November • Monat der Gespenster • Herbert Fritsche

Von Ave Aventin @AveAventin
Nebel und Nässe, frühes Dunkel und unwirtliche Witterung --: es ist der Monat der Gespenster. Aber "wer ins Dunkel schaut, wird immer etwas sehen", heißt es bei Williman Butler Yeats, dem englischen Dichter des Weltgeheimnisses. 
Wahrlich, keiner ist weise, der nicht das Dunkel kennt, das unentrinnbar und leise von allen ihn trennt,

so lautet eine Strophe aus einem Novembernebel-Gedicht von Hermann Hesse. War der Sommer uns gegeben, damit wir die Weiten erleben, die Hingegossenheit kosmischer Fluten über das irdische Gelände, so ist es der Winter um des Heims willen, der Höhle und Zelle. Wege durch den tropfenden Nebel des Novembers aber weisen uns, auch wenn wir draußen in den einst überschaubaren Weiten sind, auf diejenige Höhle und Zelle zurück, die wir als letzte Zuflucht mit uns umhertragen, wo immer wir auch sind: auf das eigene Dasein als Individualität. Ist Ich-Überwindung das hohe Ziel aller echten Religionen und Erlösungspfade, so setzt sie eine Ich-Findung voraus, die erst einmal erreicht werden muss. Der Termitenmensch, der vom jämmerlichsten Wörtchen unserer Sprache beherrscht wird, dem Wörtchen "man", der konventionelle Durchschnitts-Typus, dessen Bestimmung allein schon von den Inhalten der öffentlichen Meinung, von Mode, Politik, Klatsch und Kommandiertwerden durch irgendwelche Machthaber und Medien her möglich ist, hat kein Ich und kann mithin auch keins überwinden. Er ist auswechselbar zu jeder Zeit und muss sich gefallen lassen, auch ohne viel Federlesens ausgewechselt zu werden, so bald es irgendeiner der ihm übergeordneten Instanzen gefällt. Jedoch auch fortgeschrittenere Menschen sind oft noch weit, weit fern vom bewussten Erkennen und Realisieren ihrer Einmaligkeit im All. Das uralte Weisheitswort "Werde, der du bist!" lässt sich erst nach langer Einsamkeit erfüllen. Dazu taugt der November. Birgt der November den Sinn, uns zu den Gespenstern zu führen, damit wir - statt nur das Gruseln zu lernen - uns des Gespenstischen unserer eigenen Existenz bewusst werden, um, erschrocken infolge solcher Erkenntnis, sie alsdann mehr und mehr zum lebendigen Leben einer echten Individualität zu erlösen, so soll er uns willkommen sein.

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