Ngakpa und Ngakmo – Die Wurzelgelübde eines Ngakpas oder einer Ngakmo

In der Nyingma-Linie wie auch in anderen Linien verpflichten sich Ngakpas und Ngakmos die „14 grundlegenden Gelübdeverstöße, auf die man achten sollte“ aus den Anuttaratantras zu vermeiden. Für jegliche Vajrayana-Lehren ist die authentische Linie der Übertragung wesentlich. Lehren können nicht von einer „allgemeinen Quelle“ wie einem Buch oder einer Web-Seite erhalten werden. Man kann keine Belehrungen geben, außer sie kommen von einer speziellen Quelle her und man hat die Lehrbefugnis dazu von einem Linienhalter erhalten. Sicht, Meditation und Handlung sind immer bezogen auf die Übertragungslinie und die Umstände und dem Kontext der Lehrer-Schüler-Verbindung in diesem Moment. Unterweisung im Vajrayana ist immer auf den Schüler bezogen verwirklicht (anstatt nur interpretiert), was eben angebracht und hilfreich für den Zustand, in dem sich der Schüler mit seiner erlebten Entwicklung und in seinen Bedingungen nun befindet. Auf diese Weise ist es dynamisch. Daher wird es eben unbefleckt oder unverdünnt von jedem Lehrer zu jedem Schüler weitergegeben. Dies kann sich aber nur dann ereignen, wenn der Lehrer, dass was er lehrt, vollständig verwirklicht hat. Daher ist die Befähigung des Linienhalters entscheidend, weil er oder sie dadurch die Verwirklichung des Lehrers bestätigt und dies ist die Garantie des Schülers, die Lehre selbst eine Verwirklichung dieser Lehre ist. Dies gilt gleichermaßen für die Wurzelgelübde.
Dazu gibt es viele Ausführungen über die 14 Wurzelgelübde gemäß den verschiedenen Überlieferungslinien und diese sind Thema zahlloser Interpretationen, die abhängig vom Lehrer, dem Schüler und seines/ihres Entwicklungszustandes und anderen Umständen sind.
Obwohl die Vermeidung der 14 Wurzelverfehlungen die „bestimmenden“ Gelübde aller Ngakmos und Ngakpas sind, variiert ihre Übertragung zwischen den Traditionen, Linien und Lehrer. Einige wie Karma Rejung Lama oder einige Schüler von S.H. Penor Rinpoche erhalten eine spezielle Ngakphang-Ordination, in der die Gelübde, die mit den 14 Wurzelverfehlungen zusammenhängen, das Kernstück darstellen. Andere erhalten ihre Verpflichtungen durch die Damtshigs, die mit der Übertragung und Praxis von Sadhanas verbunden sind, aber ohne jegliche formelle Übertragung in den Ngak’chang.
Es gibt Interpretationen gemäß Körper, Rede und Geist. Jene, die Körper und Geist betreffen, können einem Schüler nur direkt vom Lehrer gegeben werden und können hier nicht dargelegt werden. Obwohl dies auch für die Auslegung gemäß der Rede gilt, sind diese nun weitestgehend erhältlich, sodass zum Veranschaulichen eine Version davon weiter unten folgt.

Die Vajra- oder Wurzelgelübde

Die 14 Wurzelverfehlungen, die Ashvagosha im Mulapattisamgraha darlegt, sind:

