Vor einiger Zeit wurde im Rahmen eines Laufschuh-Symposiums, das die Runner’s World organisiert hat, das neue Konzept ’Stride Signature’ vorgestellt. Umfangreiche Studien zu Bewegungsabläufen von Läufern haben ergeben, dass die heutigen Kategorien von Laufschuhen vielleicht ausgedient haben. Es müssen scheinbar neue Wege gefunden werden, um das perfekte Schuhmodell für den eigenen Laufstil auszuwählen. Wie genau die aussehen können, ist noch offen, was das Thema aber nicht minder spannend macht.
Weil sich die Thematik als mehr als komplex herausgestellt hat, freute ich mich, anschließend Fitnesstrends auf der ISPO genauer unter die Lupe zu nehmen.
Schon als Kind war ich sportlich. Ich habe mich in vielen Sportarten ausprobiert, konnte nie wirklich still sitzen, auch wenn ich Phasen hatte, die sehr still waren. Ich musste mich bewegen, war eben kein Stubenhocker. Auch wenn ich keine Begabung habe, für rhythmische Sportarten, so habe ich doch den Rhythmus des Laufens im Blut. Egal, ob ich Handball oder Basketball gespielt habe oder “nur” laufend unterwegs war, schon als Kind hat es mich fasziniert, wie unterschiedlich sich jeder bewegt. Um mich herum schon immer so unterschiedliche Bewegungsstile wie Menschen. Jeder von ihnen bewegt sich anders, läuft anders. Manche schlenkern mit den Armen und Beinen. Manche laufen nach vorn gebeugt oder ganz gerade. Einige treten mit dem Vorfuß auf, andere mit der Ferse und viele mit dem Mittelfuß.
Ich beispielsweise habe nach einer Laufpause vor einigen Jahren meinen Laufstil mit Hilfe von Physiotherapie und zum Teil neu erlernten Bewegungsmustern etwas umgestellt. Es gelingt mir zwar auch heute noch nicht einen ganzen Marathon zu laufen, ohne mit der Ferse zuerst aufzukommen. Aber ich kann meine Intervalleinheiten und einen anspruchsvollen langen Lauf durchaus aus mit dem Mittelfuß bewältigen. Das heißt nicht, dass das der richtige Laufstil für jeden ist. Es ist der Stil, der mir und vor allem meinem Rücken gut tut.
Was sich dennoch nicht verändert hat, ist das leichte Abrollen über die Seite meiner Füße. Ich kenne es von meiner frühsten Kindheit, aber hatte nie Probleme damit. Mir fällt es beim Laufen auch nicht auf. Ich sehe es nur hin und wieder auf Fotos. Vor einigen Jahren hatte ich selbst das nie wirklich beachtet, bis hier auf meiner Seite jemand ein Kommentar dazu hinterlassen hat. Aber das ist mein Laufstil, der mich mehr oder weniger effektiv und vor allem gesund an meine Ziele bringt. Genauso wie viele andere Freizeit- und Profiathleten trotz vielleicht zuweilen sehr eigentümlich anmutenden Laufstilen ihr Ziel erreichen.
Während ich mit leichteren Laufschuhen auch auf langen Distanzen über die Jahre sehr glücklich geworden bin und sogar auf kurzen Strecken und für mein Lauf-ABC auf Barfußmodelle zurückgreife, gibt es eine Vielzahl von Läufer, die damit so gar nichts anfangen können. Das liegt meist nicht daran, dass sie sich der Entwicklung und dem Fortschritt verweigern, als vielmehr daran, dass ihr Körper damit nicht zurecht kommt. So spaltet sich die Laufwelt in die Barfuß- und Minimalwelt und die, die einfach nur einen Laufschuh mit allem Drumherum tragen möchten und können. Wenn man sich wieder die sehr individuellen, persönlichen Stile ins Gedächtnis ruft, ist das vielleicht sogar gut so. Mein Orthopädie ist bei kleineren Wehwehchen auch immer wieder davon überzeugt, dass er in das komplexe System eines Läufers nicht eingreifen möchte. Es sei denn es liegt etwas Schwerwiegendes vor. Eine kleine Einlage, kann den persönlichen Stil nämlich schon ganz schön durcheinanderbringen.
