Von Stefan Sasse
Fortsetzung von Teil 1.
Ein weiteres Thema, das wesentlich wirkmächtiger eingeschätzt wurde als es letztendlich war, war die Schuldenlast der USA. Zwar bekannten sich beide Politiker rhetorisch zur Schuldenreduktion; Paul Ryans radikaler Ansatz mit riesigen Einschnitten ins soziale Netz aber zahlte sich offensichtlich nicht aus. Auch hier war das Obama-Team sehr erfolgreich darin zu verhindern, dass das republikanische Narrativ vom Behemoth "Staat", der unbedingt eingehegt werden müsse, dominierte. Stattdessen verschwand jeglicher Politikansatz Obamas zur Lösung des Problems in einem verschwommenen Nebel aus Worthülsen, während Romney gezwungen war, die eigene Position (und Ryans!) in den TV-Debatten deutlich zu relativieren, Kreide zu fressen und so sein Flip-Flopper-Image erneut zu bestätigen um zu verhindern, weiteres Futter für das Obama-Narrativ vom herzlosen Plutokraten zu bieten. Eine klare Falle zwischen Sylla und Charybdis. Die Obama-Kampagne war außerdem erfolgreich damit, die Schuld für die schlechte Lage auf George W. Bush abzuwälzen. (Siehe hier genaue Umfragezahlen für all das).
Etwas überraschend ist, dass die starke Medienaufmerksamkeit für die so genannten "Fact Checker" - mehr oder minder unabhängige Stellen, die Aussagen der Kandidaten auf Wahrheitsgehalt prüften, keinerlei Effekt hatte. Im Wahlkampf wurde gelogen und die Wahrheit gebeugt, was das Zeug hält, in einem deutlich größeren Ausmaß als sonst - und beide Seiten kamen problemlos damit durch. Dies dürfte eine direkte Wirkung des Seifenblasen-Effekts sein, denn wenn die Medien eindeutigen politischen bias besitzen ignorieren sie die Lügen der jeweils eigenen Seite einfach - die Krähe nennt den Raben dann schwarz, und wenn ohnehin beide Seiten lügen werden Entscheidungen eben auf anderer Basis getroffen. Einen echten Effekt hatte das daher nicht, was für die Zukunft Schlimmes vermuten lässt.
An dieser Stelle wird es noch einmal notwendig, sich mit Zahlen zu befassen, denn der Wahlkampf bietet einige interessante Fakten zur Demographie. Romney gewann einen deutlichen Stimmanteil unter den weißen Männern (der immer noch mit Abstand größten Wählergruppe). 2008 war es hier wesentlich knapper. Obama gewann dafür 55% der Frauen, 60% der Wähler unter 30, 71% der Latinos und 93% der Schwarzen. Signifikant, aber nicht statistisch erfasst, dürfte außerdem der Anteil der homosexuellen Wähler gewesen sein. Der Präsident verbesserte zudem seinen Anteil bei den Rentnern um rund zehn Prozentpunkte. Diese Zahlen zeigen einen weiteren Erfolg der Obama-Strategie: das Setzen auf eine "Multi-Kulti-Koalition" aus allen möglichen Minderheiten. Dies spiegelt sich auch in den Senatssitzen wieder, wo weiße Männer bei den Demokraten inzwischen unter 50% ausmachen, während es bei den Republikanern über 90% sind - jeweils mit einer Steigerung in dieser Wahl in die jeweilige Richtung. Interessant ist auch, dass von den sechs Counties, deren Einkommensmeridian über 100.000$ liegt, fünf mehrheitlich für Obama stimmten.
Noch schlimmer für die Republikaner ist die gewaltige Zahl an Unsauberkeiten bei der Wahl, die fast ausschließlich auf ihr Konto gehören. Dazu gehört exzessives Gerrymandering, das nach Meinung derliberals der einzige Grund für die Mehrheit der Republikaner im House ist (nach reiner Stimmenzahl gewannen die Demokraten deutlich). Diese Deutung der liberals ist aber mindestens problematisch. Zwar ist es richtig, dass Gerrymandering ein Dauerproblem der amerikanischen Politik ist und sicherlich für viele solche Sitze verantwortlich ist; andererseits aber stehen die Demokraten nicht über diesen Dingen und dürften einige eigene Wahlkreise solcher Couleur in ihren Territorien haben. Genauso wie die mannigfaltigen Fälle von "voter supression" und die Stimmabgabe erschwerenden Gesetzen (wie etwa die "voter ID laws") gehört das Gerrymandering als negative Begleiterscheinung zu der "winner takes it all"-Mentalität der Amerikaner in Sachen Politik. Im Gegensatz zur deutschen Mentalität, wo wir eher die Spitze der Verwaltung auswechseln, heißt es in den Staaten "all spoils go to the victor", was eine Atmosphäre begünstigt, in der solche Absicherungsmechanismen der eigenen Macht als normal angesehen werden.
