«Nimm dir n strick psycho»
Jakob (Jonas Nay) ist ein stiller Junge. Der 15-Jährige steckt mitten in der Pubertät, die Hormone spielen verrückt. Freunde hat er wenige, dafür ein Auge auf die kesse Hannah geworfen. Auch die mag ihn. Langsam beginnt er sich ihr anzunähern. Und die einzige, der er das anvertrauen kann, ist seine Kamera. Jakobs Hobby sind Videofilme. Er dreht einen über sich, wie er onaniert und dabei «Hannah, ich liebe dich» stöhnt.
In seiner Familie herrschen Schreie und dann wieder Sprachlosigkeit. Vater (Wotan Wilke Möhring) und Mutter (Nicole Marischka) haben genug mit sich zu tun und keinen Nerv für die Probleme ihres Jungen. Jakob akzeptiert schweigend. Bis die Mutter gedankenverloren die Kamera an seinen Schulkumpel verleiht. Drinnen ist noch die Speicherkarte und darauf Videomaterial, das Jakobs Leben zur Hölle werden lässt. Ein Mitschüler stellt es ins Internet.
Cybermobbing ist das Schlagwort. Homevideo ist der erste deutsche Fernsehfilm, der sich damit beschäftigt. Und das radikal gut, findet die Jury des Deutschen Fernsehpreises. Homevideo wurde als bester Fernsehfilm 2011 ausgezeichnet. Hauptdarsteller Jonas Nay bekam den Förderpreis für seine «schonungslose und präzise Darstellung eines Teenagers, der unaufhaltsam im Strudel der Ereignisse ertrinkt».
Experten teilen das Urteil. Entwicklungswissenschaftler Professor Herbert Scheithauer beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Cybermobbing. «Der Film stellt die einzelnen Charaktere – Täter, Opfer, Schule – mit Bravour dar. Er schafft es, die Vielschichtigkeit des Problems zu zeigen.»
Laut einer Forsa-Umfrage waren 32 Prozent aller Jugendlichen in Deutschland zwischen 14 und 20 Jahren schon einmal Opfer von Cybermobbing. Das heißt, sie sind über neue Kommunikationsmittel wie E-Mails, soziale Netzwerke, Handy oder wie in Jakobs Fall Videoportale beleidigt, bedroht, belästigt oder bloßgestellt worden.
Der Fall im Film ist zwar überspitzt und nicht die Regel. «Ich finde es dramatisch, dass wir immer solche Beispiele brauchen, damit wir hinschauen», sagt Scheithauer im Gespräch mit news.de. Dennoch ist Jakob ein typisches Opfer. «Wir finden beim Cybermobbing häufig Opfer, die wenige Freunde haben, zurückgezogen sind und nicht wissen, damit umzugehen.»
Momentan untersucht Scheithauer an der Freien Universität Berlin, ob Opfer von Cybermobbing ängstlich und depressiv werden oder eine gewisse Ängstlichkeit und Depressivität Risikofaktoren sind, um Opfer zu werden. «Diese Frage können wir noch nicht klar beantworten. Die Opfer von Cybermobbing entwickeln aber häufiger Angststörungen, sind depressiv, berichten von Einsamkeit und Isolation.»
Wurden Schüler früher auf dem Schulhof drangsaliert, setzt sich das Martyrium nun im Internet fort. Die Hemmschwelle für mögliche Täter ist geringer, da sie anonym bleiben können. In einer Studie der Technischen Universität Berlin geben Betroffene an, dass Cyber- schlimmer als Schulmobbing empfunden wird, weil es im Internet vor größerem Publikum stattfindet.
Im Film wird Jakob mit Chatnachrichten wie «Dir ham sie wohl ins Gehirn gefickt» und «Nimm dir n strick psycho» drangsaliert. Seine Geschichte endet tragisch. Doch was können Eltern in der Realität tun, dass es nicht so weit kommt? Ein Vertrauensverhältnis zum Kind ist Voraussetzung, um Cybermobbing zu erkennen. «Wichtig ist es auch, dass ich mich als Elternteil über neue Medien informiere. Man muss wissen, was passiert im Internet, um beurteilen zu können, welche Auswirkungen das auf Kinder haben kann», sagt der Experte. Und sogenannte Peer-Beziehungen (gemeint sind Beziehungen zu Gleichaltrigen) seien wichtig. «Hätte Jakob Freunde gehabt, die sich für ihn einsetzen, hätte er einen Schutzrahmen und es wäre nicht zu dem schlimmen Ende gekommen.»
Bestes Zitat: «Ich hab nochmal mit unserem Computerfachmann gesprochen. Ich würde gern den Rechner mit in die Spurensicherung nehmen. Die können die IP-Adresse rauskriegen, da kann man feststellen, wer das ins Netz gestellt hat. Das ist nämlich eine Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahme, Paragraf 201a StGB» (Jakobs Vater, ein Polizist, bleibt bis zum Schluss rational und versteht eigentlich nichts)
Titel: Homevideo
Regie: Kilian Riedhof
Darsteller: Jonas Nay, Wotan Wilke Möhring, Nicole Marischka, Sophia Boehme
Sendetermin: Mittwoch, 19. Oktober 2011, 20.15 Uhr, Das Erste
Im Anschluss an den Film wird bei Anne Will diskutiert. Thema: «Wir machen Dich fertig» – Mobbing im Internet. Zuschauer können sich im Live-Video-Chat unter www.daserste.de/homevideo mit Experten austauschen.
Quelle:
Nachrichten -
Medien Nachrichten -
Starker Mobbing-Film – «Nimm dir n strick psycho»
Tags:
Tags: Homevideo, Jonas Nay, Kilian Riedhof, Nicole Marischka, Sophia Boehme, Wotan Wilke Möhring