Nicht Bestien, Hanswurste sind gefährlich

Von Robertodelapuente @adsinistram
Wie Adolf Eichmann so dasaß, auf Tonbänder erzählte und in seinen Erinnerungen stöberte, da sei die Banalität des Bösen, mit der Hannah Arendt seine Erscheinung später belegen sollte, schlichtweg von ihm abgefallen. Zu ausgiebig habe er geplaudert, zu boshaft sei dieser Eichmann gewesen - nicht als "Hanswurst", "der schier gedankenlos" und "realitätsfern" auftrat, wie es Arendt schreiben würde. Kurzum, er sei nicht der stoische Bürokrat gewesen, für den er in seinem Prozess gehalten wurde. Kein Schreibtischtäter - ein Massenmörder - eine Bestie!
Hier greifen jene Mechanismen, die immer dann zum Vorschein kommen, wenn man einen ganz besonders abstoßenden Widerling aus der menschlichen Gemeinschaft verbannen möchte. Es ist so viel einfacher, einen Kerl vom Schlage Eichmanns zu entmenschlichen, diesen Mordskerl und Mordsbürokraten zu einen Massenschlächter und Monster zu küren, um nicht daran erinnert werden zu müssen, dass auch das ein Mensch ist, dass auch er ein Teil jener Spezies ist, die sich selbst Menschheit nennt. Nicht Menschen, nicht Paragraphenreiter töten demnach, es sind pervertierte Bestien, die zufällig einen Posten in der Bürokratie ergattern konnten - Unmenschen letztendlich, die nicht der menschlichen Familie zugehörig sind.

Dabei hat Eichmann in jener Interview-Reihe seine banale Menschlichkeit bewiesen. Ein farbloser Idiot saß da vor uns, phantasielos war er, einer von der Sorte Nachbarspießer, dem man nicht über den Weg laufen möchte, weil es einem stetig in der Faust kribbelt, weil man ihm täglich eine boxen möchte ob seiner Arschloch-Aura - ein Pedant, der bei genauerem Hinsehen eine ganz arme Sau war. Offensichtlich ein an der eigenen Erscheinung leidender Typ, der sich selbst noch weniger als die Welt leiden konnte, weswegen er sich vor Mitmenschen aufplusterte, zu mehr macht, als er je imstande war zu sein - ein unbeliebter und vielleicht auch ein ungeliebter Charakter. Dieser triste Däumling weidete sich augenscheinlich an der einzigen Sache, die ihm in seinem Leben je gelungen war: die pendantische Organisationsgewalt eines zu Verantwortung gekommenen Spießbürgers, der passenderweise in einer Diktatur der Klein- und Spießbürger, der Kreaturen aus Bürgerbräukellern und Trinkhallen, dieser fast schon einzigartigen Verstaatlichung der deutschen Schulmeisterei, seine Meriten erworben hatte.
Doch nichts Monströses, nichts Mörderisches scheint ihm da, so wie er in seinem Sessel kauert, anzuhaften. Eichmann war weniger Massenmörder als sturer Umsetzer von an ihn gerichteten Befehlen. Natürlich könnte Eichmanns Ausspruch das Gegenteil beweisen, als er sich brüstete, "kein normaler Befehlsempfänger" gewesen zu sein, sondern einer, der mitgedacht habe. Aber genau dieses Mitdenken zeichnet den folgsamen Bürokraten doch aus! Er trägt nicht stur seine Aktenberge ab, er verinnerlicht dieses Bergsteigen; er macht nicht nur stoisch Dienst nach Vorschrift, er beginnt seine Vorschriften zu lieben, zu verehren, zu atmen - er braucht sie, weil er innerhalb des Wusts an Paragraphen und Anordnungen etwas darstellt, außerhalb aber ein Nichts ist. Der gute Staatsbedienstete, er will nicht nur seine Amtspflicht erfüllen, er will mitdenken, will überkorrekt in seinem kümmerlichen Metier handeln, will in seiner Arbeit aufgehen, will was sein, was er im Privaten nicht mehr werden kann. Natürlich war er mehr als stoischer Kopfarbeiter in einem engen Zimmerchen, natürlich hat er mitgedacht und gewusst, was mit dem "Menschenmaterial", welches er quer durch Europa transportieren ließ, geschehen würde - aber genau das scheidet ja den guten vom schlechtem Bürokraten. Der gute Bedienstete weiß alles, tut mehr als alles und schweigt, obwohl er es besser wüsste - das schlechte Exemplar weiß wenig, tut das Notwendige und schweigt nur, weil er wenig Ahnung davon hat, was nach der Zustellung des von ihm bearbeiteten Bescheides geschieht. Der eine wird zu seinem Dienst, der andere tut Dienst! Der gute Amtsmann weiß von den Folgen seines Handelns und handelt dennoch.
