Ich habe mich zu schämen! Ich und viele andere! Denn wir sind Krisengewinnler. Ganz unverfrorene Profiteure des geistig-moralischen Dilemmas, das uns immer zudrückender umarmt. Was täte ich, was täten viele meiner Kollegen, wenn es diese Krise nicht gäbe? Wovon schrieben wir? Und wir profitieren nachhaltig - denn unserem am Verfall sich schmarotzenden Geschäft liegen unendliche Zukunftsmärkte zu Füßen. Eigentlich müssten wir traurig sein, weil die Themen, die uns zum Schreiben drängen, beharrlich aktuell bleiben, nicht aus der Mode zu kommen scheinen - wir sollten uns schämen, dass wir nicht traurig sind; wir sollten traurig sein, dass wir uns nicht schämen wollen! Vorbei die Zeiten, in denen man mit den Leiden eines jungen Liebesgockels oder einer Räuberpistole ein zeitloses Werk schuf - wer heute zeitlos sein will, der muß im asozialen Dickicht unserer Epoche wildern. Wer zeitlos sein will, der braucht nichts über edle Gefühle wie Liebe und Sehnsucht niederschreiben, der sollte sich eher an den Zottelbärten zynischer Vernunft verbreitender Philosophen oder Rassenkunden-Crashkurs abhaltenden Ex-Senatoren herauf- und herunterhangeln. Zeitlos und unvergänglich war früher das erhabene Sentiment - ein klassischer Evergreen wird zukünftig sein, über das Heruntergekommene, das Abgewirtschaftete, das Asoziale geschrieben zu haben.
Oh ja, ich sollte mich was schämen, ein Buch geschrieben zu haben, das man heute oder in einigen Jahren mit der gleichen Aktualität lesen kann! Ob ich nun von "feuchten Schößen", "Tretminen" oder "eingezäunten Welten" schrieb - die Welt wird in ein Paar Jahren nur unwesentlich anders aussehen. Die Texte werden dann noch immer nicht sinnlos geworden sein. Der Eitelkeit des Schreiben
Zeitlosigkeit haben wir denen zu verdanken, die in ihren unendlichen Auslassungen menschenhassender und inhumaner Art, uns das notwendige Futter liefern. Das rationelle Wesen jenes Autors, der die Leiden eines jungen W. zu Papier brachte, musste sich einst beim entrückten und schwelgenden Romantiker bedanken, der seine Liebelei manchmal bis an die Grenze seines Atems brachte - wir bedanken uns beim Rüpel, beim Gesellschaftsrowdie. Letzterer expandiert wild - Unzugehörig wird aktuell bleiben. Wenn es also überhaupt etwas gibt, was den wirkungslosen Schriftsteller tröstet - und wirkungslos sind wir ja beinahe alle, sofern wir nicht Matthäus, Markus, Lukas oder Johannes heißen -, so ist es der Umstand, auch weiterhin etwas zu einem Thema zu sagen zu haben.
"Unzugehörig" von Roberto J. De Lapuente ist erschienen beim Renneritz Verlag.