Außerdem kann man auch nicht immer auf jeden Modezug aufspringen. Von Sprungfedern über Gel- und Luftkissen, Sohlen, die man kaum Sohle nennen kann bis handschuhartige Modelle, die man ja, tatsächlich als Laufschuh trägt. Auch heute noch können die Unterschiede der Laufschuhe kaum größer sein. Es wird immer schwerer für Läufer einen Weg durch das Laufschuhlabyrinth mit hunderten verschiedenen Modellen von knapp fünfzig Laufschuhherstellern zu finden und den richtigen Schuh für die eigenen Bedürfnisse herauszufiltern.
Irgendwie scheint alles da gewesen zu sein, aber trotzdem bleiben Laufverletzungen aus irgendeinem Grund immer gleich. Es ist die schmerzende Achillessehne, das entzündete Schienbein, die verhärtete Wade, die ziehende Fußmuskulatur oder vor allem das Läuferknie. Vielleicht sind die Laufschuhe und die Kategorien, in die wir Läufer gesteckt werden, aber ein Grund dafür, dass wir unseren natürlichen Bewegungsmustern nicht mehr folgen können.
Diese persönlichen Bewegungsmuster haben sich in umfangreichen Untersuchungen die beiden führenden Forscher für Biomechanik, Prof. Dr. Gert-Peter Brüggemann und Prof. Dr. Joseph Hamill, genauer angeschaut. Dabei haben sie herausgefunden, dass die Knie im Zusammenspiel mit anderen Gelenken wie dem Knöchel und der Hüfte für unseren absolut einzigartigen Laufstil sorgen. Warum das so ist, habe ich während des Laufschuh-Symposiums erfahren.
Um detailliert die Studien von Brüggemann und Hamill wiedergeben zu können, bräuchte ich die beiden Professoren an meiner Seite. Wer alle Details der Studien erfahren möchte, kann sich gern hier belesen. Was ich aber für mich mitgenommen habe, war die interessante Tatsache, dass unser Laufstil nicht allein von den Füßen abfängt. Vielmehr muss man sich einen Läufer ganzheitlich anschauen – begonnen von der individuellen Bewegung über die Lauferfahrung, das Alter, das Gewicht etc. Jetzt werden sicher viele sagen, dass wäre absolut logisch, aber dennoch haben Laufschuhhersteller über Jahrzehnte ihr Augenmerk nur auf die Füße gelegt. Sie haben wenige simple Kategorien erstellt, die uns Läufer entweder in neutrale Schuhe oder in welche mit einer Stütze stecken. Wahlweise mit mehr oder weniger Dämpfung.
Dabei ist unser Körperbau ebenso einzigartig, wie all die vielen Laufstile, die eben genau daraus resultieren. Jede Verbindung aus Knochen, Gelenken, Sehnen, Bänder und Muskeln funktioniert bei jedem Menschen in einer ganz bestimmten Weise. Nicht nur dass das Gelenk bei jeden etwas anders geformt ist. Auch die Sehnen und Muskelverbindungen sind individuell anders, angepasst an den eigenen Körper. So ist nicht nur die Gelenkbewegung als solche sondern auch das Zusammenspiel mit den Bändern für reibungslose aber durchweg einzigartige Bewegung zuständig. Nicht zuletzt sind die Bänder unterschiedlich fest und flexibel, was wiederum aufgrund der Ernährung, der DNA, des Trainingszustandes, des Alters und zurückliegende Verletzungen zu einem noch persönlicherem Gebilde führt.
Um die Sache noch etwas zu verkomplizieren, bewegt sich nun dieses einzigartige Gebilde nicht nur einfach vorwärts und auf- und abwärts. Es kommt zudem zu einer Rotationsbewegung, die durch den Armschwung verursacht wird.
Als Hamill und Brüggemann ihre Studie mit 300 Läufern durchgeführt hatten, haben sie eine Fülle biomechanischer Daten gesammelt, aus denen sie insgesamt vier Gruppen herausfiltern konnten. Diese vier Gruppen unterscheiden sich in Flexibilität, Fußform, Muskelstärke, Alter, Gewicht, Lauferfahrung und wie sich der Körper an bestimmten Gelenken wie Knie, Hüfte, Knöchel und Zehen bewegt. Gibt man diesen vier Gruppen einen Laufschuh, so reagieren sie ganz unterschiedlich darauf. Es sind nicht nur die Füße, die in den Schuhen stecken, sondern der gesamte Mensch. Deshalb können eben nicht nur die Füße als Maß der Dinge angesehen werden.
