Brunhild von Gaston Bussière
Nicht lange währte es, da kam an den Rhein die Kunde von einer Königstochter, die auf einer Insel im fernen Nordmeer lebte. Brunhild hieß sie, und groß wie ihre Schönheit war auch ihre Kraft. Wer ihre Hand begehrte, der musste vor dem Isenstein, ihrer hohen Feste, in drei Kampfspielen mit ihr streiten, und verlor er, so war es um sein Leben getan. Kaum hatte König Gunther von Brunhild gehört, so stand es bei ihm fest, dass er zum Isenstein fahren und um die Stolze werben müsse. Im Kreis seiner Freunde gab er es bekannt: "Brunhild will ich gewinnen, daran setze ich mein Leben, und was man auch von ihrer Stärke spricht: die Frau möchte ich sehen, der ich es im Waffenkampf nicht zuvortue." Siegfried warnte: "Und hättet Ihr die Kraft von vier Männern, an Brunhild würdet Ihr zuschanden werden." Doch Gunther ließ sich von seinem Vorhaben nicht abbringen: "Mag sie noch so stark sein, ich will es unverzagt wagen, und ich hoffe, es ist mir vergönnt, die Herrliche als Königin an den Rhein zu führen." Da riet Hagen seinem Herrn: "So bittet doch Siegfried um seinen Beistand, er ist der Mann, Euch mit Rat und Tat am besten zu helfen." Gunther zögerte nicht, die Bitte zu tun, und Siegfried entgegnete: "Ich bin dazu bereit, wenn Ihr mir die Hand Eurer Schwester Kriemhild versprecht." Das sagte ihm Gunther sogleich zu, und mit Handschlag und Eid beschworen die beiden ihre Abmachung. Nun ging es an die Vorbereitungen der gefahrvollen Reise. Siegfrieds Tarnkappe, die er dem Zwerg Alberich abgenommen hatte, durfte nicht fehlen. Dreißigtausend Ritter wollte Gunther zu der Fahrt aufbieten, aber Siegfried sprach sich dagegen aus: "Noch so viele Tausende vermögen nichts gegen Brunhild. Nach alter Recken Weise wollen wir ausziehen, wir beide und sonst niemand als Hagen und Dankwart, so werden tausend Kämpen (Kämpfer) uns nichts anhaben können." Doch riet er, die besten Gewänder und Waffen anzulegen, damit man vor Brunhilds Reichtum in Ehren bestehen könne. Kriemhild übernahm es, mit dreißig ihrer Mägde kostbare Reisekleidung zu richten, und es wurde nicht gespart an arabischer Seide und Hermelinpelzen, an Goldborten und edlem Gestein. Und als alles aufs prächtigste bereit war, da lag auf dem Rhein schon das Schiff, das die Helden zum Isenstein im grauen Nordmeer tragen sollte. Bald füllte es sich mit Rüstzeug und Vorräten für die lange Reise, die Pferde wurden an Bord geschafft und das Segel gehisst: die Abschiedsstunde war da. Tränen standen in den Augen Kriemhilds, als sie Siegfried die Hand reichte: "Meinen lieben Bruder empfehle ich Euch, Herr Siegfried. Schützt ihn vor Gefahren im fernen Land!" Siegfried versprach es ihr feierlich: "Mit meinem Leben stehe ich für ihn ein. Wohlbehalten bringe ich ihn zurück an den Rhein, darauf mögt Ihr fest vertrauen." Der Wind stieß in das Segel, und die Fahrt begann. Gunther nahm selber ein Ruder zur Hand. Siegfried führte das Schiff, denn ihm war der Weg zum Isenstein bekannt. Von den Fenstern winkten die Frauen und Mägde den vier Fahrtgesellen nach, die der Strom rasch rheinabwärts davontrug. Am zwölften Morgen erhob sich vor ihnen aus dem Meer eine trutzige Felsenburg. Gunther bestaunte die hohen und starken Mauern und fragte nach dem Herrn der gewaltigen Feste und des Landes ringsum. "Das ist Brunhilds Burg, der Isenstein, und ihr gehört auch das Land", antwortete Siegfried. "Heute noch werden wir die Stolze und ihre Frauen sehen, und ich rate euch, ihr Freunde: gebt einmütig Gunther als unseren Lehensherrn aus, wenn sie euch fragt." Alle waren damit einverstanden. Nicht um Gunthers willen ließ Siegfried sich zu diesem Trug herbei, er tat es der schönen Kriemhild wegen, die er als sein Weib auf die Burg nach Xanten führen wollte. Viel edle Frauen zeigten sich in den Fenstern der Burg, ein gar liebliches Bild, als das Schiff am Ufer anlegte. "Welche dieser Jungfrauen würdet Ihr wählen, wenn es in Eurer Macht