Nomen est Omen

Sitze aufgeregt wie ein Teenager beim Tokio Hotel-Konzert mit der Freundin bei der Frauenärztin und starre auf einen 12-Zoll-Monitor, auf dem sich eine erdnussförmige Figur bewegt. Haben es nun tatsächlich grobkörnig und schwarz auf weiß: Wir bekommen ein Kind! Um präzise zu sein, bekommt die Freundin das Kind. Bedaure ausschweifend mit blumigen Worten meine pränatale Deprivation, die mir als Vertreter des männlichen Geschlechts die beglückende Erfahrung der Schwangerschaft und die damit einhergehende enge physisch-hormonelle Bindung mit dem Kind vorenthält. Bin tatsächlich insgeheim froh, in den nächsten Monaten nicht von Übelkeit und Wassereinlagerungen gepeinigt zu werden. Auch das unvermeidliche Vorstoßen der körperlichen Konstitution in Günter-Stracksche Dimensionen erscheint mir genauso wenig erquicklich wie bei der Entbindung etwas vom Umfang einer Honigmelone durch eine nadelöhrgroße Öffnung zu pressen. Behalte diese Gedanken aber lieber für mich, um das Bild des progressiven modernen werdenden Vaters zu pflegen.

Lasse meine Freundin auf dem Heimweg an meinen Gedanken zur Namenswahl teilhaben. Erkläre ihr, dass der Namen unmittelbaren Einfluss auf das spätere geistige Wohlbefinden des Kindes hat. Frage mich, warum manche Eltern ihren Kindern anscheinend schon vor der Geburt so viel Hass entgegenbringen, dass sie diese beispielsweise mit Namen wie Cinderella oder Pumuckl bestrafen, was insbesondere bei Nachnamen wie Rockhausen-Fleischmann eine befremdliche Kombination ergibt. So werden Kinder von Geburt an jeglicher Chancen auf soziale Teilhabe beraubt und demütigende Momente auf Schulhöfen und Sportplätzen sind vorprogrammiert. Warum nicht gleich das Kind „Du Opfer“ nennen?

Fühle mich in meinem onomastologischen Element und führe aus, es sei wichtig, dass sich Eltern bei der Verwendung der Namen ihrer Kinder in allen Lebenslagen wohlfühlen. Ein Faible für Namen, die der Welt der Oper entlehnt sind, mag sich vielleicht später beim Klaviervorspiel in der Musikschule auszahlen, aber wer will als Eltern schon gerne über den Spielplatz schreien: „Hör auf mit Sand zu werfen, Eurydike!“ Auch die Vorliebe für Namen der germanischen Mythologie erweist sich spätestens dann als tückisch, wenn durch das Kaufhaus der Ausruf ertönt: „Der kleine Odin möchte aus dem Kinderparadies abgeholt werden.“ Ebenso wenig sollte man sich dazu hinreißen lassen, sich bei der Namenswahl durch populäre Schauspieler inspirieren zu lassen. Sonst gibt es spätestens bei der Einschulung große Augen, wenn mehrere Keanus und Bruces mit Schultüten bewaffnet darauf warten, auf den Ernst des Lebens – den sie bei diesen Namen zweifellos bereits kennengelernt haben – vorbereitet zu werden.

Selbstverständlich sollte sich auch das Kind nicht für seinen Namen schämen müssen, wenn es sich zum Beispiel in der Tanzstunde vorstellt. Möchte nicht dafür verantwortlich sein, dass unser Kind nie das Tanzen erlernt, weil er seine potenzielle Tanzpartnerinnen mit den Worten ansprechen muss: „Ich bin Horst-Dieter. Würdest du mit mir tanzen?“. Versuche der Freundin vorzurechnen, was die psychotherapeutische Behandlung zur Verarbeitung des Traumas hervorgerufen durch die von Lachtränen begleitete ablehnende Reaktionen kosten wird. Muss mir daraufhin von der Freundin anhören, dass womöglich eher die Tanzstunde an sich das Problem darstelle, denn diese habe offenkundig bei mir trotz eines offensichtlich eher gewöhnlichen Namens zu bleibenden geistigen Schäden geführt.

