Viele Ideen sind ehrenwert und von Idealismus getragen. Denkt man an die Grünen mit ihrem Rotationsprinzip zurück, mit dem sie der Verfilzung der Partei vorzubeugen hofften, erkennt man das auch für die Piraten und ihre radikale "die Basis entscheidet"-Linie ebenso an. Nur ist absehbar, dass das auf Dauer nicht durchzuhalten sein wird. Die aggressive Reaktion auf Nerz' Vorstoß in der Koalitionsfrage - er hatte in einem Interview gesagt, dass er gerne mit FDP und Grünen koalieren würde, woraufhin er zurückrudern und es explizit als "Privatmeinung" darstellen musste - zeigt deutlich einen der elementaren wunden Punkte. In ihrer derzeitigen Form ist die Piratenpartei nicht koalitionsfähig. Da jede einzelne Entscheidung durch die Basis abgestimmt werden muss, ist die Planung für auch nur einen Monat Koalitionsarbeit, geschweige denn vier oder fünf Jahre, praktisch unmöglich. Die Partei könnte jederzeit den Koalitionspartner elementaren Fragen die Zustimmung verweigern, was den Bruch nach sich ziehen würde. Solange nicht Funktionäre in der Partei von ihr mit Befugnissen ausgestattet werden, muss sie ein reines Oppositionsorgan bleiben - und wäre damit neben der LINKEn das zweite davon im Parlament. Die arithmetisch möglichen Koalitionen sind damit fast ausschließlich auf SPD und CDU beschränkt.
Man sollte daraus aber nicht vorschnell einen Abgesang auf die Piratenpartei herleiten. Vermutlich wird die Partei bis 2013 nicht in der Lage sein, elementare Schwächen dieser Art zu überkommen und bis 2017 eine Oppositionspartei bleiben, vorausgesetzt sie schafft den Sprung in den Bundestag und die (wahrscheinliche) Große Koalition bleibt bestehen. Spätestens bis dahin aber wird sie fast zwangsläufig Schritte durchlaufen, die zu einer Änderung hin führen. Irgendein Landesverband wird vermutlich damit anfangen, und ein Ur-Problem der "die Basis entscheidet"-Linie wird offenkundiger werden: es werden sich einige Wortführer herauskristallisieren, die Entscheidungen der Partei maßgeblich vorantreiben, und sei es nur, weil sie sich in komplexeren Themenbereichen besser auskennen. Stichworte hierfür wären Euro- und Finanzkrise, Außenpolitik und Sozialpolitik, wo die Partei bislang ein unbeschriebenes Blatt ist. Entweder werden diese dann auch in Funktionärsstellen aufrücken, und der Anspruch als reines Ausübungsorgan wird fallengelassen, oder die Partei verfügt über eine nominelle und eine faktische Spitze, die eine Machtbalance finden. All diese Möglichkeiten aber führen weit vom aktuellen, chaotisch wirkenden status quo weg und hin zu etwas Neuartigem, das durchaus das Potenzial für ein Verbleiben im deutschen Parteiensystem besitzt.