stände?" fragte Siegfried den König. "Diese dort oben im weißen Kleide", antwortete Gunther. "Da habt Ihr die rechte Wahl getroffen", sagte Siegfried, "es ist die edle Brunhild, nach der Euch Herz und Sinn steht." Gunther und seine Begleiter stiegen an Land. Siegfried zog ein Ross am Zügel hinter sich und hielt dem König den Steigbügel, als dieser sich in den Sattel schwang. Dann erst holte er sein eigenes Pferd aus dem Schiff und saß auf. Brunhild und ihre Frauen schauten noch immer von den Fenstern aus zu. Schneeweiß waren die Rosse, auf denen Gunther und Siegfried nun der Burg zuritten, und von gleicher Farbe war ihre Gewandung. Auf Rappen und in schwarzer Rüstung aber sprengten Hagen und Dankwart hinter ihnen her. Edles Gestein funkelte an Sätteln und Zaumzeug, und die Waffen blitzten in der Sonne. So ritten sie unter den Augen der Frauen durch das offene Tor in den Burghof ein. Brunhilds Mannen eilten herbei, um ihnen die Rosse und die Waffen abzunehmen. Hagen wollte sein Schwert nicht aus der Hand geben, doch Siegfried riet es ihm an, das es in Brunhilds Burg so Sitte sei. Da legten alle ihre Waffen ab. Brundhild fragte ihr Gesinde, wer die fremden Recken seien. Niemand hatte sie bisher gesehen, aber einer meinte: "Der stolze junge Held dort unten muss Siegfried von Niederland sein." Da glaubte Brunhild, Siegfried sei als Werber gekommen. Sie legte ihre prächtigsten Kleider an und begab sich mit einem Geleit von mehr als hundert reichgeschmückten Frauen und fünfhundert Recken zu den Gästen. An Siegfried richtete sie zuerst ihren Gruß: "Seid willkommen in diesem Lande, Herr Siegfried! Sagt an, was führt Euch zum Isenstein?" --- "Ich danke für Euren huldvollen Gruß" erwiderte Siegfried, "aber diese Ehre steht als erstem meinem Herrn zu, dem König Gunther von Burgundenland, ich bin nur sein Lehensmann. Er ist gekommen, um Eure Hand zu werben." "Verhält es sich so", entgegnete Brunhild, "so muss er mit mir kämpfen. Gewinnt er den Sieg, so werde ich sein Weib, verliert er aber, so geht es euch allen ans Leben!" Da sprach Hagen von Tronje: "Sagt an, welche Kämpfe mein Herr zu bestehen hat. Wohl getraut er sich, einer Frau den Preis abzugewinnen." "Den Stein muss er werfen, einen Sprung tun und den Speer werfen", entschied Brunhild, "aber habt es nicht gar so eilig, denn es gilt euer Leben!" Siegfried sprach Gunther heimlich Mut zu, und dieser erwiderte zuversichtlich: "Und müsste ich noch mehr Proben bestehen, ich wäre ohne Zaudern dazu bereit, so viel liegt mir an Eurer Huld, edle Königstochter." Da ließ Brunhild ihr Streitgewand bringen, einen goldenen Panzer und ein seidenes Waffenhemd, das kein Schwert und keine Lanze versehren konnte. Auch ihr Schild, mit Gold beschlagen und mit Edelsteinen geziert, wurde herbeigetragen. Vier Männer keuchten unter der gewaltigen Last, und drei Männer mussten den riesigen Wurfspeer mit dem mächtigen Schaft und der schweren Eisenspitze heranschaffen. Gar zwölf starke Männer aber waren nötig, den ungefügten Stein herbeizuschleppen, der im Wurf geschleudert werden sollte. Als Kampfplatz werde ein Kreis abgemessen, und wohl siebenhundert Recken umgaben auf Brunhilds Geheiß als Kampfzeugen das Rund. Den Burgunden entsank bei diesen Zurüstungen der Mut. "Selbst der Teufel in der Hölle könnte es nicht aufnehmen mit diesem Weib", knurrte Hagen ingrimmig, als er die Waffen Brunhilds gewahrte, und Dankwart verwünschte laut die unselige Fahrt, die ihr aller Verderben werden musste. Inzwischen war Siegfried heimlich zum Schiff geeilt, hatte die Tarnkappe angelegt und kehrte nun unsichtbar auf das Kampffeld zurück. Eben wand Brunhild die Ärmel auf, nahm den Schild zur Hand und hob den gewaltigen Speer zum Zeichen, dass der Kampf beginnen sollte. Verstohlen berührte da Siegfried Gunthers Hand. Der erschrak, als er niemand in seiner Nähe erblickte, aber da vernahm er Siegfrieds leise Stimme: "Sei ohne Sorge, Gunther! Gib mir den Schild