Denis Scheck, deutscher Literaturkritiker,
schrieb erst vor Kurzem, dass niemand, der die „Metamorphosen“ des Ovid gelesen hat, einen Olivenbaum jemals wieder so ansehen könne wie vor der Lektüre.
Tatsächlich ist die Geschichte um Daphne und Apoll eine zu Herzen gehende. Die von Apoll bedrängte Daphne verwandelte sich, um Apoll zu entkommen, vor den Augen des liebenden Gottes in einen Olivenbaum. Aus Kummer und um immer an seine Angebetete erinnert zu werden, flocht dieser sich aus den Blättern des Baumes einen Kranz, den er fortan auf dem Kopf trug.
Ausgewählte Geschichten aus 15 Büchern
Es gibt viele Geschichten, die aus dem literarischen Nachlass der „Matmorphosen“ bekannt geblieben sind und auch heute noch immer wieder gerne gelesen oder künstlerisch verarbeitet werden. Einige wenige, aus insgesamt 15 Büchern, haben zwei Abschlussstudiengänge des MDW unter der Regie von Philipp Hauß im Dschungel auf die Bühne gebracht.
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Metamorphosen (c) Franzi Kreis[/caption]
Heraus kam eine Mischung von Ovid-Texten und einer beinahe durchgängigen Choreografie. Die im Versmaß verfaßten Erzählungen wurden, ganz der Geschichte verpflichtet, in chorischer Form vorgetragen. Die choreografisch umgesetzten Verwandlungsschicksale musste man allerdings tatsächlich kennen, um zu wissen, wer nun gerade auf der Bühne dargestellt wurde. Die Dramaturgie beließ das Spiel aber nicht ausschließlich in der Vergangenheit, sondern setzte einige Bezugspunkte zur Gegenwart. Gleich zu Beginn tanzte das Ensemble wie in der Disko, wobei sich nach und nach eine Person aus der Gruppe löste, ihr beim Tanzen zusah, um sich anschließend wieder in die Gruppe einzuordnen. Kurz vor Schluss präsentierten sich alle abermals einzeln durch kurzes Hervortreten aus einer Reihe, wobei sich dabei die Individualität jedes und jeder einzelnen sehr schön zeigte. Eine sehr gelungene Idee.
Ein Ensemble ist nur gemeinsam stark
Die dramatische Umsetzung der Ovid`schen Verse von Philipp Hauß, bisher bekannter als Burgschauspieler denn als Regisseur, fokussierte, wie schon erwähnt, nicht so sehr auf eine allen verständliche Bildsprache. Vielmehr war vieles aus der Choreografie von Martina Rösler, ähnlich einem Suchbildrätsel, mehr zu erahnen und erspüren als konkret nachzuvollziehen. Dabei fiel die Gesamtleistung des Ensembles stärker ins Gewicht als jene einzelner Personen. Theaterspielen hat eben besonders viel mit Teamgeist zu tun. Diese Bühnenweisheit hat der Bühnennachwuchs mit dieser Produktion sicherlich inhaliert.
Gleich zu Beginn durfte der Schauspiel- und Tanznachwuchs darstellen, wie sich aus Chaos ein geordnetes Menschengeschlecht bildet. Ein wenig später, als es um die Geschichte von Narziss ging, schwenkte das antike Geschehen ganz in die Jetztzeit. Als Symbol der ewigen Selbstverliebtheit wählte der Regisseur eine ganze Reihe von Selfie-Shots, die auf der Bühne produziert und auf die Leinwand dahinter projiziert wurden. Das war witzig und hatte Esprit, wenngleich nur die allerwenigsten Jugendlichen die Metapher tatsächlich auch verstanden. Als Spiegel diente dabei eine überdimensionale, silberne Kugel, in der sich Narziss selbstverliebt sehen konnte.
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Metamorphosen (c) Franzi Kreis[/caption]
Das unangenehme Gefühl angegraben zu werden
Auch die Verwandlungsschicksale von Io in eine Kuh und Cadmus und Harmonia in zwei unzertrennliche Schlangen wurden thematisiert. Am aufregendsten jedoch fanden die Kids die Annäherung des Ensembles, bei der es direkten Kontakt zu einzelnen Schülerinnen und Schülern aufnahm. Das Flirten und Angraben, das unvermittelt einsetzte, löste Gefühle aus, welche Daphnes Emotionen des Bedrängtwerdens durch Apoll nachvollziehbar machten. Mehr jedoch als die antiken Texte berührte das Solo eines Mädchens, in dem sie Selbstmordphantasien thematisierte. Vorgetragen in einer sehr zeitgeistigen, wenngleich auch sehr kunstvollen Sprache. Ihr Wunsch, sich in einen Vogel zu verwandeln, schlug dabei eine direkte Brücke zu Ovids Text, in welchem Verwandlungen von Menschen in Pflanzen, Tiere oder Steine das zentrale Thema darstellen. Ein choreografisches Highlight war jener Teil, in welchem das Ensemble einen Gesamtkörper bildete, der so aussah, als hätte ein Mann meterlange Arme, die er wellenförmig bewegte.
Manche Jugendliche haben nur eine Chance
Eine höchst beeindruckende Leistung der schauspielerischen Talente stand einer Regie gegenüber, die dem jungen Publikum nicht ganz gerecht wurde. Nach der Vorstellung artikulierten einige männliche Schüler, das Stück nicht verstanden zu haben. Zwar kommt es im zeitgenössischen Theater nicht darauf an, Geschichten zu erzählen und Konzepte zu präsentieren, über die nicht weiter nachgedacht werden muss. Gerade bei Theaterproduktionen für junge Menschen sollte jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass es viele Jugendliche gibt, die nur wenige, manches Mal auch nur eine Gelegenheit in ihrem Leben haben, mit dieser Kunstform in Kontakt zu geraten. Wenn dabei das Virus nicht von der Bühne ins Publikum überspringt, ist eine große Chance vertan.
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Metamorphosen (c) Franzi Kreis[/caption]
Die Metamorphosen, welche von den Studiengängen Tanz und Schauspiel der Musik und Kunst Privatuniversität der Stadt Wien im Dschungel gezeigt wurden, erfüllten auf alle Fälle ihren Zweck, die Studienabgänger im Rahmen einer Inszenierung zu präsentieren. Dass man aber nun Olivenbäume mit anderen Blicken ansehen kann, dazu muss man sich wohl selbst die Mühe machen und die Geschichte von Daphne und Apoll lesen.
Gratulation an das großartige Ensemble:
Dominik Dos-Reis, Sofia Falzberger, Selina Graf, Marius Huth, Lorena Mayer, Ferdinand Nowitzky, Peter Rahmani, Lara Sienczak (Studiengang Schauspiel) und Sarka Benedová, Rebeka Mondovics, Marie Schmitz, Vito Vidovic-Bintchende, Julia Wang (Studiengang Tanz)