“Nichts tun” – ein Missverständnis?

“Nichts tun” – ein Missverständnis?Diese Tage habe ich mir Zeit genommen und bin für einige Tage in den Urlaub gefahren. Ganz selbstverständlich war auch der Gedanke und Wunsch mit im Gepäck endlich mal wieder nichts zu tun. Wie sagen wir so gerne: Die Beine ausstrecken, den eigenen Gedanken nachgehen, die warme Sonne auf der Haut spüren, usw. Ihnen fallen sicherlich auch noch einige Sätze ein, wenn es darum geht, einmal wirklich “nichts zu tun”.

Sehr bald wurde mir allerdings auch klar, dass dieser Wunsch, den so viele Menschen mit sich tragen und der auch mich getrieben hat, überhaupt nicht zu realisieren ist. Der Wunsch “nichts zu tun” ist nichts weiter als ein künstliches Konstrukt unser eigenen Gedanken, Bilder und Wertevorstellung.

Wie stehen Sie dazu?

Ich lade sie in einer kurzes Übung dazu ein, sich selbst über zwei Aspekte bewusst zu werden. Um die Antworten auch aus Ihrem Körper zu erhalten und nicht nur aus den spontanen Gedanken, wäre es von Vorteil, sich etwas Zeit zu nehmen.

Es ist egal, ob Sie sitzen, liegen oder stehen. Betrachten Sie kurz die Situation in der sie sich befinden, wo sind Sie? Was befindet sich um Sie herum? Gibt es etwas das Sie berühren – eine Stuhloberfläche, den Boden auf dem sie stehen? Geben Sie sich etwas Zeit Ihren Körper zu spüren. Wandern Sie mit Ihrer Achtsamkeit zu Ihrem Atem im Bauchbereich. Spüren Sie, wie sich der Bauch hebt beim Einatmen und senkt beim Ausatmen. Sie können die Augen schließen oder auch offen lassen. Nehmen Sie sich einen Moment Zeit Ihren Atem zu erleben.

Gehen Sie nun mit Ihrer Aufmerksamkeit in den Brust- und Herzbereich und stellen Sie sich die Frage:

Was verbinde ich mit dem Begriff “nichts tun”?

Geben Sie sich mindestens 60 Sekunden Zeit. Bleiben Sie entspannt, die Antworten werden von ganz allein entstehen. Halten Sie Ihre Aufmerksamkeit in ihrem Körper und empfangen Sie die Antworten. Das können Bilder und Erinnerungen aber auch Sätze und Symbole sein.

Wenn Sie das Gefühl haben hier keine weiteren Antworten zu bekommen, dann stellen Sie sich eine zweite Frage:

Wann haben Sie das Gefühl etwas “zu tun”?

Geben Sie sich auch hier ausreichend Zeit für die Antworten. Sie werden möglicherweise feststellen, dass sich neben den spontanen ersten Gedanken, ganz andere Antworten ergeben, wenn Sie sich etwas mehr Raum und Zeit geben.

Zum Abschluss der Übung, kommen Sie bitte wieder in das “Hier-und-Jetzt” zurück. Schauen Sie sich kurz um, betrachten Sie wieder Ihre Umgebung und wenn sie wollen, strecken und dehnen Sie sich.

Nun bin ich ja sehr gespannt auf Ihre Antworten. Leider bietet der Blog keine Möglichkeiten, ein direktes Feedback zu geben, daher möchte ich Sie einladen, Ihre Erfahrungen in einem Kommentar zu schreiben.

Aus meiner Erfahrung ergeben sich oft die folgenden Antworten:

“Tun” und “Nichts-Tun”

Die meistens Antworten zum “nichts-tun” lauten wie folgt:

  • Auf dem Sofa liegen und Musik hören, oder nur die Beine ausstrecken
  • Fernsehen, sich berieseln lassen
  • Spazieren gehen
  • Urlaub (ohne weiter ins Detail zu gehen)
  • Lockeres Gespräch mit einem Freund

“Tun” wird oft mit den folgenden Aussagen in Verbindung gebracht:

  • Arbeiten gehen
  • Sport treiben, aktiv sein
  • Kino gehen, lesen, ausgehen
  • Freunde besuchen
  • Leistung erbringen
  • Danach ein Ergebnis sehen zu können
  • Wird im Wert höher eingeschätzt, im Vergleich zum “Nichts-tun”

Waren auch Ihre Antworten dabei? Was sind Ihre ganz individuellen Ergänzungen? Würden einzelne Antworten der anderen Kategorie zuordnen?

