"Füttere Deine Intelligenz und sie wird wachsen, blühen und Dir eine Stütze im Leben sein, auch wenn Du gar nicht so intelligent bist! Wenn Du das nicht tust, wird sie verkümmern, auch wenn Du noch so intelligenz bist!"
Alexander Rykow
Ihr Lieben,
heute möchte ich Euch eine Geschichte von Melanie Geilke erzählen:
"Nicht mehr zeitgemäß?"
"Langsam und gemächlich schreitet sie um die Straßenecke. Sie versteckt sich nicht, auch wenn sie schon wie von weitem die Silhouetten derer sieht, die mit dem Finger auf sie zeigen. Sie weiß genau, es ist lediglich der Neid, der sie dazu antreibt, und die Unsicherheit, aber manchmal schmerzt es dennoch.
"
Sie ist hochnäsig." sagen sie.
"
Sie fühlt sich als etwas Besseres." behaupteten sie.
In der heutigen Welt ist sie nicht mehr so angesehen wie damals, das hat sie mittlerweile einsehen müssen. Aber was hat sie denn nur falsch gemacht? Sie hatte sich nicht verändert. Aber die Welt um sie herum hatte sich verändert.
Sie schlich die Straße entlang und schaute in ein Fenster. Ein Wohnzimmer, die Eltern und ihre zwei Sprösslinge. Die Kleinen sitzen mit leerem Blick auf dem Boden und lassen sich von den flimmernden, bunten Bildern unterhalten. Auf den drei Büchern im Regal türmte sich der Staub. Sie ist einfach nicht mehr modern, dabei hatte sie geglaubt, zeitlos zu sein.
Plötzlich steht der kleine Junge auf und kommt zu ihr ans Fenster. Interessiert schaut er ihr in die Augen. "Wer bist du?"
Überrascht und erfreut über so viel Aufmerksamkeit stutzt sie kurz.
Als sie antworten will, blökt die Mutter des Jungen los: "Was willst du denn von der? Komm wieder Fernsehen! Die Werbung ist zu Ende!" Mit einem lauten Knall schließt sie das Fenster!"
"Ich bin die Intelligenz." flüstert sie nur und schleicht mit hängendem Kopf davon."
Ihr Lieben,
früher hat man geglaubt, Intelligenz sei etwas Angeborenes, etwas, das man mitbekommt, für das man gar nichts kann. Heute hat die Wissenschaft nachgewiesen, dass Intelligenz auch wachsen kann.
Ich möchte die Intelligenz vergleichen mit einer Pflanze. In der Kindheit ist sie oft noch zart und verletzlich und es kommt vor allem darauf an, womit wir sie düngen, ob wir sie regelmäßig mit Nährstoffen versorgen und regelmäßig gießen.
Es gibt einen Bericht über eine Klassenkonferenz aus der Zeit, als ich das Gymnasium besuchte, in dem ein Lehrer die Meinung geäußert hat, er habe auf der Universität nicht gelernt, so dumme Kinder wie mich zu unterrichten.
Aber ich habe jede Menge Bücher verschlungen, ich habe meinen Geist mit Erlebnissen in der Natur und durch meinen großen Wissensdurst gefüttert. Das Lernen fiel mir sehr schwer, aber innerlich dachte ich als Kind immer gegenüber meinen Lehrern: "Eines Tages überhole ich Euch alle!"
Und man stelle sich das Erstaunen und die Verwunderung vor, als ich eines Tages an meine alte Schule zurückkehrte und inzwischen Dozent an der Universität Göttingen geworden war!
Die Lehrer mochten es einfach nicht glauben.
Ich erzähle das nicht, um mich zu rühmen, das ist nicht meine Art, dass wisst Ihr, sondern allein, um zu zeigen, dass mangelnde Intelligenz kein unabwendbares Schicksal ist, das man hinnehmen muss, sondern dass wir viel für unser Denken tun können, je nachdem, was wir ihm anbieten.
Das gilt auch in besonderem Maße für unsere Kinder und Enkelkinder.
Ich bin ehrenamtlich Lesepate an meiner alten Grundschule, die ich als Kind besucht habe. Ich sehe dort mit Freude, wie die Kinder aufblühen, wenn sie lesen lernen und anfangen, eine für sie ganz neue Welt zu entdecken.
Wie wichtig das Lesen, das "richtige Futter" für den Geist für unsere Kinder und Enkelkinder und auch für uns schon etwas Ältere ist, habe ich an einem sehr eindrücklichen Beispiel erlebt:
In den letzten Jahren ihres Lebens, als meine Mutter, mit der ich mich im Alter ausgesöhnt hatte, in einem Altersheim lebte, wurde sie immer schweigsamer und man konnte sich kaum noch mit ihr unterhalten, ein Ja und ein Nein, mehr war nicht mehr zu erwarten.
Ihre einzige Beschäftigung war, den ganzen Tag von morgends bis abends Fernsehen zu schauen.
Eines Tages kam ich zu ihr und da hatte sie einen sehr hellen Augenblick und weinte und sagte zu mir:
"Früher konnte ich mich so schön mir Dir unterhalten, schade, dass ich das nicht mehr kann."
Ich sprach darüber mit einem Hirnforscher der Bremer Universität, der mir Folgendes sagte:
"Wenn Ihre Mutter von morgens bis abends nur Fernsehen schaut, muss ihr Gehirn kaum etwas tun, alles wird ja bereits geliefert, die fertigen Bilder, die Sprache, einfach alles. Wenn Ihre Mutter aber z.B. einen Roman liest und es dort heißt: "Die Mutter saß mit den Kindern im Wohnzimmer beim Schein einer Kerze und las ihnen eine spannende Geschichte vor, während der Vater sich über den mit Kies bedeckten Weg dem Haus näherte" - dann muss das Gehirn eine Menge leisten, es kommt auf Touren, es muss sich vorstellen, wie das Haus aussieht, wie der Vater über den Kies auf das Haus zueilt. Wie das Wohnzimmer, die Kinder und die Mutter aussehen und wie gerade die Szene ausschaut, in der die Mutter den Kinder eine Geschichte vorliest. Ganz anders als beim Fernsehen wird unser Gehrin durch das Lesen sehr geschult und bleibt leistungsstark und munter."
Wenn ich es nicht selbst erlebt habe, ich würde es bis heute nicht glauben:
Ich habe meiner Mutter von dem berichtet, was ich gehört hatte und meine Mutter war so sehr daran interessiert, sich wieder mit mir unterhalten zu können, dass sie von dem Tag an überhaupt nicht mehr Fernsehen schaute (!), sondern einen Roman nach dem anderen verschlang.
Nach einem dreiviertel Jahr (!) war sie wieder geistig so rege, dass wir uns bis kurz vor ihrem Tode immer wieder wunderbar unterhalten konnten.
Ihr Lieben,
Ich wünsche Euren Kindern und Enkelkindern, dass sie viele Möglichkeiten haben, mit Euch zusammen ihren Geist zu schulen, durch das Entdecken von Neuem, durch Erlebnisse in der Natur, durch das Lesen von Büchern, durch Gespräche mit Euch, durch gemeinsames Erleben und gemeinsames Unternehmen.
Ich wünsche Euch einen fröhlichen Sonntag mit Zeit für Eure Kinder und Enkelkinder
Euer fröhlicher Werner vom Weserstrand
Das Foto wurde von Karin Heringshausen zur Verfügung gestellt