Gestern musste sich Griechenland “kompromisslos an die Auflagen halten”, um gerettet zu werden. Heute wird die nächste Milliarden-Tranche nach Athen überwiesen, weil … sie überwiesen wird. Gestern spekulierten deutsche Politiker, hinauf bis zum Wirtschaftsminister, mit dem Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone. Heute ist der Verbleib des Landes in der Währungsunion alternativlos. Gestern musste Athen das Defizit strikt einhalten. Heute bekommt das Land mehr Zeit, um seine Sparziele zu erfüllen. Gestern war gestern, heute ist heute ist heute, und heute ist alles ganz anders als gestern. Wie seit Jahren in dieser Krise. Die Frage ist: Wen interessiert sein Geschwätz von heute morgen auch nicht mehr?
Klar ist nur, dass Spanien den Hilfsantrag stellen wird. Also stellen soll. Nur nicht jetzt sofort. Aber sonst unbedingt, in jedem Fall. Griechenland habe doch nichts ursächlich mit Spanien zu tun, meinen Sie? Doch, doch, hat es. Erstens inhaltlich, weil die Befürchtung grassiert, wenn Griechenland falle, kippt auch Spanien. Und das, so ist man ziemlich sicher, sprengt den Euro dann definitiv. Zweitens poltitisch-taktisch, denn im einzigen europäischen Machtzentrum – also in Berlin – will man die beiden lästigen Themen (nächste Tranche für Griechenland und spanische Rettung) unbedingt am selben Tag durch den Bundestag peitschen, denn bald sind Wahlen und da kann man schlechte Stimmung nicht gebrauchen.
Mariano Rajoy hat auch keine Eile mit seinem Hilfsantrag. Gerade ist die Risikoprämie das erste Mal seit April unter die 400-Punkte-Marke gefallen und so kann man sich vorerst halbwegs günstig refinanzieren. Natürlich nur deswegen, weil Moody´s soeben darauf verzichtet hat, Spanien auf Ramsch-Niveau herabzustufen. Und das passierte wiederum nur, weil alle einhellig davon ausgehen, dass Rajoy früher oder später die “Rettung” beantragt, die er jetzt seit Wochen akribisch mit allen Seiten verhandelt. Ende Oktober, spätestens Anfang November wird er das Fingerchen heben, davon gehen alle fest aus.
Käme das Hilfeersuchen nicht, würde ein Shitstorm durch den Finanzsektor toben und “die Märkte” sorgen für die nächste Katastrophe. Doch daran glaubt niemand. Rajoy wird seinen “virtuellen Kredit” beim ESM beantragen. Man dürfte der Madrider Regierung ein paar rein kosmetische Auflagen verpassen, nichts Substanzielles, denn Rajoys vorauseilender Gehorsam hat das Land schon vorher, wie gewünscht, ausreichend kaputtgespart. Danach kauft die Europäische Zentralbank wie angekündigt spanische Staatsanleihen im Sekundärmarkt. Hier gibt es noch ein paar Differenzen: Während Rajoy will, dass die EZB die spanische Risikoprämie bis auf 200 Punkte senkt, besteht Deutschland auf 300 Punkten, “damit Spanien in seinen Spar-Anstrengungen nicht nachlässt”. Oder anders: Wir lassen die Risikoprämie zumindest so hoch, dass Rajoy weiterhin gezwungen ist, sein Volk auszupressen.
“There will be no Staatsbankrott.”
Griechenland bleibt also im Euro, weil Griechenland im Euro bleibt. Schäuble hat es geklärt, there will be no Staatsbankrott. Grund: It all hangs together. Die Griechen bekommen noch ein paar weitere Knebelvorschriften – und dafür ein paar Jahre mehr Zeit, ihre Defizitziele zu erfüllen. Dann können die nächsten 30 Milliarden nach Athen überwiesen werden. Diesmal auf ein Sperrkonto, damit die Politiker in Athen nicht auf die perverse Idee kommen, das Geld für die Belange der Bevölkerung auszugeben, während es doch für die Banken gedacht ist. Kontrolle ist besser, diesen Südländern ist nicht zu trauen. Das muss jetzt auch Rösler verstehen, diese später Rache des Vietcong, und darf sich nicht mehr trauen, von einem Austritt Griechenlands zu schwadronieren, denn dann gibt´s Ärger mit der Jubelscheuche, die inzwischen nichts mehr davon hören will.
