Titel: NSA
Autor: Andreas Eschbach
Format: Hardcover
Preis: 22,90 €
Seitenzahl: 796 Seiten
Verlag: Bastei Lübbe
ISBN: 978-3-7857-2625-9
Bewertung: 5 Sterne
Rezensionsexemplar
Inhalt
Weimar 1942: Helene Bodenkamp hat eine sichere Arbeit im Nationalen Sicherheits-Amt. Sie ist dort Programmiererin und entwickelt mit großer Freude Programme, mit deren Hilfe alle Bürger des Reichs überwacht werden. Helene macht sich erst Sorgen um das, was sie da eigentlich tut, als ihre große Liebe Fahnenflucht begeht und untertauchen muss. Sie versucht mit allen Mitteln ihre Liebe zu schützen und gerät dabei nicht nur in Konflikt mit dem Regime, sondern auch mit ihrem Vorgesetzten Eugen Lettke, der die Überwachungstechnik des Staates für eigene Zwecke benutzt und dabei immer mehr jegliche Grenzen überschreitet.
Was wäre, wenn es im Dritten Reich schon Computer gegeben hätte? Was, wenn es damals schon Internet, Handys, E-Mails, Soziale Medien und deren totale Überwachung gegeben hätte? NSA zeigt, was hätte sein können.
Recht zufällig bin ich auf die Leserunde zu „NSA“ bei der Lesejury aufmerksam geworden. Ich bin nicht sehr häufig dort unterwegs und bewerbe mich nur dann, wenn mich ein Buch wirklich komplett anspricht. Als ich „NSA“ gesehen habe, konnte ich nicht anders, als mein Glück zu versuchen und als dann die Mail mit der Zusage kam war ich sehr überrascht. Ich durfte das Buch vorab lesen und habe mich unfassbar auf die Geschichte gefreut. Herzlichen Dank an die Lesejury und Bastei Lübbe für die Zusendung des Rezensionsexemplars!
Das Buch beginnt 1942 in Weimar, als Heinrich Himmler das Nationale Sicherheits-Amt besucht, um herauszufinden, ob es überhaupt noch eine Daseinsberechtigung hat. Man lernt Eugen Lettke und Helene Bodenkamp kennen, denn deren Geschichte wird in diesem Buch genauer erzählt. Durch die Einführung der beiden Protagonisten verlagert sich auch die Erzählung nach hinten und man erfährt als Leser nicht nur, wie sich der Einfluss des „Komputers“ entwickelt hat und sich in diese Zeit einfügen lässt, sondern auch genaueres über die Vergangenheit von Eugen und Helene. Wie leben sie, was haben sie für eine Familie, welche Bekannte und Freunde, wie sind sie ins Nationale Sicherheits-Amt gelangt und wie sind die beiden so geworden, wie sie zu dem Zeitpunkt, an dem die Geschichte beginnt, sind? Gleichzeitig wird immer wieder ein Blick auf die technische Seite geworfen, was mir unheimlich gut gefallen hat.
Eschbach verknüpft auf erschreckend akkurate Weise reale Begebenheiten mit seiner Fiktion. Man kommt nicht nur einmal ins Grübeln, wo wir heute stehen und inwieweit es parallelen zu den Geschehnissen im Buch gibt. Schließlich haben wir auch nichts anderes als „Gemeinschaftsforen“, wie sie im Buch genannt werden, die bei uns eben Social Media wie Instagram, Facebook oder Twitter sind. Oder Cloud-Speicher, die im Buch Datensilos genannt werden. So vieles kommt zur Sprache, das uns in der heutigen Zeit mehr als nur geläufig ist und man überlegt sich einmal mehr: was gebe ich selbst über mich im Internet preis und was hätte es für einen Einfluss auf mich und mein Leben, würden diese Informationen gegen mich verwendet werden? Denn auch in diesem Buch „posten“ Menschen unüberlegt Gedanken in Foren, sogar in einer Art Online-Tagebuch und andere Menschen können diese geposteten Texte lesen, darauf reagieren und auch gegen sie verwenden.
Eschbach begeistert mich aber nicht nur mit dieser technischen Seite, die immer deutlicher die Angst vor Überwachung schürt, sondern auch mit seinen Protagonisten. Helene und Eugen könnten nicht unterschiedlicher sein und doch landen sie an einem bestimmten Punkt an derselben Stelle: das NSA.