und höre, was ich dir sage: du hast nur die Gebärden zu machen, das übrige lass mein Werk sein!" Nie hatte Gunthers Ohr frohere Botschaft vernommen. Da warf Brunhild den Speer mit solcher Macht, dass er des Königs Schild durchschlug und die Funken aus dem Stahl stoben. Die Männer sanken in die Knie, und aus Siegfrieds Mund brach das Blut. Aber sogleich war der Held wieder auf den Füßen, riss den Speer aus dem Schilde und warf ihn auf Brunhild, den Schaft voran, denn er wollte die schöne Streiterin nicht verletzen. Wieder lohten die Funken aus Schild und Panzerringen, und von der Wucht des Speerwurfes getroffen stürzte Brunhild zu Boden. Doch gleich war sie wieder auf und rief Gunther zu: "Dank für den Schuss, edler Ritter!" Denn sie glaubte, der König habe den mächtigen Wurf getan. Zornigen Mutes hub sie nun den Stein, den zwölf Männer herangetragen hatten, schwang ihn in der Hand und schleuderte in zwölf Klafter weit. dann tat sie in voller Rüstung den Sprung, und noch über den Stein hinaus trug sie ihre wundersame Kraft. Nun galt es für Gunther, sie im Wurf und Sprung zu übertreffen. Nie hätte er es ohne des Freundes Hilfe vermocht. Wohl hob er die Hand, aber Siegfried war es, der den Stein schleuderte, weit über Brunhilds Marke, und dann ergriff er Gunther und hob sich im Sprung mit ihm noch über die Stelle hinaus, wo der Stein niedergefallen war. Doch niemand sah ihn unter seiner Tarnkappe. Gunther allein, so schien es, hatte Wurf und Sprung getan. Roter Zorn wallte in Brunhild auf, als sie sich besiegt sah. Aber sie bezwang sich und rief ihre Mannen zusammen, dass sie Gunther als dem neuen Herrn im Isenland den Treueid leisteten. Da legten die Recken die Waffen nieder und beugten vor Gunther die Knie. Der König aber bot ihnen freundlichen Dank und reichte Brunhild die Hand. An ihrer Seite schritt er dem Rittersaal zu. Siegfried hatte inzwischen die Tarnkappe zum Schiff zurückgetragen und erschien nun unter den Rittern im Saal. "Weshalb geginnt denn der Kampf noch nicht?" fragte er listig den König Gunther. Brunhild hörte es und verwunderte sich sehr. "Habt Ihr denn nicht gesehen, Herr Siegfried, dass wir schon um den Sieg gestritten haben und König Gunther Meister geblieben ist?" Rasch kam da Hagens Antwort: "Herr Siegfried war während des Kampfes auf dem Schiff, so hat er noch keine Kunde von dem Sieg unseres Herrn." "Das freut mich", sprach Siegfried, "dass jemand Euren stolzen Sinn gebeugt hat, edle Königin. Nun müsst Ihr Eurem Meister an den Rhein folgen." Ungern vernahm Brunhild diese Worte. "Das will noch bedacht sein", antwortete sie, "meine Vettern und Lehensleute haben da mitzusprechen, wenn ich außer Landes gehen soll." Und sogleich sandte sie Boten aus, um die Großen des Landes zum Isenstein zu laden. Tag für Tag kamen nun die Herren zu Brunhilds Fest geritten. Hagen geriet darob in Sorge, er befürchtete eine Hinterlist der Königin. Auch diesmal wusste Siegfried Rat. Unter der Tarnkappe verborgen, fuhr er zu Schiff ins Nibelungenland und brachte nach wenigen Tagen tausend der tapfersten Recken in reisiger Wehr zum Isenstein. Brunhild staunte, als die Schiffe unter schneeweißen Segeln dem Land nahten, und wusste nicht, was das zu bedeuten habe. Da gab Gunther Auskunft: "Meine Heergesellen sind es, die ich unterwegs zurückließ. Siegfried führt sie nun herbei." Jetzt endlich war Brunhild bereit zur Fahrt an den Rhein. Dankwart teilte in ihrem Namen mit freigebiger Hand reiche Schätze an alle Gäste aus. Aber zwanzig Reiseschreine ließ sie selbst noch füllen, um im Burgungenland daraus zu spenden. Dann nahm sie Abschied von der Heimat, den Verwandten und Freunden. Zweitausend Ritter traten mit ihr die Reise an, dazu hundert Mägde und sechundachtzig edle Frauen. Auch die tausend Nibelungenrecken, die Siegfried herbeigeholt hatte, waren unter den Fahrtgesellen. Viel fröhliche Kurzweil gab es an Bord, als die Schiffe mit gutem Wind in See stachen.