Nordwasser – eine Reise ins eisige Herz der Arktis

Nordwasser – eine Reise ins eisige Herz der ArktisBeim Lesen von Nordwasser habe ich mich in meine Teenager-Zeit zurückversetzt gefühlt und mich an Stevensons Schatzinsel erinnert. Dieser grobe Umgang der Seemänner miteinander, ihre Rum-Besäufnisse, ihre rauen Lieder. Das fand ich damals schaurig-schön. Wenn ich dann spätere Leserfahrungen und Romane wie Reise ins Herz der Finsternis (Joseph Conrad), Die Strasse (Cormac McCarthy) und Vater und Sohn unterwegs (Hedin Brù) dazu packe und alles gut mixe, dann kann ich vielleicht ungefähr beschreiben, was einen beim Lesen dieses Romans erwartet. Er ist eine Reise ins Herz der Finsternis, und er ist ganz sicher nichts für schwache Nerven. Doch so grausam wie er ist, so wunderschön ist er auch. McGuires grandiose Beschreibungen der eisigen Landschaften erzeugen in mir eine Demut vor der Macht der Natur.

1859 sticht die Volunteer unter Kapitän Brownlee Richtung Grönland in See, um Wale zu jagen. An Bord eine Schar hartgesottene Männer und drei der besten Harpunierer: Dax, Otto und Jones. Außerdem der feinsinnige Sumner, ein Arzt irischer Abstammung, welcher gerade aus den indischen Kolonien zurück gekommen ist und sich regelmäßig durch das Einnehmen von Laudanum betäubt. Noch glaubt Sumner, dass er auf dieser Reise viel Zeit für sich haben wird. Er will seinen Homer weiterlesen, vielleicht sogar Kohleskizzen und Aquarelle anfertigen von der Landschaft, die ihn erwartet. Für ihn fühlt sich das alles an wie eine kleine Ferienreise. Er freut sich auf die Eisfelder im Norden, auf Seeleoparden, Walrosse, Eisbären und Albatrosse.

McGuire aber erinnert uns immer wieder daran, dass die Stimmung an Bord weder heiter noch gelassen und die Atmosphäre eher düster und drückend ist. Von einem Bettler in den Docks erfährt Sumner bereits vor der Abreise, dass Kapitän Brownlee vom Pech verfolgt und Baxter (Besitzer der Volunteer) ein Geizkragen ist. Ein sehr aufmerksamer Leser kann übrigens noch mehr unglückliche Vorzeichen erkennen, doch darüber möchte ich an dieser Stelle schweigen, habe auch ich sie doch erst beim zweiten Lesen entdeckt.

McGuire scheut sich übrigens auch nicht, den Gestank und den Dreck der Gassen in London und später an Bord der Volunteer zu beschreiben. Hier strahlt und leuchtet es selten. Und geht es denn überhaupt um die Wale? An Bord wird gemunkelt, dass das teure Walöl in den Städten bereits durch billiges Petroleum ersetzt wird und in Grönland außerdem kaum noch Wale leben würden.

Auf großartige Weise und mit Sätzen, die lange nachhallen, erzählt der Autor davon, wie machtlos gegenüber den Kräften der Natur und wie klein der Geist des Menschen ist. McGuire findet für diese atemberaubende Story, in welcher es um Grönland und seine Tierwelt, aber eben auch um die Gier des Menschen nach Geld und Macht geht, ein sehr überraschendes Ende. Eine hochspannende Story also vom ersten pathetischen Ausruf Sehet den Menschen! (Seite 7) bis zum letzten Satz.

Ian McGuire. Nordwasser. Aus dem Englischen von Joachim Körber. mareverlag Hamburg 2018. 336 Seiten. 22 ,- €

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