Blick in die Ausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945“ | © Jens Weber
Worte, mit denen der Überlebende der Schoa Max Mannheimer zum Befreiungstag des KZs Dachau am 20. April 2001 mahnte, markieren den Beginn der Ausstellung: „Rechtsextremismus steht nicht nur in der Zeitung, sondern kommt täglich wirklich vor.“
Was zunächst selbstverständlich erscheinen mag, birgt eine tieferliegende, bittere Wahrheit: „Im Jahr 2016 gab es laut Verfassungsschutz rund 3.500 rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten“, sagt Winfried Nerdinger, Gründungsdirektor des NS-Dokumentationszentrums München. Im Durchschnitt sind das etwa zehn pro Tag. Von den meisten wüssten wir jedoch nichts, da diese im Normalfall in den Medien nicht auftauchen.
„Nie wieder. Schon wieder. Immer noch. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945“ heißt die neue Sonderausstellung, die seit dem 29. November im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist.
„Nie wieder“ – das war der Schwur der Befreiten des KZs Buchenwald am 19. April 1945.
„Schon wieder“ musste es heißen, als sich bereits kurz nach Kriegsende ehemalige aktive Nationalsozialisten in neu gegründeten deutschnationalen, nationalkonservativen und Vertriebenenparteien sammelten, um das von der Militärregierung erlassene Verbot offen rechtsextremer Parteien zu umgehen.
„Immer noch“ bezieht sich auf die Morde der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“, auf die Anschläge auf Asylunterkünfte und den Aufschwung rechtspopulistischer Parteien, die unsere Gegenwart bestimmen.
Die Sonderausstellung versteht sich als eine Fortsetzung der Dauerausstellung „München und der Nationalsozialismus“, an deren Ende man sich fragen muss: Kann es wieder geschehen? Erarbeitet wurde sie in Kooperation mit Miriam Heigl und der Fachstelle für Demokratie, Marcus Buschmüller und der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e.V. (a.i.d.a.) sowie dem Journalisten Ulrich Chaussy.
Neben den zwei Zitaten Mannheimers sind Begriffsdefinitionen zu lesen, denn Rechtsextremismus, der sich grundsätzlich gegen die Verfassung richte, wird laut Nerdinger zwar als ein „signalhafter titelgebender Oberbegriff“ verwendet, in der Darstellung solle er aber klar abgegrenzt werden von Rechtsradikalismus und Rechtspopulismus, die sich am rechten Rand innerhalb der Verfassung bewegten. Ein Zeitstrahl zieht sich durch die gesamte Ausstellung, der zweigeteilt zum einen rechtsextremistische, rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien, Organisationen und Personen sowie ihre Aktivitäten und Übergriffe dokumentiert und zum anderen auf „oft mangelhaft erscheinende“ Gegenwehr verweist. Er beginnt im Jahr 1945 mit der in München gegründeten Protestpartei „Wirtschaftliche Aufbau-Vereinigung“ (WAV), von der sich 1947 eine extrem nationalistische Gruppe um den Landtagsabgeordneten Karl Meißner (1920-1996) abspaltete und den rechtsextremen „Deutschen Block“ ins Leben rief, beleuchtet die Zersplitterung des rechtsextremen Lagers in den 1970er Jahren, das von Gundolf Köhler, einem Anhänger der neonazistischen Wehrsportgruppe Hoffmann, ausgeführte „Oktoberfestattentat“ vom 26. September 1980 sowie die rassistischen Ausschreitungen der neunziger Jahre in u. a. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Solingen, und er endet mit einem Verweis auf die Rede von Karl Richter, NPD-Politiker und Stadtrat der „Bürgerinitiative Ausländerstopp“, bei Pegida München auf dem Marienplatz am 27. März 2017.
Buttons der rechten Szene aus der Sammlung der Antifaschistischen Informations-, Dokumentations- und Archivstelle München e. V. (a.i.d.a.) | © Marcus Buschmüller
Auf der gegenüberliegenden Wand zu dieser „Spur der Gewalt“ dokumentiert die Ausstellung die Namen der mindestens 192 Personen, die von der Amadeu Antonio Stiftung seit 1990 als Opfer rechtsextremer Gewalt erfasst wurden. Da den Rechtsextremismus nur bekämpfen kann, wer seine Strategien und Methoden versteht, widmet sich die Ausstellung auch der Weltanschauung mit ihren wesentlichen Bestandteilen. Zehn dreieckige Säulen stehen wie in einem Kaleidoskop einander zugewandt und verdeutlichen anhand von Materialien von a.i.d.a. die verschiedenen Facetten der Ideologie, die immer auch aufeinander bezogen sind: vom Nationalchauvinismus bis zum Sexismus und vom Sozialdarwinismus bis zum Antisemitismus.
Im Gegensatz zu den geschichtsrevisionistischen Forderungen nahezu aller rechten Bewegungen verstehe sich das NS-Dokumentationszentrum als ein Ort des Lernens aus der Geschichte, sagt Nerdinger. Anknüpfend an Primo Levis Diktum: „Es ist geschehen, und folglich kann es wieder geschehen“, formuliert es auch die Kuratorin Miriam Heigl sehr deutlich: „Die Ausstellung ist eine Warnung.“
Die Ausstellung „Nie wieder. Schon wieder. Noch immer. Rechtsextremismus in Deutschland seit 1945“ kann noch bis zum 2. April 2018 im NS-Dokumentationszentrum München besucht werden. Begleitend wird ein umfassendes Bildungs- und Veranstaltungsprogramm angeboten und es erscheint ein Katalog, zu beziehen über die Literaturhandlung.
Als nächstes wird am 30. November 2017 der Film „Das braune Netzwerk – Rechtsextremismus in der Mitte Deutschlands“ gezeigt werden.