift kommt es allein auf die Abwesenheit von mehr als sechs Monaten an."
Ein solcher Mann soll nun den Verfassungsschutz reformieren. Zu was wird er ihn umgestalten? Er herrscht nun über einen Inlandsgeheimdienst, der schon qua Funktion nur eingeschränkter Kontrolle unterliegt. Für so etwas braucht es ein gewisses Fingerspitzengefühl, und die Antworten auf viele Fragen werden sich kaum im Wortlaut von Vorschriften finden lassen. Dort wird er aber tausende von Gründen finden, die Öffentlichkeit nicht zu informieren. Mit Maaßens Wahl als Chef der Behörde werden die Fehler des Verfassungsschutzes letztlich zementiert, nur mit der Hoffnung, dass künftig professioneller geschwiegen werden wird. Für diese Zielsetzung ist Maaßen klar der richtige Mann. Für das, was die Behörde eigentlich bräuchte, könnte er kaum falscher sein.