Griechenland muss im Euro bleiben, Spanien sowieso. Nicht aus Solidarität natürlich – was ist das denn? – sondern aus Eigeninteresse: Wenn der Euro stirbt, stirbt Europa. Das gilt heute wie gestern. Das Einzige, woran sich noch nichts geändert hat. Denn geändert hat sich ansonsten schon fast alles. So wie auch die Idee der Bankenunion. Ende Juni wurde vereinbart, dass die jetzt kommt und zwar zack, zack. Damit sollte der fatale Zusammenhang zwischen Staatsschulden und Finanzierungsproblemen gelöst werden. Inzwischen hat Berlin aber die rhetorische Verwirbelungsmaschine eingeschaltet. Bankenunion sicher, aber klar, nur nicht zum 1. Januar, das muss alles ganz genau vorbereitet und besprochen und … dings. Also 2014. Ende 2014. Frühestens. Die EZB könne ja ab 1. Januar die Banken kontrollieren, die sowieso schon interveniert wurden, aber die anderen … das hat Zeit, schallt es aus Berlin.
Nun wird wieder gekämpft beim Abendessen am Donnerstag. Frankreich, Italien und Spanien werden wie immer versuchen zu verhindern, dass die Bundesregierung ihren Kopf durchsetzt und die Bedingungen allein fest schreibt. Wie immer wird dieser Plan fehlschlagen und die direkte Rekapitalisierung der Banken ohne den Umweg über die Staatshaushalte nicht zu erreichen sein. Man wird das heisse Eisen einfach an die Finanzminister weiter schieben und sagen, die Regierungschefs seien dafür nicht zuständig. Doch ohne die Bankenunion ist der gordische Knoten nicht zu lösen. Spielt aber keine Rolle. In Deutschland drohen die Wahlplakate, und die haben mehr Gewicht als praktische Lösungen. Vor allem dann, wenn “die Märkte” gerade halbwegs Ruhe geben und keinen Aufstand verursachen.
Das gilt auch, und natürlich noch viel mehr, für die wirklich wichtigen Fragen. Nämlich wie man sich ein Europa in der Zukunft überhaupt vorstellt. Oder wie die Konstruktionsfehler des Euro zu beseitigen wären. Da kommt die heisse Kartoffel, die Schäuble gerade durch den Saal geworfen hat, natürlich besonders unangenehm: Man müsse dringend hin zur Fiskalunion, meint er, und zu einem europäischen Finanzminister, der durchregieren kann … auch wenn er den nicht so nennt. Doch das hatte Sarkozy schon einmal abgeschmettert. Man darf gespannt sein, was Hollande dazu sagt. Und dann droht da noch das böse Gespenst Eurobonds *schuhuuu*, das die Südländer garantiert wieder auf den Tisch bringen werden und gewöhnlich Schlottern im Hosenanzug auslöst.
Wie man sieht, herrscht überall Einigkeit darüber, dass man sich nicht einig wird. Besonders nicht zwischen Paris und Berlin. Frankreich will die spanische “Rettung” jetzt sofort, die Bundesregierung will lieber warten. Paris besteht auf dem Juni-Fahrplan bezüglich Bankenunion, Berlin hat das seitdem ganz anders verstanden und kann sich an die genauen Vereinbarungen nicht so recht erinnern. Die deutsche Regierung verliert jeden Tag mehr Sympathiewerte, egal wo, doch schafft sie es bisher, ihre Linie durchzusetzen. Wer braucht Freunde, solange er Recht behält?
Das alles ist kompliziert genug, aber letztendlich ein harmloser Witz gegenüber den Fragen, die irgendwann gestellt werden müssen, wenn den (angeblich) Verantwortlichen klar wird, dass alle ihre (angeblich) so schwierigen Entscheidungen rein gar nichts dazu beitragen können, die wirklich wichtigen Themen zu behandeln, ohne die eine tatsächliche Lösung unmöglich ist:
* Wie verhindert man, dass steigende Produktivität zu immer mehr Arbeitsplatz-Abbau führt?
* Wie kann die unerträgliche Kluft zwischen Arm und Reich abgebaut werden?
* Wie entgeht man dem ewigen “Wachstumszwang”?
Aber wollen wir sie nicht überfordern, die Verantwortlichen, solange sie so beschäftigt sind … hat ja (keine) Zeit.
Lesen Sie dazu bitte auch:
* Mit dem Molotow-Cocktail auf der Gartenmauer
* 25 Fakten zum Nachdenken: Warum das System irreparabel ist!
* Wer ist schuld an der Krise?
* Rajoy will jetzt einen “virtuellen Kredit” statt Staatsrettung