“Ghosteen”
(Rough Trade)
Natürlich hätte man sich damals wundern können, wie schnell nach dem tragischen Unfalltod seines Sohnes im April 2015 Nick Cave das Album „Skeleton Tree“ veröffentlichte. Doch wie sonst soll der Künstler Verlust, Verzweiflung und Hilflosigkeit, die ihm plötzlich so nah an Leib und Seele gerückt sind, verarbeiten, wenn nicht mit seinen ureigensten Mitteln? Mag sein, dass es Cave zupasse kam, dass er sich ohnehin als Trauerarbeiter und Schmerzensmann begreift, dass ihm die dunkle Materie Zeit seines Musikerlebens vertraut ist. Dieses Unglück jedoch hatte eine andere, eine unmittelbare Qualität, auf die wohl niemand, auch nicht Cave, jemals vorbereitet ist. Wie auch. Um so schwärzer dann die ersten Songs danach, „I Need You“ bekam man aus dem Schädel nicht mehr heraus – das Leid wurde selbst dem Zuhörer ein Stück weit begreifbar. Und war, das wissen wir jetzt, doch nur der Anfang.
Denn die Bewältigung des Unbegreiflichen hatte mit „Skeleton Tree“ gerade mal begonnen, auf „Ghosteen“ setzt sie sich in aller Konsequenz fort, noch ausführlicher, düsterer, selbstquälerischer als zuvor. Ist der Sound, den Cave mit seinen Gefährten erzeugte, stets gleichwertiges Stilmittel gewesen, so rückt er ihn auf dem neuen Doppelalbum deutlich hinter den gewaltigen Text, stellt er nur mehr die äußerst reduzierte Begleitung zu den Sprachbildern, Betrachtungen, Balladen biblischen Ausmaßes, wie sie eben nur Cave selbst zu erzählen weiß. Bis weit in das letzte Stück „Hollywood“ hinein, eines von zwei Zwölfminütern, sind keinerlei Drums zu vernehmen, ganz so, als hätte Cave Angst, durch die Schläge die Andacht zu verlieren und so die Zwiesprache mit dem Geist des Vermissten zu stören.
Das nämlich ist auch dieses Werk: Selbst- und Zwiegespräch in einem, ein ständiges Umherwälzen dunkler Gedanken, Ahnungen und Zweifel auf der einen Seite und dann wieder direkte Ansprache an den, zu dem zu sprechen nicht mehr möglich ist – übervoll mit Sehnsucht und Liebe. Eine Totenmesse, fürwahr, viel mehr aber noch die dringende Bitte um Erlösung. „Peace will come in time, peace will come for us“ heißt es im „Spinning Song“ gleich zu Beginn, das klingt noch recht zuversichtlich, doch schon das herzzerreißende „Waiting For You“ läßt ahnen, dass es so schnell nichts wird mit dem inneren Frieden: „Sometimes it’s better not to say anything at all“ singt Cave hier fast als Selbstanklage, gleich danach dann: „Sleep now and take as long as you need, cause I’m waiting for your to return“. Beklemmende Zeilen von einem, der nicht loszulassen gewillt ist.
Und es wird nicht leichter, nicht heller. Biblische Motive tauchen auf, keine Seltenheit bei Cave (mehrmals die Pieta mit dem sterbenden Sohn auf dem Schoß), vermischt mit Sagengestalten – schon das für seine Verhältnisse recht ungewöhnliche, phantastische Covermotiv gibt reichlich Anlaß zur Deutung. Sonst so sonnige Orte wie Malibu erscheinen bei Cave in grellem, seltsam toten Licht, „fields of smoke, black butterflies, screaming horses“, eine wahrhaft gruselige Kulisse („Sun Forest“). Manches wiederum verbleibt im Ungefähren, läßt sich schwerlich deuten, so die Traumwelt in „Galleon Ship“, dem „Leviathan“ oder auch die trostlosen Zeilen von „Fireflies“ – „a star is just a memory of a star, we are fireflies, pulsing dimly in the dark, we are here and you are where you are.“
Besagtes „Hollywood“ als Schlüsselstück, verpackt in eine Art von buddhistischer Weise, schließt dann tatsächlich die Klammer – dramatisch, mit softem Beat zu Bass, Streichern und Piano. Cave hadert hier nochmals mit seinem Hauptthema, der Erlösung: „It’s a long way to find peace of mind“, um wenig später zu erkennen: „Everybody’s losing someone … and I’m just waiting now for my time to come, I’m just waiting for peace to come.” Über den Titel des Albums kann man ja durchaus spekulieren – die Wortverwandtschaft zum Begriff des “Ghosting”, also des Nebeneinanderherlebens zweier Menschen, unfähig zu Kommunikation und Gefühlsregung. Cave ist mit seinem Sohn der Gegenüber dagegen jäh entrissen worden, da wo er reden, mitfühlen möchte, ist niemand mehr, nurmehr eine Erinnerung, ein Geist. Und wir sind Zeugen seines anhaltenden Leidens.