Die Pirschgeräte waren schon aufgeladen, und die Pferde standen gesattelt, als Siegfried Kriemhild am nächsten Morgen zum Abschied küsste. "Gott lass mich dich gesund und froh wiedersehen, liebe Frau", sagte er und reicht ihr die Hand. Unter Tränen suchte sie ihn zurückzuhalten. "Lass heute die Jagd", bat sie, "ich hatte in der Nacht einen schrecklichen Traum. Zwei wilde Keiler sah ich auf der Heide hinter dir herstürmen, und die Blumen wurden rot von deinem Blut. Ich fürchte, Verräter trachten dir nach dem Leben."
Siegfried lachte ihrer schlimmer Ahnung: "Weit und breit habe ich keinen Feind. Deine Brüder und ihre Recken sind meine Freunde. Wessen Verrat soll ich da fürchten?"
"Und doch droht dir Unheil", entgegnete sie unter neuen Tränen: "In einem anderen Traum sah ich, wie zwei Berge über dir zusammenstürzten, dass du nicht mehr zu sehen warst. Es zerreißt mir das Herz, wenn du jetzt von mir gehst."
Doch Siegfried ließ sich nicht halten, so sorglos war sein Sinn. "Bald bin ich wieder zurück", versprach er, schloss Kriemhild in die Arme und küsste sie. Wie hätte ihm der Gedanke kommen können, dass er es zum letztenmal tat, dass es ein Abschied war für immer!
Frohen Mutes ritten die Jagdgesellen, Gunther und Siegfried an der Spitze, über den Rhein. Gar stattlich war die Schar, denn niemand wollte das Weidwerk versäumen. Nur Gernot und Giselher waren in der Burg zurückgeblieben. Saumtiere trugen Wein und Speise nach, wie es bei einer Königsjagd Brauch war.
So gelangten sie an den grünen Saum eines Waldes, und Hagen schlug vor, jeder solle allein das Jagdglück versuchen, damit man sehe, wem der Preis zukomme. Siegfried zog mit einem alten Jäger und einem Spürhund in den Tann. Was der Hund da im Dickicht aufstöberte, wurde von Siegfrieds Hand zur Strecke gebracht. Ein Wisent, ein Elch und vier Auerochsen waren bald seine Beute, dazu viele Hirsche und Hinden (Hirschkühe). Ein wilder Eber setzte sich zur Wehr und nahm wütend den Verfolger an, doch ein einziger Schwerthieb streckte ihn nieder. Wer hatte je solch reiche Jagdbeute gesehen! Die anderen Jäger kamen herbei und baten: "Lasst doch einen Teil des Wildes für uns, Herr Siegfried! Wenn Ihr so weitermacht, räumt Ihr heute fürwahr noch den ganzen Tann."
Nach einiger Zeit ließ Gunther die Jagd abblasen. Die Weidgesellen sollten sich auf dem Lagerplatz vor dem Wald zum Imbiss einfinden. Auch Siegfried wandte das Ross und ritt zurück. Da brach plötzlich ein Bär, den der Schall des Hornes aufgestört hatte, durch das Geäst. "Der soll mit zum Lager, das gibt lustige Kurzweil!" rief Siegfried und sprengte ihm nach bis zu einer engen Schlucht, wo das Tier sich geborgen wähnte. Aber Siegfried sprang aus dem Sattel, drang zu Fuß in die Kluft ein und band den Bären, dass er sich nicht mehr zu regen vermochte. Dann schaffte er ihn auf seinem Ross zum Lagerplatz, wo alles herbeieilte, um das Untier zu bestaunen. Mit ein paar Griffen löste Siegfried ihm die Fesseln, und von den wütenden Hunden verfolgt, suchte der Braune waldwärts zu entkommen. Nun gab es die Kurzweil, die Siegfried sich ausgedacht hatte. Das Tier geriet auf seiner Flucht in die Küche und warf Kessel und Pfannen um, dass manch köstliche Speise in die Asche fiel und die Küchenknechte erschreckt davonsprangen. So wild tobte der Bär umher, dass die Jäger ihn mit der Waffe angingen, aber niemand vermochte ihn einzuholen als Siegfried, der ihn mit dem Schwert niederstreckte. Da erklang aus aller Munde Lob: keinen zweiten Jäger gab es wie ihn!
Auf dem grünen Anger ließen sich nun die müden Jagdgefährten nieder, und Gunthers Diener trugen ihnen vom Besten auf. Nur die Schenken ließen sich nicht blicken. Das verwunderte Siegfried sehr. "Wo bleibt denn der Wein?" fragte er. "Es ist doch nicht Brauch, die Jäger nach langem Weidwerk dürsten zu lassen."
"Das ist Hagens Schuld", antwortete falschzüngig König Gunther, und der Tronjer erklärte mit gleicher Argheit: "Ich glaubte, die Jagd sollte im Spessart sein, deshalb habe ich den Wein dorthin geschickt. Aber ich weiß hier in der Nähe einen kühlen Quell, der mag uns Durstige laben."
