Nicht rechts, nicht links

Steinbach hat einen Eklat ausgelöst. Die NSDAP, so zwischerte sie, sei links angesiedelt gewesen. Im Parteinamen stehe immerhin sozialistisch und Arbeiter. Das ist ihre erste Fehlannahme, denn sozialistisch und Arbeiter passt per se nicht unbedingt zusammen. Dass die Nazi-Partei linksgerichtet war, das ist jedoch nicht nur eine Fehlannahme, es ist infam, denn die politische Linke wird gemeinhin mit Attributen wie fortschrittlich oder liberal beschrieben. Nichts davon war in der NSDAP zu finden. Das Gegenteil, die NSDAP sei eine rechte Partei gewesen, konservativ und reaktionär, Eigenschaften die man der politischen Rechten gerne zuschiebt, stimmt aber durchweg auch nicht. Autoritär und obrigkeitsstaatlich war sie zwar durchaus - auch zwei Adjektive, die man zuweilen rechts einordnet. Aber da auch andere Systeme weitab des Nationalsozialismus autoritär und obrigkeitsstaatlich orientiert waren, fallen diese Definitionen zur Einordnung aus.

Legendenbildungen

Das Kapital war der Steigbügelhalter des Nationalsozialismus. Die Wirtschaftsbarone drückten dem Volk die NSDAP aufs Auge. Nationalsozialismus, Faschismus als Sammelbegriff, ist die Endstufe des Kapitalismus, die abgeworfene Maske des Kapitals. Das sind die Legendenbildungen und Erkenntnisse linker Schule, sozialistischer Provenienz. Die birgt Teilaspekte, nicht aber die gänzliche Erklärung des Phänomens. Wähler und Anhänger der SPD fielen seinerzeit schnell um und integrierten sich in die NSDAP oder wenigstens in deren ideologisches Umfeld. Selbst KPDler liefen schnell über. Die kapitalistische Verschwörung hatte demnach proletarische Mitläufer.

Gegenposition dazu ist, dass die NSDAP eine Proletarierbewegung war, die Massen mobilisierte und den Staat und die Wirtschaft überrumpelte. Auch das ist Legende, denn die größte Anhängerschaft fanden die Nationalsozialisten in elitären Zirkeln; unter Ärzte, Rechtsanwälte und Studenten. Die waren überproportional in der NSDAP vertreten oder dachten mehr als andere gesellschaftliche Schichten nationalsozialistisch. Wobei auch festzuhalten ist, dass nie so richtig klar war, was das bedeutete, nationalsozialistisch zu denken. Viele innerhalb der Bewegung und ihrer Zuträger- und Randgruppen definierten sich über den Nationalismus oder den Antisemitismus, esoterische Gemüter ereiferten sich stärker am eschatologischen Messianismus - und nicht wenige betonten den Sozialismus, der allerdings mit der Verdrängung der Strassisten aus der NSDAP, nur noch als Label vorhanden war.

Der Mittelweg

In den Anfangsjahren, da die NSDAP inhaltlich kaum markantes Profil zeigte, zwischen ungestümer Eschatologie und orgiastischen Messianismus, zwischen antisemitischen Eskapaden und nationalen Feuereifer, schwebte, war das Leitbild für viele, die zu dieser Partei strömten: ein Sozialismus auf nationaler Basis. Die Leute um Strasser fühlten sich als nationale Sozialisten - aber: sie vertraten natürlich einen rassischen Sozialismus, einen mit antisemitischen Zügen, einen Blut- und Boden-Sozialismus, bei dem Vergesellschaftung arisiert sein sollte. Sie waren kapitalismusfeindlich, wollten eine Entmachtung der Wirtschaftsbarone; die sollten sich der nationalen Sache unterordnen und einer Versöhnung zwischen Proletariat und Bourgeousie, wenn nötig mit repressiver staatlicher Gewalt, zustimmen.

