Nach der Filmpremiere
Erst am Donnerstag der vergangenen Woche wurde der Film der Öffentlichkeit vorgestellt. Vor Beginn der Vorführung warnte der Regisseur Andreas von Hören, dass sich Menschen mit schwachen Nerven die letzten 15 Minuten des Filmes besser außerhalb des Kinosaals aufhalten sollten. Denn im Film wird das Sterben nicht nur thematisiert, sondern auch gezeigt.“Wir werden am 15. Januar in die Schweiz fahren, um dort den Freitod zu finden. Wir danken Euch für die schönen gemeinsamen Stunden und grüßen Euch ein letztes Mal.” Ein Satz aus dem Brief, den das seit fast 60 Jahren verheiratete Ehepaar Kassler an ihre Freunde zum Abschied schreibt. “In über 90 Jahren Erdendasein durften wir 59 Jahre gemeinsam durch das Leben gehen. Jetzt haben wir beschlossen, auch den letzten Schritt gemeinsam zu tun.”
Das tut das Paar auch – und die Kamera ist dabei. Im Saal ist es totenstill als wir zusehen, wie die beiden Alten sich noch einmal küssen, den Tropf öffnen und sich die Hand halten. ‘So möchte ich auch einmal sterben’ dachte ich, als ich das stille Bild betrachtete. Meine Nachbarin trocknete sich ihre Augen mit einem Taschentuch, doch mich beruhigten dieses friedlichen, stillen und irgendwie sehr sanften Bilder.
So sterben: alles ist erledigt, man ist des Lebens voll bis obenan. Man konnte sich verabschieden von den Freunden und den wichtigen Dingen, die sich im Leben ansammeln. Noch einmal lachen, etwas reden und dann ganz still entschlafen. Ein wundervolles Wort: “entschlafen”, wenn man zuschaut, wie das Paar die Augen schließt.
Man könnte meinen, die Kamera lässt den Zuschauer zum Voyeur werden, in Intimes eintauchen. Man könnte gar meine, dass es ethisch kaum vertretbar ist, Menschen beim Sterben zu filmen. Doch das ist – wer den Film gesehen hat, wird mir zustimmen – nicht der Fall. Die Dokumentation bereitet auf diesen ruhigen Moment vor. Andreas von Hören spricht zuvor mit dem Paar und sitzt mit an ihrem Küchentisch. Stellt wenige Fragen und lässt die Gegenüber reden. Wobei: Vor allem redet sie. Das Kino wurde einige Male von Gelächter erschüttert. Denn zwar wurden die Fragen immer an beide; manche gar nur an ihn gestellt; doch geantwortet hat meist sie.
In der Zeit entwickelt man eine tiefe Sympathie für die beiden Alten. Man möchte sich einen Apfel aus dem Korb nehmen, der auf dem Küchentisch sitzt, an dem die Interviews meist stattfinden. Man möchte mitreden; Fragen stellen und den beiden am Ende die Hand drücken und sich verabschieden.
Unterbrochen werden die Gespräche immer wieder durch Interviews mit Fachleuten, die sich für das selbstbestimmte Sterben stark machen. So kommt Uwe-Christian Arnold ebenso zu Wort wie Gita Neumann (HVD Berlin). Doch die große Überraschung des Filmes und die Person, die die gesamte Dokumentation trägt, ist die schweizerische Ärztin und Sterbehelferin Dr. Erika Preisig. “Zum Leben gehört der Tod dazu” sagt sie. “Zum Leben könnte auch ein guter Tod gehören, ein schöner Tod, vielleicht ein geplanter Tod. Es ist für mich immer noch fremd, den Tod so zu planen, aber wir können dem Tod nicht entrinnen. Und warum müssen wir uns am Leben festklammern und im Leiden weitermachen?” Dr. Preisig ist Palliativmedizinierin und sagt: “Es ist nicht so, dass wir nichts mehr tun können. Aber wir können wenigsten noch den Menschen einen ganz friedlichen Tod im Beisein ihrer Angehörigen bescheren.”