Eichmann wieder einmal zum Monster zu erklären, so wie man stets aufs Neue die Bonzen des Dritten Reichs außerhalb der Menschheit ansiedelt, sie in eine Unmenschheit einreihte, einer fiktiven Spezies, die als Negation des Menschen auftritt, einer Spezies, in der sich alle tummeln, die als Mensch Unmenschlichkeit austeilten, entbehrt jeglicher konstruktiven Aufarbeitung jener Geschehnisse. Solche wie Eichmann, so unsympathisch und unausstehlich sie auch sind, bleiben Menschen. Auch das ist der Mensch, auch der dienstbeflissene Bürokrat, der kaltblütige Schreibtischgauner ist menschliches Adjektiv. Edel sei der Mensch, hilfreich und gut: das ist die eine, seltene, ideale Seite - schlecht ist der Mensch, egoistisch und böse: das sind die anderen, häufigeren Wesenszüge; Eichmann und die Seinen sind die Mutation des letzteren, eine seltene, aber doch immer noch zu zahlreiche Wucherung. Sie zu etwas zu machen, was nicht mehr menschlich ist, gleicht jenem Jargon, den die Eichmänner gesprochen haben. Der Vergasung überstellte Juden waren bei denen auch keine Menschen mehr, sie waren Menschenmaterial, Volksschädlinge, wurden Sonderbehandlungen unterzogen. Das ist die Entmenschlichung von Menschen, die immer dann sehr bequem ist, wenn man bestimmter Menschen überdrüssig wird.
Aus Schreibtischverbrechern Antimenschen zu machen, hat außerdem eine praktische Funktion - man könnte es als Nebenprodukt dieser sich leicht machenden Bewältigungsarbeit bezeichnen. Solche, die auch heute wieder am Reißbrett menschliche Schicksale steuern, überspitzt und provokativ gesprochen, Bürokraten im Andenken an jenen Eichmann sind, lassen sich damit leicht aus der Schusslinie nehmen. Denn es sind ja nicht ordinäre Amtsstubenmienen, bescheuerte Behördenfratzen oder alberne Bürotrottel, die stoisch ihren Dienst wider den Wehrlosen dieser Gesellschaft verrichten - es sind Bestien, pervertierte Scheusale, die kein menschliches Gesicht haben, schon gar keine Bürovisage. Nein, Fallmanager und Außendienstmitarbeiter, Verweser der Bürgerarbeit und der Ein-Euro-Arbeitsgelegenheiten können nicht zu dem werden, nie und nimmer zu dem werden, was jener nationalsozialistische Musterknabe einst war.
Sicher, sie sind keine Eichmänner, höchstens Eichmännlein - aber wer garantierte dafür, dass es einen Aufstand der anständigen Bürokraten gäbe, wenn die Maßnahmen, die täglich schon verbal und medial verschärft werden - bei Kleinstwohnungen angefangen, bei rigiderer Sanktionierungswut noch lange nicht aufgehört! -, auch tatsächlich in die Wirklichkeit geholt würden? Keine Eichmänner - noch nicht vielleicht! Sie lassen ihn nur diskret auffackeln, kehren ihn meist nur zart heraus: ändert sich aber das Klima weiter in eine Richtung, in der man Erwerbssuchende zu arbeitsscheuem Gesindel abwertet, so wäre Diskretion und Zartheit nurmehr blanker Luxus, hemmender Tand. Nur braucht sich der Bürokrat, der heute schon in Startlöchern zu "höheren Weihen" kniet, keine Sorgen machen: er, der Mensch im Diensten des Staates, der Bedienstete seines Herrn, er ist ein vollwertiger Mensch, würde daher nie, was Eichmann war: denn der war bekanntlich ein Unmensch - es gibt keine Monster im Staatsdienst, der Staat unterhält keine Ungeheuer, deshalb neigt der Bürokratismus auch nie wieder zum Massenmord, leitet er nie mehr das massenweise Elend in die Wege.
Dass aber auch die Nationalsozialisten davon ausgingen, keine Monster in ihren Büros sitzen zu haben, spielt heute als Gegenargument keine Rolle mehr. Eichmann, das Monster, der seine ganze Banalität ablegt habe, macht es möglich, wäscht die Nachfolgegeneration zwischen Aktenordnern und Karteikarten rein.