  1. Den Vajra-Meister verspotten oder herabwürdigen;
  2. Die drei Ebenen der Gelübde (= das Wort des Sugata) übertreten;
  3. Mit den Vajrageschwistern streiten; aus Ärger heraus an unseren Vajrabrüdern und Vajraschwestern Fehler suchen;
  4. Die Liebe für die fühlenden Wesen aufgeben;
  5. Den Erleuchtungsgeist – Bodhichitta – aufgeben;
  6. Unsere eigenen Lehren oder jene, die sich darauf beziehen bzw. andere Lehren verspotten;
  7. Unreifen (Menschen) vertrauliche Lehren enthüllen;
  8. Die fünf Aggregate, die uranfänglich rein sind, verschmähen oder verachten;
  9. Die Leerheit ablehnen bzw. Zweifel in die inneren Lehren der Tantras entwickeln;
  10. Sich gegenüber Wesen, die beständig negativ handeln (gegenüber der Lehre), liebevoll verhalten;
  11. Sich Vorstellungen (Konzepte) über die wortlose Natur machen bzw. nicht kontinuierlich über Leerheit meditieren;
  12. Die, die Vertrauen haben, abschrecken;
  13. Sich nicht korrekt auf die Substanzen stützen, die einen stark mit der tantrischen Praxis verbinden;
  14. Frauen, die ihrer Natur nach Weisheit sind, verspotten oder herabwürdigen.

Die ersten drei beziehen sich auf die Beziehung zwischen Schüler und Lehrer, wobei der Schüler die drei Kayas des Lehrers als den Pfad begreift. Daher ist es ein tiefgründiger Ausdruck des Lama‘i Naljor, indem man diese Verpflichtung, die die eigene innewohnende Natur im Wesen des Lamas widerspiegelt, in den man letztendliche Zuflucht begründet hat, einhält.

Das Erfordernis im Vajrayana, sich einem speziellen tantrischen Meister zu verpflichten, und die wesentliche Rolle dieses Vajra-Meisters bzw. dieser Vajra-Meisterin kann nicht genug betont werden. Entsprechend einiger Traditionen und vielleicht vorrangig seit dem 14. Jahrhundert nimmt man die 14 Wurzelverpflichtungen und dadurch die Vajra-Verpflichtung, indem man die erste Ermächtigung empfängt. Gewöhnlich wird dies aber heutzutage als unpraktisch angesehen. Der Wurzel-Lama ist der Haupt- oder Wurzel-Lehrer, von dem man die Belehrungen und Ermächtigungen erhalten hat. Obwohl man Belehrungen und Ermächtigungen von vielen Lehrern erhält, ist der eigene Wurzel-Lehrer derjenige, der die Praxis und Entwicklung von einem steuert und beglaubigt. Wenn der Wurzel-Lama nicht der allerwichtigste Mensch im eigenen Leben ist, dann hat man keinen. Bevor man solch eine Verbindung eingeht, ist es wesentlich, die Glaubhaftigkeit der Verwirklichung eines Lehrers zu prüfen und ob sich dies in seinem Leben auch widerspiegelt.