Dieselbe Stoßrichtung gab der Fascismo Mussolinis vor: das agrarische, ausgetrocknete und arme Italien sollte mit dem industriellen, prosperierenden und reichen Italien durch ein korporatives Wirtschaftsmodell vereint werden - das war das klassen- und regionalkämpferische Dilemma Italiens seit den Zeiten des Risorgimento. Der italienische Zentralstaat hatte gegensätzlich wirtschaftlich ausgeprägte Regionen und somit Geisteshaltungen (Kapitalismus und sozialistische oder anarchistische Denkweisen) zu vereinbaren. Das gelang allerdings nicht, Italien war weiterhin ein uneinheitliches Gebilde, innerlich zerrissen - der Fascismo sollte dem abhelfen und einen Mittelweg entwerfen, auf dem Italien gehen konnte. Sozialismus oder Kapitalismus? sollte als Gretchenfrage wegfallen, denn der Fascismo war als Kompromiss geplant. Bezeichnenderweise war Strasser vorher SPD-Mitglied, so wie Mussolini sozialistischer Funktionär war - was nicht als Beweis gelten kann, jedoch Erklärungsansätze liefert. Die Zusammenführungen verschiedener Tendenzen in einer Gesellschaft, um ein hehres Motiv auszugeben, das gemeinhin als Die Nation bezeichnet wurde, fiel bereits im Bonapartismus auf, was August Thalheimer dazu bewog, im Frankreich Napoleons III. den Vorreiter faschistischer Bewegungen des 20. Jahrhunderts zu erahnen. Somit wurde Marx zum ersten Faschismusanalysten - seine Schrift Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte dokumentiert die Aufhebung der Klassengegensätze zur Montage eines Staates, der sich als Einheitsfront gegen partikulare Bestrebungen begreift, nicht als Vermittler zwischen klassenkämpferischen Positionen.

"Ich will und werde zu Ihnen so sprechen, wie ich eben vor Abertausenden von Arbeitern gesprochen habe. Früher mußte sich der Redner immer einstellen auf Klassen und auf die Schichten und Berufe." So sprach Robert Ley, Leiter der Deutschen Arbeitsfront und führender Nazi, vor Wirtschaftsfunktionären. Das verdeutlicht anschaulich, dass man glaubte, den Mittelweg eingeschlagen zu haben - dass man glaubte, jetzt regelten nicht mehr Klassenkämpfe und -interessen die innerstaatlichen Prozesse, sondern ordneten sich alle der großen Idee, dem Vaterland oder der Nation, wie immer man das auch nennen wollte, unter.

Neudefinierter Sozialismus

Dieser vermeintliche Mittelweg wollte nichts mit dem Bolschewismus gemein haben, aber auch die individuellen und egoistischen Interessen der Kapitalisten endgültig bannen. So bestückte der Nationalsozialismus den Kapitalismus mit "sozialistischen Elementen". Das war natürlich ebenfalls taktisches Kalkül. Er sollte Kompromiss sein und als solcher eine Massenbewegung sichern. The Economist schrieb in jenen Jahren, dass es "in Deutschland [...] daher ratsam [ist], ja sogar notwendig, zugleich prokapitalistisch und prosozialistisch zu sein; und kein kluger Mensch [versäume] es, zu betonen, daß er beides sei."

Natürlich ist das frappierend gescheitert. Nicht nur, weil die Strassisten aus der Partei fielen. Der Nationalsozialismus gebar tatsächlich einige Elemente, die wir heute als sozialstaatlich bezeichnen würden. Es gab Unterstützungsprogramme - nicht aus Menschlichkeit, sondern um sich die Zustimmung der Massen zu erschleichen. Die Unterstützung wurde auch nicht blind gewährt. Es waren rassisch konzipierte, national gestrickte Elemente. Zugänglich bloß für Volksgenossen, nicht für jeden Bürger des Landes. Man wollte das auch selbst gar nicht zu laut als Sozialismus titulieren, um sich von Russland abzuheben. Das erzeugte Unmut bei einigen Parteifunktionären. Göring kritisierte mal diejenigen, die in dem Namen der Partei das Wort sozialistisch zugunsten von national vernachlässigten.

Und um sich vom Bolschewismus abzugrenzen (den man für eine jüdische Erfindung hielt, weshalb er sentimental verkitscht sei, fürsorglich, gefühlsduselig und unnatürlich gleichmacherisch - alles Attribute, die man dem Judentum zugesellte und die im Bolschewismus überhaupt nicht in Erscheinung traten - zumal der Bolschewismus ja auch keine jüdische Weltverschwörung war), definierten einige NSDAP-Mitglieder ihren sonderbaren Sozialismus neu. Die Sentimentalität, die man dieser jüdischen Erfindung, dem Bolschewismus, nachsagte, rang Robert Ley die spöttische Parole ab, dass dieser Sozialismus kein Mitleid sei. "Sozialismus des Heroismus, Sozialismus der Männlichkeit", nannte Goebbels die gepredigte Ideologie des Reiches. Der Angriff schrieb: "Sozialismus ist Lebensbejahung, Sozialismus ist Gemeinschaft, Sozialismus ist Kampf, Sozialismus ist Kameradschaft und Treue, Sozialismus ist Ehre. Sozialismus, mein Freund, ist das Blut und die Rasse, der heilige tiefernste Glaube an einen Gott." Mit Vergesellschaftung und der Bändigung des Wirtschaftsliberalismus zur Hebung des Gemeinwohls, mit Stärkung des Arbeiterstatus und dergleichen mehr, hatte diese Sozialismus-Definition überhaupt nichts mehr zu tun.