Das hörte Siegfried gern. Sogleich erhob er sich und folgte Hagen. Gunther und die übrigen schlossen sich den beiden an. Bald wies der Tronjer auf eine hohe Linde: "Dort fließt der Quell!" Aber als Siegfried hineilen wollte, hielt er ihn zurück: "Ich hörte, dass niemand sich im Wettlauf mit dem Helden aus Niederland messen mag. Hier könnten wir es einmal erproben, wenn er dazu willens ist."
Siegfried war sofort bereit: "Gern lauf ich mit euch beiden um die Wette, Gunther und Hagen, ja, ich will es in voller Jagdrüstung tun, mit Waffen und Schild, und ihr mögt alles ablegen, was euch hinderlich ist."
Gunther und Hagen taten nach seinem Geheiß, aber vergeblich rangen sie um den Sieg. Mochten sie auch wie zwei wilde Panther dahinspringen über den grünen Anger, Siegfried war vor ihnen am Quell. Doch er trank nicht sogleich. Schwert, Bogen und Köcher nahm er ab, den Speer lehnte er an den Stamm der Linde, und den Schild legte er am Brunnen nieder. Höflich wartete er, bis König Gunther getrunken hatte. Erst dann beugte er sich nieder zu der kühlen Flut.
Rasch trug Hagen, indes der Held sich labte, Bogen und Schwert beiseite. Dann fasste er den Speer von der Linde und schoss ihn durch das Kreuz auf des Knienden Gewand, dass das Blut in hohem Strahl aus der Wunde sprang. Jäh fuhr Siegfried auf, der Speerschaft ragte ihm aus der Schulter. Nach Schwert und Bogen griff er, während der Mörder in wilder Flucht davoneilte, doch er fand die Waffen nicht. Da packte er den Schild, der am Brunnen lag, sprang in gewaltigen Sätzen dem fliehenden Tronjer nach und schlug auf ihn ein, dass er taumelte und zu Boden stürzte. Hätte er ein Schwert zur Hand gehabt, um Hagen wäre es geschehen gewesen.
Doch nun schwanden dem Helden die Kräfte. Bleich sank er in die Blumen des Angers, und das Blut floss in Strömen aus der Todeswunde. "Weh, ihr Feiglinge", klagte er zornig, "heimtückisch erschlagen habt ihr mich, der ich euch stets treu war. Mit Schanden sollt ihr geschieden sein von allen guten Recken!"
Viele Ritter waren herbeigeeilt und umstanden den sterbenden Helden. Und manch einer, der auf Treue und Ehre hielt, beklagte die unselige Tat. Auch Gunther wollte seine Trauer bezeigen. Doch der Todwunde wies ihn verächtlich ab: "Der braucht nicht zu jammern, der die Schuld an dem Unheil trägt." Mit kaltem Hohn ließ sich da Hagen vernehmen: "Ich weiß nicht, was euch hier reut. Nun hat all unsere Not ein Ende. Wohl mir, dass ich dem Übermütigen den Todesstreich versetzte!"
"Ja", entgegnete ihm Siegfried, "Ihr mögt Euch leicht rühmen. Hätte ich Euren wölfischen Sinn erkannt, so wäre Euch die Meintat nicht gelungen. Nun jammert mich nichts so sehr wie Kriemhild, mein Weib, und mein unmündiger Sohn. Für immer wird an ihm die Schande hängen, dass die eigenen Verwandten ihm den Vater meuchlings erschlugen." Und mit letzter Kraft in der Stimme wandte der Sterbende sich an Gunther: "Wollt Ihr jemand noch Treue bezeigen, so empfehle ich Euch mein liebes Weib. Sie ist ja Eure Schwester, und an ihr mögt Ihr Euren Fürstensinn erweisen. Das aber sei euch noch gesagt: mein Tod wird Unheil bringen über euch alle!"
Rot färbten sich die Blumen ringsum, als der Held mit dem Tode rang. Doch nicht lange währte seine Not, denn allzu tief hatte die Mordwaffe ihn getroffen. Starr und bleich lag der gefällte Recke bald da auf dem blumendurchwirkten Anger.
Die Ritter legten den Toten auf einen goldenen Schild und hielten Rat, wie sie Hagens Tat verheimlichen könnten. Einige schlugen vor: "Wir wollen sagen, Räuber hätten Siegfried erschlagen, als er auf der Jagd allein durch den Tann ritt."
Aber davon wollte der grimme Tronjer nichts wissen: "Mich kümmert es nicht, wenn Kriemhild erfährt, wer es getan hat. Mag sie jammern, die unsere Herrin so tödlich gekränkt hat, ich habe kein Mitleid mit ihr."
Am Abend brachten die Ritter den Toten über den Rhein, und Hagen ließ ihn in der Nacht vor Kriemhilds Kemenate legen.
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