Wechsle in Ermangelung eines schlüssigen Gegenarguments das Thema und sinniere darüber, ob wir einen Jungen oder ein Mädchen bekommen. Erkläre, dies sei mir im Prinzip egal, solange es dem Kind gut gehe. Außerdem solle es ein freundliches Wesen haben sowie hilfsbereit und einfühlsam sein. Intelligent und hübsch wäre auch nicht schlecht. Immerhin zwei nicht unwichtige Faktoren für späteren beruflichen Erfolg. Zumindest das Aussehen. Wissenschaftliche Studien belegen ja immer wieder, dass gutaussehende Menschen in der Arbeitswelt erfolgreicher sind als hässliche Zeitgenossen. Wobei mir bei dem Beispiel Helmut Kohls allerdings große Zweifel kommen, ob Intellekt und Schönheit tatsächlich in einem proportionalen Verhältnis zu Erfolg stehen.

Auch bei Vorständen von DAX-Unternehmen ist der Zusammenhang von Aussehen und beruflichem Aufstieg auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Da mehr als 95 Prozent der DAX-Vorstände männlich sind, scheint der Penis ein weitaus wichtigerer Erfolgsfaktor für die berufliche Karriere zu sein. Wenngleich dieser Zusammenhang nicht unmittelbar einleuchtet, da doch das primäre männliche Geschlechtsorgan den Gehirnen seiner Träger mehrmals täglich erigierenderweise das Blut entzieht. Das sind wahrscheinlich die Momente, wenn Männer die Entscheidung treffen, dass sich das Boot schon auf dem richtigen Kurs befinden wird und der Eisberg weit genug entfernt ist. Lasse mich dennoch zu der Bemerkung hinreißen, dass es mit Hinblick auf unsere eigene soziale Absicherung im Alter durch finanzielle Zuwendungen unseres Nachwuchses von Vorteil sein könnte, wenn wir einen Sohn bekämen. Entnehme dem entgeisterten Gesichtsausdruck der Freundin, dass ihr ob meiner konfusen Gedankengänge das Geschlecht unseres Kindes herzlich egal ist, so lange sich die mütterlichen Gene dominant-rezessiv vererben.

Aber beruflicher Erfolg ist ohnehin relativ. Hauptsache unser Kind ist zufrieden mit dem, was es später macht. Und was kann zufriedenstellender sein, als beispielsweise für die Entdeckung eines Heilmittels gegen alle bekannten und unbekannten Krebsarten den Medizin-Nobelpreis zu bekommen? Außer vielleicht mit einem Oscar für die beste Hauptrolle ausgezeichnet zu werden. Oder im WM-Finale in der Nachspielzeit das entscheidende Tor zu schießen. Frage die Freundin, ob wir nicht schon einmal nach Schauspielschulen und Sportvereinen für hochbegabte Kinder suchen sollten. Diese gibt mir zu verstehen, dass die mit Hinblick auf mein mangelndes kreatives und sportliches Talent wohl eher unnötig sei.

Komme nach weiterem Nachdenken zu dem Schluss, dass es eigentlich auch egal ist, wie erfolgreich das Kind mal wird, so lange es sich immer daran erinnert, dass die Eltern zu achten und zu ehren sind und es später nicht opportun ist, die dementen und inkontinenten Eltern in ein drittklassiges Altersheim abzuschieben. Stattdessen sollte für die Betreuung eine attraktive, gut ausgebildete und ebenso gut gebaute osteuropäische Altenpflegerin engagiert werden. Schließe aus dem parkinsonhaften Kopfschütteln der Freundin, dass sie wahrscheinlich gerade über die Vorzüge des alleinigen Sorgerechts nachdenkt. Wer könnte es ihr verdenken?


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