Zum Ende des Jahres zog manche Zeitungsspalte Fazit darüber, wieviele Christen der Islam auf dem Gewissen habe - ein neuer Glaubenskrieg sei entbrannt, wusste man ob der Zahlen zu deuten; der Islam wolle dem Christentum aus den Pelz rücken und Christen seien dementsprechend die logische Zielscheibe und würden gezielt aus der Welt gesprengt.
Im Eifer oberflächlichen Zähnefletschens ist diese verkürzte Sichtweise womöglich verzeihlich. Im Namen profunden Journalismusses jedoch, muß man dieses unausgereifte Berichterstatten kritisieren. Denn jene, die die Leben von vermeintlich Ungläubigen detonieren lassen wollen - und solche gibt es freilich als Randgruppen; gibt es mehr oder minder radikal in jeder Religionsgruppe! -, sie haben es nicht auf Christen abgesehen, sondern auf solche, die sie als Ungläubige kategorisieren. Das ist ein gewaltiger Unterschied: nicht für die Opfer - aber für die öffentlich geführte Diskussion, die immer mehr das Vokabular eines Kulturkampfes rekrutiert.
Christen sind für diese Sorte von "Gläubigen" im Sinne ihrer Religion nämlich keine Ungläubigen - sie sind Besitzer der Schrift, ein Volk der Offenbarung, welches es zu schützen gilt. Ungläubige sind solche, die sich nicht an die universellen Lehren der Monotheismen halten; die einem Lebenswandel frönen, der nicht vereinbar ist mit Demut oder dem, was für Demut gehalten wird, mit Gewissenhaftigkeit oder dem, was für Gewissenhaftigkeit gehalten wird, mit Bescheidenheit oder dem, was sich unbescheiden bescheiden nennt. Denen also, die wirklich christlich lebten, einerlei an dieser Stelle, ob das wirklich erstrebenswert ist oder nicht, wollte man auch nicht die Seele aus dem Leib bomben. Ungläubige sind solche, die den Westen vertreten - ob als Bürger oder offizieller Repräsentant; Ungläubige sind für sie Menschen, die den Maßstab der westlichen Welt anwenden, die in Kosten und Nutzen gliedern, die kalkulieren, die maßlos und gierig handeln und erpressen, die keine Demut vor dem Mitmenschen haben. Solche Leute können zwar zufälligerweise Christen sein, aber für jene Mörderbrigaden sind es vom Glauben abgefallene Christen und daher Ungläubige.
Natürlich ist das alles anmaßend - angefangen bei dem, was etwaige Religiöse als Demut oder Bescheidenheit einstufen, bis dahin, Menschen für angeblich fehlende Attribute zu töten - und davon, warum Ungläubige sterben sollten, gar keine Rede! Das sind überhebliche und fanatisierte Methoden, die aber nicht lapidar abgetan werden dürfen, nur um damit eine reißerischere Schlagzeile zu gerieren. Wenn man vom Krieg gegen Christen schreibt sollte man gewissenhafter recherchiert haben: dann wüsste man, es wird sich gegen Ungläubige gewandt - das macht es nicht besser; aber wenigstens wüsste man dann, dass es kein Kultur- oder Religionskrieg ist, sondern die Spinnerei einiger Irrer, die den Islam extremistisch deuten, die sich daher im Sinne ihrer Schrift gegen den Unglauben wenden, den sie in der Welt zu sehen meinen. Das entschuldigt nichts, aber man sollte schon genauer definieren, wenn man darüber berichtet. Blut flösse dann trotzdem zuweilen, aber von denen, die täglich berichten, sollte man schon eine gewissenhaftere Definition verlangen dürfen...