Dazu kommt, dass die Sitze im House nun einmal nach dem Mehrheitsprinzip und nicht nach dem Verhältnisprinzip vergeben werden. Die Gesamtzahl abgegebener Stimmen ist schlicht irrelevant. Zwar orientiert sich die Menge der vorhandenen Sitze grob an der Bevölkerungsverteilung; jedoch sind bevölkerungsarme Staaten immer noch deutlich überrepräsentiert, und die Mehrheit dieser Staaten ist republikanisch geprägt. Es besteht daher schlicht keine Korrelation zwischen der Mehrheit der abgegebenen Stimmen in den ganzen USA und den Verhältnissen im Repräsentantenhaus. Andernfalls wäre ja auch Obamas großer Vorsprung im electoral college illegitim, und das behaupten die liberals ja auch nicht. Man darf dieses Narrativ daher getrost zu den Mythen des Wahlkampfs zählen und auf den Müllhaufen werden, auf dem zahllose nutzlose Umfragen und Prognosen bereits liegen.
Dies führt uns zu der Einschätzung der Lage nach der Wahl. Eine der populärsten Einschätzungen aktuell ist, dass Obama jetzt erst recht oder immer noch nicht "richtig regieren" kann, da er keine Mehrheit im Kongress hat. Das aber ist Unfug. Eine Mehrheit im Kongress sagt per se nicht viel aus; Bill Clinton konnte seine Mehrheit 1992-1994 genausowenig helfen wie Obamas 2008-2010. Die Frage ist, ob Kompromisse geschlossen werden können oder ob sich das Drama um die Erhöhung der Schuldenobergrenze und das "fiscal cliff" wiederholen werden oder nicht. Die klare Niederlage der Tea Party und des Romney-Ryan-Ticket spricht eigentlich klar dagegen. Mit dieser Wahl ist die republikanische Strategie, möglichst umfassende Totalopposition zu betreiben und möglichst klare Kante gegen Obama und dieliberals zu zeigen, klar gescheitert. Das Land ist eher progressiver geworden. Es ist natürlich möglich, dass die Republikaner sich weiter radikalisieren; spätestens 2014 würden sie dafür aber die Quittung erhalten. Die Amerikaner dürften mehrheitlich von dem Streit die Schnauze voll haben, das zeigen die Zustimmungswerte zum Kongress des letzten Jahres deutlich genug (um 10%).
Völliger Quatsch sind außerdem die ersten Vorhersagen über den republikanischen Kandidaten 2016. Besonders Marco Rubio werden gerade große Chancen zugesprochen, besonders im Hinblick auf die Latinos. Wenn das wahr wäre, hätte Romney ihn als Vize-Kandidaten genommen. Rubio ist kubanischer Exilant und hat mit den mexikanischen Immigranten, die den Löwenanteil der Latinos stellen so viel gemein wie ein italienischer Immigrant in Deutschland mit der türkischen Minderheit. Davon abgesehen sind vier Jahre eine absurd lange Zeit, um solche Voraussagen zu machen. Jeder, der irgendwelche Prognosen über den Wahlkampf 2016 abgibt, redet Schwachsinn. End of story.
Zuletzt können die gerade in Deutschland dauerhaft beliebten Szenarien zum baldigen Untergang Amerikas (Aufstieg Chinas!) zu den Akten gelegt werden. Diese Geschichten nerven, wie Jan Fleischhauergewohnt einfühlsam beschreibt. Sie haben keine Grundlage. Die USA haben massive Probleme, aber sie stehen weder vor dem Kollaps noch vor "griechischen Verhältnissen", wie der Spiegel sich nicht zu schreiben entblödet. Diese Faktoren können ebenfalls auf den bereits erwähnten Misthaufen gepackt werden.
In der nächsten Zukunft ist mit einem Kompromiss in der Budgetfrage zu rechnen. Die Wahlen sind entschieden, und die Wähler haben Angst vor den automatischen Einschnitten. Es ist zweifelhaft, dass eine Mehrheit im Kongress ihren Namen unter den fiskalischen Selbstmord setzen wird, der zum 1. Januar 2013 andernfalls in Kraft treten würde. Stattdessen dürfte Obama seine Politik weiter ausbauen, die er auch bisher betrieben hat. Es wird sich wenig ändern im Vergleich zu den letzten vier Jahren - aber das ist eine gute Nachricht.