Auf die Frage, ob es denn nicht gegen die ärztliche Standesehre gehe, Menschen beim Sterben zu helfen, ob sie sich dabei nicht in der Rolle eines “Gottes” sehen würde, der über das Leben bestimmen könne, antwortet sie, dass sich Ärzte diese Frage auch immer dann stellen müssten, wenn sie einen Menschen, der zum Beispiel einen Herzinfarkt hatte, ins Leben zurückholt. “Damit”, sagt sie, “pfuschen wir Ärzte Gott auch immer ins Geschäft.”
Stefan Daniel ist schwer an Multipler Sklerose erkrankt und sitzt im Rollstuhl. Die ersten Aufnahmen zeigen seine Bemühungen, sich die Zähne zu putzen. Schon das hat vermutlich nicht nur mich mit Mitleid vor der Leinwand zurückgelassen. Bei einem späteren Interview zeigt sich, dass die Krankheit unaufhaltsam fortschreitet: Daniel ist nicht mehr Herr seines linken Armes. Zu sehen, wie der Arm unkontrolliert herumfliegt, lässt selbst in der Stimme des Filmemachers den Schock erkennen, als er fragt: “Du wolltest eben den Tisch anfassen?” “Ja, aber das geht nicht mehr.”
Der inzwischen schwer behinderte 50-jährige hat sich schon lange dafür entschieden, seinem Leben ein Ende zu setzen, solange er dazu noch in der Lage sei. “Ich habe Menschen in ihren Betten leiden gesehen. Das will ich nicht.” Hinter ihm an der Wand hängt das Foto einer lachenden Frau. Ich habe die beiden zusammen gesehen: Die Augen beider leuchten auf, wenn sie sich anschauen. Stefan Daniel strahlt über das ganze Gesicht, wenn er von ihr spricht.
“Das hat viel mit Würde zu tun. Und meine Würde will ich mir nicht vom eigenen Körper wegnehmen lassen. Ich möchte in Würde sterben und nicht krepieren müssen.” Seine Freundin ist darüber nicht glücklich; er ebenso wenig. Doch schrieb er einmal in einem Gedicht: “und auch die freiheit / die du dir nimmst / manchmal fort zu gehen / und aus dieser freiheit / wiederzukommen / muss ich zu lieben bereit sein / wenn ich dich liebe / weil es deine freiheit ist” und so – das klingt in den Gesprächen mit ihm an, wird sie ihm die Freiheit geben, zu gehen, wenn er es an der Zeit dazu findet. Auch wenn er im Moment “pures Glück” empfindet – es wird der Tag kommen, an dem er sich entscheiden wird, den Schritt zu gehen. Denn einen Tag später – so seine Angst – wäre er vielleicht nicht mehr in der Lage, die notwendige Handbewegung zu tun; den Tropf nicht mehr öffnen zu können.
Bei der Premiere des Filmes war Stefan Daniel anwesend und stand – wie alle anderen Protagonisten des Filmes – den Fragen des Publikums zur Verfügung. Auffällig war, dass kaum jemand an ihn eine Frage richtete obwohl das Thema Sterbehilfe teilweise kontrovers diskutiert wurde. Nur an ihn stellte niemand aus dem Saal eine Frage. Möglich, dass er als Betroffener viel zu betroffen gemacht hat. Und hilflos; denn auch ich habe ihn in der Stunde, da wir mit vielen anderem am großen Tisch zusammen saßen, nur angelächelt aber nicht angesprochen. Alles, was ich sagen könnte, kommt mir nichtig vor oder es würde nach Mitleid klingen oder nach schulterklopfendem und bewunderndem “sie sind so tapfer”.
Daniel führt uns zu deutlich vor Augen, was es bedeutet, sich mit einer solch existentiellen Frage auseinander zu setzen und seinen eigenen Tod zu planen. Davor scheuen wir uns alle, die wir da im Saal saßen und später gemeinsam am Tisch.
Nic
Trailer:
Notausgang from Medienprojekt Wuppertal on Vimeo.
“Notausgang” – ein Film des Medienprojektes Wuppertal – nur dort für 30 Euro erhältlich. Lauflänge ca. 102 Minuten; in der DVD-Box gibt es rund 231 Minunten Bonusmaterial.
[Dieser Artikel erschien zuerst im hpd im Rahmen der Serie zu Filmen und Serien]