Eugen ist ein eher ruhiges, seltsames Kind, das in der Schule sehr unbeliebt ist und eher Mitleid erregt. Doch je älter er wird, desto grausamer werden auch seine Gedanken und das Mitleid verschwindet, je mehr man im Buch voran schreitet. Er zeigt zutiefst verstörende Verhaltensweisen und tut unverzeihliche Dinge. Dinge, die ich mir niemals im Traum hätte ausmalen können und die mir eine Gänsehaut bereitet haben. Um seine Ziele zu erreichen ist ihm jedes Mittel recht. Ich habe selten bei einem Charakter so einen ekel empfunden, wie bei Eugen und war gleichzeitig sehr beeindruckt vom Autor, dass er es schafft mir eine Person vorzusetzen, die ich abgrundtief verabscheue und trotzdem den Weg, den sie geht, mitverfolgen möchte. Ich wollte einfach wissen was Eugen im Verlauf des Buches widerfahren wird. Ob er mit seinen Machenschaften Erfolg haben wird oder nicht und wohin ihn seine Spielchen bringen werden. An die Spitze oder ans Ende?
Helene scheint das komplette Gegenteil von ihm zu sein. Ein gut erzogenes Mädchen aus einer reichen Familie. Sie soll den perfekten Umgang haben, tolle Noten schreiben. Einfach ein strahlendes Mädchen sein. Doch sie selbst fühlt sich in dieser Rolle nicht wohl. Sie kann mit den Rassengesetzten und genetischen Themen überhaupt nichts anfangen und kann trotzdem nichts gegen die Entwicklungen im Land ausrichten. Sie fügt sich ein, ohne darüber nachzudenken und obwohl sie sich in vielen Situationen unwohl fühlt, sagt sie nichts. Ihre Familie verhält sich noch viel verblendeter und spätestens mit ihrem Onkel Siegmund und seinem Schicksal, stellt Eschbach besonders heraus, wie stark eine Familie durch Propaganda verblendet wird. Die Entwicklung von Helene fand ich im Buch wirklich großartig. Sie wird selbstbewusster, mutiger und beginnt auch über Entwicklungen im Land nachzudenken. Auch wenn diese Einsicht recht spät kommt, so kommt sie immerhin. Der Verlauf ihres Lebens wird von Seite zu Seite spannender und ich bin ihr manchmal kopfschüttelnd und manchmal nickend gefolgt.
Je weiter man im Buch voran kommt, desto bedrückender wird die Stimmung. Die Überwachung durch die „Komputer“ nimmt immer mehr zu und die Technologie wird immer weiterentwickelt. Dieses Gefühl der totalen Überwachung, der Angst, dass jedes Wort und jede Tat irgendwo aufgezeichnet ist und vielleicht eines Tages gegen einen selbst verwendet wird. Man durchlebt während des Lesens so unterschiedliche Gefühle, denn das Buch ist grausam, verstörend aber auch unfassbar gewaltig. Und genau deshalb ist es auch so genial. Andreas Eschbach hat mit „NSA“ ein Gedankenspiel erschaffen, das sich nicht realistischer anfühlen könnte, denn er zeigt in diesen knapp 800 Seiten was in unserer Gesellschaft noch alles möglich sein könnte und was hätte sein können, wäre der „Komputer“ schon zu Zeiten Hitlers erfunden worden.
Vor allem jedoch das Ende fand ich absolut großartig. Es ist vielleicht nicht das, was sich manche Leser wünschen würden aber für dieses Buch einfach perfekt gewählt. Nichts daran hätte geändert werden dürfen, denn genau so sollte es sein. Ich weiß genau, dass mich dieses Buch noch sehr lange begleiten wird und ich werde immer und immer wieder darüber nachdenken was mit all meinen Daten im Internet so geschehen kann. Ich werde wohl nie vergessen, wie nah wir den Szenarien in dieser Geschichte bereits gekommen sind.
Fazit
„NSA“ ist ein Buch, das nicht so schnell loslässt und definitiv zum Nachdenken anregt. Es ist grausam und gleichzeitig großartig. Es ist ekelerregend und hat gleichzeitig Momente der Hoffnung. Es fesselt an seine Seiten und man kann kaum davon ablassen. Das Szenario ist nah an unserer eigenen Gesellschaft, auch wenn es in einer anderen Zeit spielt und man kann sich in diesem Gedankenspiel dem Gefühl nicht erwehren, dass all das, was dort passiert, auch in unserer Zeit geschehen kann. „NSA“ ist für alle eine Empfehlung, die gerne Gedankenspiele durchleben und nichts gegen Alternate History haben. Es ist genial geschrieben und fühlt sich zu real an, um wahr zu sein. Ein absolutes Highlight, das ich wirklich nur empfehlen kann.