Wenn man diesen Streikgegnern so zuhört, dann stellt man sich regelrecht vor, wie die Lebensfreunde der Menschen verwelkt, weil da eine Handvoll Menschen nicht am Arbeitsplatz erscheint. Eine wirklich absonderliche Vorstellung. Zur Freude brauchen andere Völker ein Gläschen Wein, ein Stück Schinken oder das nackte Gegengeschlecht. In Deutschland reichen schon Lokführer aus, die ihre Arbeit tun. Ist das nun bescheiden oder selbstsüchtig?
Aber in all dem steckt mehr als nur Banalität. Diese Vertrösterei trägt in nuce das Freiheitsverständnis dieses neuen Liberalismus alter autoritärer Schule in sich. Man verbietet nichts, lässt jede Freiheit bestehen. Aber sie muss natürlich theoretisch verbleiben. Etwas fürs Papier zu sein. Weil jedoch ständig etwas dazwischenkommt, was zum Gebrauch von Freiheiten weist, verlangt man dann einen »verantwortungsvollen Umgang« mit ihr. »Seid doch vernünftig!«, rufen sie genau immer dann, wenn es ernst werden soll. »Verzichtet doch auf eure Freiheit, ihr lieben Leut'.« Im gewissen Sinne ist es eine Freiheit ganz im orwellianischen Sinne; eine, die man nur als Sklaverei und Unterordnung begreift. Sie ist ein paradiesisches Jenseits oder besser noch, eine göttliche Tugend, von der man hofft, dass sie bitteschön nie hinterfragt wird. Gott ist eine gute Idee, solange man ihn nicht hinterfragt. Mit der Freiheit in diesem System ist es nicht viel anders. Man lässt den Begriff und die Aussicht darauf über den Köpfen schweben. Denn das inspiriert. Macht Mut. Ist Zuspruch. Mehr aber auch schon nicht.
Wir haben in diesem System fast alle Freiheiten, wir sollen sie uns nur nicht (oder immer weniger) nehmen. Um das zu erlangen, erpresst man. Aber natürlich ist es keine Erpessung, sondern ein Hinweis auf alle Türen, die einem offenstehen.
Was, du hältst das hier für ein sittenwidriges Arbeitsverhältnis? - Dann geh doch! Geh doch! Du bist frei. Aber sei schön vernünftig und bedenke die Sperre, die dir das Amt aufbrummt.
Sie wollen eine Story über Leiharbeiter in den Motorenwerken schreiben? - Gerne doch, wir haben Pressefreiheit, aber halten Sie doch mal inne und fragen sich, was geschieht, wenn die Motorenwerke als Kampagnenkunde abspringt. Nützt es Ihnen etwas, wenn Ihre Kollegen und dann auch Sie arbeitslos werden?
Ob Sie sich die Haare färben dürfen? - Oh, Sie können sich jederzeit die Haare blau färben, Herr Linke ... aber hier arbeiten Sie dann leider nicht mehr!
Mafiabosse klingen nicht viel anders. Sie legen den Arm und deine Schulter und haben Verständnis: »Junger Freund, du bist ein freier Mensch. Wenn es wider deiner Natur ist, den Ratschlägen zu folgen, die ich dir gebe, dann musst du tun, was du tun musst. Aber denke doch mal an deine Kinder.«
Das ist die neoliberale Matrix. Sie kennt nur eine abstrakte Freiheit, die immer gerade dann nicht genossen werden soll, wenn sie genossen werden will. Schon der alte Knochen Burke meinte, dass wahre Freiheit sei, wenn man sich der amtierenden Ordnung füge. Dieses Sachzwang-Vertrösten ist ja auch nichts anderes als eine besonders perfide Ordnung. Und der alte Knochen, der derzeit in Bellevue nächtigt, nennt denselben Schmarren »Freiheit in Verantwortung«. Was für ein Zufall. Oder auch nicht. Denn wie die Sache liegt, ist der Mann genau aus diesem Grund ins Amt kooptiert worden. Und man darf annehmen, dass auch er gegen den Streik ist. Vielleicht outet er sich ja noch. Sag du doch auch mal was dazu, Joe ...
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