Zweifel werden weiterhin entstehen, aber die Erfahrung des Zweifels wird dann als Praxis angesehen. Der Geist des Hinterfragens ist wichtig im Buddhismus, besonders im Sutra, aber wenn man sich auf Tantra eingelassen hat, ist das wie eine Ehe im Westen. Zweifel über die Braut oder den Bräutigam in der Hochzeitsnacht zu haben, ist für die Ehe nicht förderlich. Die eigene Hochzeitsnacht ist nicht die Zeit für Zweifel. Die Zeit für Zweifel und Hinterfragen liegt in der Phase, die einen zur Heirat führt. Die Heiratsphase kann man mit dem Ngöndro vergleichen, das einen zur eigentlichen Praxis hinführt. Ein interessanter Punkt ist, anders als zum traditionellen Ehesystem, wo die sexuelle Intimität bis zur Hochzeit ausbleibt, dass das Ngöndro die eigentliche Praxis beinhaltet. Die Parallele zur sexuellen Intimität im Ngöndro ist das Lama‘i Naljor (Guru-Yoga), in dem der Übende sich mit dem Geist des Lamas vereint. Lama‘i Naljor ist daher sehr wichtig, wenn die Ehe mit dem Vajrayana nicht in Scheidung enden soll. Es ist geboten, dass der Praktizierende schon vollständiges Vertrauen in den Lama hat. Wenn ein Praktzierender sich darüber nicht sicher ist, sollte er oder sie den die 14 Wurzel-Gelübde nicht nehmen. Es ist weit besser, die Gelübde niemals zu nehmen, als sie zu brechen und sich dann zu verurteilen, dass man sie gebrochen hat. Sobald ein Praktzierender diese Gelübde gebrochen hat, werden auch alle weiteren Anstrengungen in der Praxis dadurch zunichte gemacht. Mit Gelübdebruch ist nicht jeder Ausrutscher gemeint. Um einen Gelübdebruch zu vollenden, muss man konsequent darin sein und dies ohne jegliche Form der Reue machen. In anderen Worten, sich dies eben so rechtfertigen. Es wird gesagt, dass man die Gelübde bis zu drei Tage nach dem ein Bruch stattgefunden hat, reparieren kann, aber die Fähigkeit die Gelübde wieder herzustellen, vermehrt sich nicht mit der Zunahme der Zeitdauer. Daher wird Zweifel wie ein Krebsgeschwür angesehen, das man operativ entfernen sollte. Wenn Krebs durch Chemotherapie beseitigt wird, dann beachten wir das Leiden oder die Beschädigung, die durch die Chemotherapie vielleicht verursacht wird, nicht so sehr. Krebs ist lebensbedrohend und Zweifel ist (hinsichtlich der Praxis) ebenso lebensbedrohlich. Wie bei lebensbedrohlichen Krankheiten müssen sehr ernste Schritte unternommen werden und man anerkennt diese Tatsache, wenn man ein Tantrika wird. Wenn ein Praktizierender nicht darauf vorbereitet ist, Zweifel wie eine lebensbedrohliche Krankheit zu behandeln, dann sollten die 14 Wurzel-Gelübde nicht genommen werden.

Nichtsdestotrotz kann ein Praktizierender die Zweifel immer mit seinem Lehrer klären. Der Lama wird immer die eigenen Zweifeln als Teil der Belehrung behandeln. Daher ist es wichtig, niemals die Zweifel zu verstecken, die auftauchen. Manche Zweifel können ein notwendiger Aspekt der eigenen spirituellen Entwicklung sein. Wenn diese also in der Diskussion mit einem Lama erörtert werden, werden sie zur Basis wertvoller Einsichten. Wenn man mit dem Zweifel arbeitet, betrachtet der Schüler dies als eine offensichtliche Konsequenz der dualistischen Konditionierung und sucht nach Übungsmethoden, mit denen der Zweifel unterworfen werden kann. Ausdruck zu vermeiden bedeutet, dass man den eigenen Zweifel mit dem eigenen Lama bespricht. Es heißt nicht, dass man niemals Zweifel äußern darf. Unterwerfung vermeiden bedeutet, dass man offen und ehrlich zum Lama ist. Das bedeutet aber nicht, dass man die Zweifel als Beschuldigungen an den Lama sieht, aber dass man offen dafür ist, dass der Lama die Zweifel beseitigen kann. Man hat Vertrauen, dass der Lama die Zweifel beseitigt. Zerstreuung vermeiden bedeutet, dass man Zweifel nicht einfach dadurch vermeidet, indem man die Zweifel in den „organisatorischen Aktivitäten“ vergräbt und nur Teil vom Mandala des Lamas ist, ohne eigentlich an den Lehren teilzuhaben.

Dies ist ein kurzer Auszug aus der Auslegung der 14 tantrischen Wurzel-Gelübde vom Ngakpa Ga‘wang. Zum Nutzen der Sangha wurde dies zu Losar 2138 vom Ngak‘chang Rangdrol Dorje ins Deutsche übersetzt. Das englische Original ist im Internet unter www.nyingma.com erhältlich. Der ausführliche deutsche Text zu den 14 Wurzelgelübden kann vom www.lhundrub.at heruntergeladen werden.


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