Nicht einmischen ist manchmal sehr schwer

Mir geht eine Situation nicht aus dem Kopf, die ich gestern beim Abholen der Kinder aus der Kita erlebte und die mir einen kalten Schauer über den Rücken jagte, obwohl ich es nur zufällig mitbekommen hatte und es mich gar nichts angeht.

Als ich die Kinder in der Garderobe anzog, sprach eine Mama eines Mädchens, das in die gleiche Gruppe wie meine Kleine geht, eine auf dem Flur herumlaufende Erzieherin an: Wie denn ihre Tochter heute geschlafen hätte? Sehr lange, meinte die Erzieherin. Kein Wunder, sagte die Mama, habe sie doch gestern abend Einschlafterror gemacht. Sie hätte sich ins Bett erbrochen. Man sah, wie die Erzieherin stutzte, eine neue Magen-Darm-Epidemie vermutete und sich zusammenriss, um der Mama keine Vorwürfe zu machen, dass sie das Kind heute in die Kita gegeben hatte. Es war aber anders. Die Mama erzählte frank und frei, dass sie die Tochter ans Einschlafen im eigenen Bett gewöhnen wolle und diese sich dabei so in Rage geschrien habe, dass es mit Erbrechen endete. Und danach dauerte es ewig, bis sie wieder schlief. Deshalb sei sie logischerweise am nächsten Tag total übermüdet gewesen. Die Erzieherin sagte nichts weiter dazu.

Ich kannte die Mama nicht und sah dann erst später, welches Kind zu ihr gehörte. Das Mädchen wurde sonst meist vom Papa abgeholt, der einen sehr kompetenten, liebevollen Eindruck auf mich gemacht hatte. Und diese Eltern ließen ihre 1 1/4-jährige Tochter so beim "Erlernen des selbstständigen Einschlafens" schreien, dass sie sich übergeben musste? Und erzählten das dann auch noch in der Kita! Mir wurde wirklich heiß und kalt und ich musste sehr an mich halten, mich nicht einzumischen. Solche Leute möchte man manchmal einfach nur noch schütteln, damit sie zur Besinnung kommen. Stattdessen beißt man sich auf die Zähne und redet sich ein, dass man tolerant sein muss und es ihre Sache ist, wie sie mit ihrem Kind umgehen. Ich finde diese Gratwanderung manchmal ganz schön schwer. Vor allem, wenn es um extrem konträre Auffassungen und Praktiken in der Familie oder im Freundeskreis geht oder wenn man merkt, dass absolut null Wissen hinter manchen Behauptungen steckt. Dann versuche ich manchmal auch, ein wenig gegenzusteuern, obwohl es meist nichts bringt und man sich nur selbst aufreibt. Wenn es nur um individuelle "Erziehungs"facetten geht, ist das ja auch alles nicht dramatisch und sollte jedem selbst überlassen sein. Bei solchen Themen wie Einschlafschreien jedoch reagiere ich sehr empfindlich und frage mich, ob solche Methoden nach jahrzehntelanger Bindungsforschung tatsächlich noch individuelle Entscheidungen sind. Hätte die Erzieherin beispielsweise etwas sagen können / müssen? Aber wo fängt sowas an und hört auf? Möglicherweise bin ich auch "nur" selbst traumatisiert, was das In-den-Schlaf-Schreien angeht. Wenn ich die spärlichen Aussagen von Eltern und Verwandten richtig gedeutet habe, war das früher ohne schlechtes Gewissen gang und gäbe. Und das hat mit Sicherheit Spuren in sensiblen Kinderseelen hinterlassen. Vielleicht reagiere ich deshalb auf solche Berichte mit fast schon körperlichem Schmerz, was für viele andere sicher gar nicht nachvollziehbar ist.

Heute hat mich die gleiche Mama nach der Kita kurz angesprochen. Ich bin nicht darauf eingegangen. Ich konnte einfach nicht. Sicherlich ist sie kein schlechter Mensch, aber ich werde immer, wenn ich sie sehe, das Bild ihrer schreienden, kotzenden, nicht alleine einschlafen wollenden Tochter vor meinem geistigen Auge haben. Ich bin dann auch nicht mehr unvoreingenommen. Glücklicherweise kann ich mir das hier so von der Seele schreiben, wie ich es empfinde.


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