Was fällt Ihnen auf, wenn Sie Ihre eigenen oder die hier aufgezeigten Antworten lesen und hören? Könnte es sein, dass wir den Begriff “nichts-tun” für ganz unterschiedliche Zwecke einsetzen, wie z.B.

  • Diese Tätigkeit macht mir Spaß
  • Diese Tätigkeit bringt mir Energie
  • Bei dieser Tätigkeit kann ich mich erholen
  • Ich muss mich nicht anstrengen
  • usw.

Allerdings haben die dargestellten Tätigkeiten des “nichts-tun” überhaupt nichts mit der eigentlichen Bedeutung im Sinne von “ich tue nichts” gemein. Denn sie tun doch immer etwas, oder? Gibt es überhaupt etwas, das in diese Beschreibung des “nichts-tun” hinein passt? Wann würden wir wirklich, wirklich “nichts-tun”?

Ich bin der Meinung, dass wir dieses Wortkonstrukt nur nutzen, um verschiedene Tätigkeiten zu unterscheiden. Es ist nichts weiter als eine Metapher, die uns allerdings etwas suggeriert, das wir nie erreichen können. Nicht wenige bleiben bei der Vorstellung und dem Wunsch endlich einmal “nichts zu tun” erfolglos und sind sogar enttäuscht, weil sie es wieder einmal nicht geschafft haben “Nichts-zu-tun”.

Energie geben, oder erhalten

Ich möchte Sie dazu einladen, für sich zu prüfen, ob eine alternative Betrachtung mehr Flexibilität bringt und die Chance auf eine erfolgreiche Umsetzung erhöht.

Gehen Sie bitte einmal davon aus, dass Sie immer etwas tun und Sie daher die Idee des “nichts-tun” aus Ihren Gedanken streichen könnten. Wenn wir dann im Sinne der Achtsamkeit sagen würden: wenn Sie schlafen, dann schlafen Sie; wenn Sie gehen, dann gehen Sie; wenn Sie arbeiten, dann arbeiten Sie, usw. – dann beschäftigen Sie sich also immer mit etwas. Auch wenn Sie versuchen “nichts-zu-tun”, tun sie etwas. Diese Sichtweise hilft uns eine Unterscheidung auf einer anderen Ebene zu treffen.

Diese Unterscheidung betrachtet unseren Energiefluss, den Sie mit einer Tätigkeit verbinden. Geben Sie, bzw. verlieren Sie Energie, oder sammeln sie Energie bei einer Tätigkeit. Unser Körper benötigt Energie, um Leistungsfähig sein zu können. Damit meine ich nicht nur die Energie, die wir durch die Nahrung zu uns nehmen, sondern auch die “seelische” Energie.

Wenn Sie dieser Annahme soweit folgen können, dann stellt sich die Frage: Welche Tätigkeiten rauben Ihnen Energie und mit welchen Tätigkeiten schenken Sie sich Energie?

Wenn Sie sich die Zeit nehmen wollen, dann machen Sie die Übung von oben nochmals mit diesen zwei neuen Fragen und prüfen Sie, wie die Antworten nun ausfallen. Erhalten Sie die gleichen Rückmeldungen oder unterscheiden sich diese?

Diese geänderte Betrachtungsweise kann Ihnen helfen nicht an einer, meiner Ansicht nach wenig hilfreichen Unterscheidung von “tun” und “nichts-tun” festzuhalten. Die Akzeptanz, dass wir immer etwas tun, selbst wenn wir “nichts-tun” wollen, führt uns zu der Überlegung, was uns gut tut und nach welchen Tätigkeiten es gut wäre unsere innere Batterie wieder aufzuladen.

Es geht auch nicht darum, nur noch Dinge tun zu wollen, die uns Energie bringen oder geben. Wir leben von Kontrasten, wir leben von Unterschieden, von einem geben und nehmen. Es wird immer Tätigkeiten geben, die mehr Energie kosten, als dass sie uns zurück bringen. Der Ausgleich ist das, was wir benötigen, die Balance.

Hierfür ist es wichtig, dass Sie für sich ganz persönlich feststellen, wann Sie Energie tanken können. Und sollte der Wunsche wieder auftauchen: “Endlich mal nichts-zu-tun” – dann haben sie nun eine Option, die sie wählen können. Anstelle der erfolglosen Suche nach dem “nichts-tun”, diese Tätigkeit zu wählen, die Ihnen Spaß macht und Ihre eigene Batterie wieder auflädt.

Ich wünsche Ihnen weiterhin eine achtsame Zeit, Ihr Olaf Karwisch


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