Zuerst habe ich gedacht, ich sei die Einzige, die etwas an ihm auszusetzen hätte. Immerhin ist der kleine Pirat mit der Schmusedecke omnipräsent und damit er dies sein kann, muss er ja zuerst einmal zu einem Renner werden und das wird ein Kinderzimmerheld gewöhnlich nicht ohne die Hilfe von Müttern, Vätern, Grosseltern und Paten, die bereits sind, das Portemonnaie zu zücken, wenn der Nachwuchs einen Wunsch äussert. Käpt’n Sharky also hat es bis ganz nach oben geschafft und ich gestehe euch an dieser Stelle, dass ich beinahe auch auf ihn reingefallen wäre. Immerhin sind die Bilder, die ihn umgeben so wunderbar bunt und ansprechend, wie man sie selten sieht bei Kinderzimmerhelden, die vorwiegend für Jungs gemacht sind. “Endlich mal einer, der etwas Farbe in die trübe, marineblauarmeegrünschlammbraunedinosaurierbaustellenlaserschwert Welt der Jungs bringt”, staunte ich, als ich vor einigen Jahren dem kleinen Piraten zum ersten Mal begegnete. Weil aber der kleine Pirat so gut vermarktet wird, dass wir uns seine Accessoires nur selten leisten können, blieb es lange bei einer flüchtigen Bekanntschaft.
Neulich aber brachte der FeuerwehrRitterRömerPirat, der jetzt im Kindergarten auch in die Bibliothek geht, ein Käpt’n Sharky Buch mit nach Hause. Cool, dachte ich, endlich lerne ich den mal näher kennen. Das wird bestimmt lustig. Und dann wurde ich enttäuscht, wie ich noch selten in einem Kinderbuch enttäuscht worden bin. Die Bilder zwar schön bunt und ansprechend, die Handlung aber so zerstückelt und zufällig, dass man von der einen Seite zur nächsten schon beinahe den Faden verliert. Das Ganze erzählt in der Art eines Schüleraufsatzes, der vom Lehrer zwar von Orthographiefehlern befreit, vom Schüler aber weder in Satzbau noch Aufbau der Geschichte überarbeitet wurde. Jedes Mal, wenn eines der Kinder mit dem Buch vor mir stand und mich bat, ihm daraus zu erzählen, suchte ich ganz dringend nach Ausreden, die mir diese Tortur ersparten. “Soll ich dir nicht lieber aus der Wegleitung zur Steuererklärung vorlesen? Das ist viiiiiieeeel spannender. Oder möchtest du vielleicht ein Bild über die letzen Bundesratswahlen malen?” Leider liessen sich die Kinder von meinen Vorschlägen nicht begeistern und so erzählte ich einmal mehr vom kleinen Piraten und versuchte verzweifelt, mit Ausschmückungen, verstellten Stimmen und dem Aufbau von Spannung dem Text zu geben, was ihm fehlt. Aber ich scheiterte kläglich, denn ich brachte es einfach nicht fertig, die Langeweile aus meiner Stimme zu verbannen.
Anfangs dachte ich ja, ich sei wohl mal wieder überkritisch. “Am Ende bist du gar neidisch, dass Käpt’n Sharky die Buchläden im Sturm erobert hat, während Leone & Belladonna noch kaum einer kennt”, schalt ich mich. Doch eine kleine Umfrage im Kreise meiner Mitmütter ergab, dass ich für einmal nicht alleine dastehe mit meiner Meinung. Wo ich auch nachfragte, die gleiche Reaktion: “Oh nein, Käpt’n Sharky! Verschone mich mit diesem Langweiler! Die Bilder sind ja okay, aber der Rest…” Beflügelt durch diese Reaktionen wage ich nun heute nach langem Zögern mein Coming-Out: Ich hasse Käpt’n Sharky. Könnte vielleicht mal einer dafür sorgen, dass der arme kleine Kerl einen anständigen Texter kriegt, damit wir Mütter nicht regelmässig einschlafen beim Vorlesen? Wenn am Ende die Mama schläft, die Kinder aber noch wach sind, ist nämlich etwas ganz gewaltig schief gelaufen…