Das Social-Media-Team von Esprit hatte in den letzten beiden Tagen alle Hände voll zu tun. Ausnahmsweise musste man sich nicht mit teilweise abstrusen Vorwürfen von Tierversuchen, Kinderarbeit oder Dunpingpreisen beim Rohstoffeinkauf
Kik hat seine Sortiments-Strategie geändert und bietet als Sonderposten ab sofort auch Markenware an. Der Textil-Discounter beginnt mit Ware von Esprit, die am Mittwoch bundesweit in die Läden kommen wird. [...] Angeboten werden unter anderem Jeans, Cargo-Hosen, Blusen, Hemden, Tops und T-Shirts zum Preis ab 7,99 Euro.
Eineinhalb Tage ließ man in Ratingen die entsetzten Kunden und Markenfans allein, die wilde Verschwörungstheorien und Schlachtgesänge anstimmten. “also heute dachte ich wir fallen vom glauben ab, das ist doch wohl der oooooberhammer….esprit gibt es bei kik, das ist net zufassen”, war noch eines der harmloseren Statements. Andere gingen weiter und beschworen kurzum das Ende herauf: “esprit wird untergehen.” Gestern abend dann endlich eine Stellungnahme auf der Facebook-Seite von Esprit:
Die jüngste Aktion von KiK hat bei euch vielleicht schon für Irritation gesorgt. Hinter den Esprit Produkten, die bei dem Textil-Diskont ab sofort angeboten werden, können wir nicht zu 100% mit unserem Namen stehen.
Davon abgesehen, dass “vielleicht” und “Irritation” angesichts der erbosten Kommentare unverschämt tief gestapelte Einschätzungen sind, trug der erste Teil der Meldung leider nicht vollends zur Beruhigung bei. Wenn ein Hersteller nicht mehr 100%ig hinter seinen Produkten stehen kann, weckt das nicht unbedingt Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten als Textilexperte. Die Textilwirtschaft hatte zur Herkunft der Ware auch bereits eine Vermutung:
Woher die Ware stammt, hat Kik nicht preisgegeben. Mit Esprit in Ratingen habe man jedenfalls nicht verhandelt. Für mögliche juristische Schritte von Esprit hat Kik sich eigenen Angaben zufolge gewappnet.
Offenbar gelangten die Restposten von Esprit-Cordhosen und -Sweatshirts über einen unbekannten Zwischenhändler zu dem polarisierenden Discounter mit dem Spitzen-Testimonial. KiK sah die Chance eines Imagetransfers des beliebten Textilherstellers auf die eigene Händlermarke und griff entschlossen zu: Auch angesichts der Gefahr eines zähen und kostenintensiven Rechtsstreits wurde Esprit gelistet und prompt eine neue Sortimentsstrategie verkündet – eigentlich ein gelungener Zug.
Ähnlich geschickt stellt sich nun aber Esprit an. In Ratingen hat man die Zeit vor der ersten Stellungnahme gut genutzt und sich gegen eine Schlammschlacht vor den Gerichten der Nation entschieden. Statt dessen gräbt man KiK geschickt die Kunden ab, distanziert sich auf die härtestmögliche Weise von dem Gebaren des Ramschhändlers und erhöht auch noch die Frequenz in den eigenen Filialen. Wie das? Der zweite Teil der Meldung:
Wenn ihr Esprit Kleidung “wirklich” clever kaufen möchtet, dann bringt eure bei KiK erstandenen Esprit Styles umgehend in einen Esprit Store und ihr erhaltet bis Samstag, den 19.05.2012 euer Geld zurück und zusätzlich einen 10,- Euro Esprit Shopping-Gutschein. Gleichzeitig unterstützt Ihr auch noch einen guten Zweck!
Ein wirklich guter Zug: Während der Shitstorm schon aufzieht, wirft Esprit die Turbinen an und vertreibt die düsteren Wolken im Handumdrehen. Das Netz ist begeistert: Markenfans liken und sharen jede Meldung dazu, Zeitungen greifen die Story auf und geben einem Unternehmenssprecher jede Menge Raum, die Verwirrung aufzulösen: “Es sind Produkte, die aus Überproduktion in den internationalen Markt verkauft wurden – unter der Maßgabe, dass sie nicht zurück nach Europa gelangen.”
Dass sich mindestens einer der Zwischenhändler nicht an diese Maßgabe gehalten hat, könnte Esprit trotz der professionellen Reaktion teuer zu stehen kommen – befindet sich der Modekonzern doch gerade in einem groß angelegten vierjährigen Transformationsplan, der der Marke den Glanz vergangener Tage wieder einhauchen soll.