Links, rechts; schwarz, weiß; utopisch, nicht-utopisch

Die heute platten Kategorisierungen in links und rechts, die man auf Stalinismus und Nationalsozialismus überträgt, sind eigentlich unzureichend. Denn weder war der "deutsche Sozialismus" besonders sozial noch sozialistisch, noch fortschrittlich oder weltoffen. Er war kurz gesagt vielleicht ein Sozialismus für die, die in ihm einen Sozialismus erkennen wollten, aber links war er deshalb noch lange nicht. Er war eine Diktatur der bürgerlichen Mitte, eine Zusammenlegung diametral auseinanderdriftender Gesellschaftsinteressen zugunsten eines gemeinsam ersonnenen Zieles, Vaterland oder Nation genannt. Es war auch die Diktatur des nach der Mitte schielenden Kleinbürgertums. Bonapartismus nach Thalheimer, ein Ziel übrigens, das man im Konzept bundesrepublikanischer Volksparteien durchaus wittern kann, denn auch dort sollen innergesellschaftliche Interessenskonflikte überwunden oder ausgeblendet werden, um das gemeinsame Ziel, hier Wachstum oder Wohlstand oder Fortschritt genannt, zu verwirklichen - dass die Ära der Klassenkämpfe überwunden sei, wie man das heute oft hört, ist durchweg eine bonapartistische Gesellschaftsauffassung.

Auf Steinbachs Äußerung, die so falsch wie dumm war, kann man nicht mit links und rechts kontern, weil diese Bezeichnungen Begrifflichkeiten sind, die bereits vor dem 20. Jahrhundert existierten - eigentlich waren sie schon veraltet, als der Kommunismus und der Faschismus in die Welt kamen. Der Stalinismus kam aus sozialistischen Gefilden, dennoch war er vielleicht eher rechts, zwar nicht konservativ, dafür aber reaktionär, hat er doch die Leibeigenschaft unter neuen Namen eingeführt - und einen Zaren von solcher Machtfülle installiert, wie ihn Russland zuvor nie gesehen hatte. Autoritär war er ohnehin. Der Nationalsozialismus mag sozialistische Attribute beinhaltet haben, auch aus taktischen Gründen, auch deshalb, weil man die Mär aufrechterhalten wollte, sich zwischen Kapitalismus und Sozialismus als goldener Mittelweg zu schlängeln, aber links war er deshalb noch lange nicht. Das bedeutet letztlich, dass man auf den zur Schau getragenen historischen Dilettantismus dieser Frau und BdV-Präsidentin, die Die Linke mit der NSDAP vermengen will, nicht mit links und rechts parieren sollte, auch gar nicht kann. Die Scheidung der Welt in schwarz und weiß, rechts und links, ist ohnehin kaum möglich.

Das heißt nicht, dass es keine Unterschiede gab, denn der vermeintlich faschistische Mittelweg hatte kein Endziel - später kannte er nur den Endsieg als Selbstbehauptungszweck. Der Faschismus als Vermittler zwischen Ideologien kannte kein Evangelium, in dem Menschlichkeit gepredigt wurde - eher das Gegenteil war der Fall. Der real existierende Sozialismus aber, gleich wie menschenverachtend er dann auch ausfiel, er nannte solche Ziele durchaus. Theoretisch, ohne Frage - aber es gab immerhin ein Leitmotiv. Faschismus war Selbstzweck, Vermittlerrolle war Mittel zum Zweck - der Sozialismus war erst Mittel zu einer besseren Welt, wurde dann zum Selbstzweck einer Bonzokratie missbraucht. Das ist der wesentliche Unterschied: Hier keine utopische Schau; dort die Utopie. Hier Ziele, die undefiniert blieben; dort unerreichte Ziele - aber immerhin Ziele.


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