Was macht man, wenn man sich selbst für das größte anzunehmende Nachrichtenmagazin hält? Dann aber ein Thema verpasst hat? Und plötzlich mitbekommt, dass es doch eine Menge Leute interessiert? Man schickt einen Federfechter wie Yasmin El-Sharif aus. Und die nennt das das kleine Youtube-Filmchen, das zum europäischen Rettungsfonds alle Fragen stellt, die sämtliche etablierten Qualitätsmagazine über Monate totgeschwiegen haben, ein "Vermeintliches Enthüllungsvideo", das nur "Polemik gegen Rettungshilfen" enthalten und "angebliche Fallstricke des künftigen Rettungsschirms" aufdecke. Das heize "die Anti-Europa-Stimmung an", sei aber eigentlich alles kalter Kaffee. Wenn erst ein richtige Spezialistin wie El-Sharif tätig wird, entpuppen sich alle "Argumente schnell als übertrieben".
Und überhaupt. Was soll das? war nicht schon lange alles zu diesem 700-Milliarden-Thema gesagt? Hat nicht der Spiegel selbst schon Mitte Juni neun ganze Zeilen zum Rettungsfonds ESM veröffentlicht? Und dabei sogar die Zahl von 700 Milliarden genannt? El-Sharif ist sicher: "Die Höhe steht bereits seit Mai fest und wurde in der Öffentlichkeit breit diskutiert - auch auf SPIEGEL ONLINE". Neun Zeilen! Reicht doch auch. Ist doch nicht die Kuh Yvonne! Deren spannendes Schicksal hat das Nachrichtenmagazin Nummer 1 ausweislich seines Archives seit Anfang August in immerhin neun instruktiven Reportagen und Analysen beleuchtet. neun Zeilen gegen neun Beiträge - Platz ist eben nur einmal da!
So wundert es kaum, dass für das Wort "Gouverneursrat" im Zusammenhang mit dem Eurorettungsfonds ESM bisher keine Zeile mehr übrig blieb (Screenshot). Das änderte nun erst Yasmin El-Sharif in ihrem klassischen Tass-ist-ermächtigt-zu-erklären"-Stück zum "vermeintlichen Enthüllungsvideo". Das komme, nörgelt sie, "ganz harmlos im Wer-wie-was-Stil der Sesamstraße daher". Verschafft dem Blatt aber doch irgendwie die Möglichkeit, darauf hinzuweisen, "dass alle relevanten Entscheidungen auf EU-Ebene zunächst in den nationalen Parlamenten behandelt und verabschiedet werden müssen".
Völlig klar: Wenn das so ist, gibt es keinerlei Diskussionsbedarf. Schließlich, so El-Sharif, "handelt es sich beim ESM bislang nicht ohne Grund um einen Vertragsentwurf." da ist noch gar nichts fest. Da muss man nicht drüber schwatzen. Hat die Berichterstatterin ausweislich des "Spiegel"-Archives bis zu diesem Tage auch noch nie getan. Gab ja keinen Grund! Erst jetzt heißt es handeln. Denn "es drängt sich die Vermutung auf, dass die Veröffentlichung des Videos perfekt geplant war, um die aktuelle Anti-Euro-Stimmung zusätzlich anzuheizen", argwöhnt die Autorin. In diesem Monat stünden wichtige EU-Entscheidungen an, erst das Verfassungsgerichtsurteil über die europäischen Nothilfen, dann Ende September der Bundestag zum vorläufigen Rettungsmechanismus EFSF, dann im Dezember der ESM selbst.
Ja, Januar oder Februar nächstes Jahr wäre ein total guter Zeitpunkt gewesen, so ein Video hochzuladen.