In einer weiteren Studie mit verschiedenen Untergründen konnten die beiden Professoren herausfinden, dass sich die Bewegung eines Läufers den Untergründen anpasst. Je nach Bedarf wissen die Muskeln, wie sie beispielsweise schräge Wege ausgleichen können. Es ist nicht notwendig, Läufer deshalb einen bestimmten Schuh anzuziehen. Das Wunderwerk Körper sorgt selbst in solchen Situationen dafür, dass wir unseren persönlichen Laufstil beibehalten können.
All die Untersuchen basieren aber darauf, dass unser Körper beim Laufen ein Vielfaches seines Gewichts abfangen muss. Wie er sich aber tatsächlich also ursprünglich bewegt, haben Brüggemann und Hamill in einer Studie zur bevorzugten Bewegung unseres Körper herausgefunden. Vereinfacht ausgedrückt hat man Läufer über ein Laufband aufgehängt und sie unterschiedlichen Belastungen zwischen 20% und 100% des natürlichen Körpergewichts ausgesetzt. Dabei wurden zwei Gruppen herausgefiltert – die eine Gruppe bewegt sich unter geringer Last anders, als wenn sie das gesamte Körpergewicht spürt. Bei der zweiten war nur eine geringe Veränderung in den Bewegungsmustern zu erkennen. Aber beide Gruppen versuchen sich ihrer natürlichen Bewegung, wie sie bei geringer Last auftritt, anzunähern. Dabei muss unser Körper wie beim Ausgleichen der o.g. schrägen Wege viel Ausgleichsarbeit leisten. Das kann bei Läufern dazu führen, dass das Verletzungsrisiko steigt.
Unser Körper versucht also unter allen Umständen, dem natürlichen Bewegungsmuster, unserer persönlichen Laufsignatur zu folgen.
Die Idee ist nun zunächst den Kunden das zu geben, was sie tatsächlich brauchen. Nichts Kompliziertes, was die Laufbewegung korrigiert und vielleicht zu einer ganz ungewohnten, nachteiligen Bewegung zwingt.
Laufschuhe sollen Raum geben, um den ganz persönlichen Bewegungsablauf pflegen zu können bzw. ihm unter der Belastung des Laufens so nahe wie möglich zu kommen.
Der Signatur (oder wie es die Professoren nennen: ”Stride Signature”) eines jeden Menschen beziehungsweise Läufers soll individuell Rechnung getragen werden.
Statt Schuhe dem Läufer anzuziehen, die ihn bei scheinbaren Fehlbewegungen korrigieren, sollten sich Schuhe an den Läufer anpassen. Wie genau das aussehen kann, steht erst einmal noch im Raum. Brooks arbeitet deshalb eng mit dem Forscherteam zusammen und hat bereits versucht in diese Richtung Modelle zu entwickeln.
Aber nicht nur bei mir türmten sich die Fragezeichen über meinem Kopf auf, obwohl die Ergebnisse absolut logisch scheinen. Auch die Professoren und Vertreter von Runner’s World, die Produktentwickler von Brooks und vor allem die, die später einen Laufschuh verkaufen sollen – die Einkäufer und Verkäufer von Laufgeschäften – stellten eine Vielzahl von Fragen, die einer Beantwortung bedürfen. In Gruppenarbeit wurde am Ende des Symposiums versucht, auf Fragen einzugehen und Lösungsansätze zu finden. Was gar nicht so einfach war und auch jetzt mit etwas Zeit dazwischen nicht einfach ist.
Letztlich kam bei dem Symposium sehr klar eines rüber: es handelt sich um einen ganz neuen Ansatz, Schuhe zu designen. Er rückt uns Läufer als Ganzes in den Mittelpunkt. Es ist viel zu einfach zu sagen, dass es nur um unsere Füße geht, so heilig sie mir persönlich ja sind. Ich habe für mich einfach über die Jahre herausgefunden, dass es mir gut geht, wenn es meinen Füßen gut geht. Deshalb beharre ich auf meine Fußgymnastik und arbeite heute noch mit meiner Physiotherapeutin daran, sie im Lot zu halten.
Der individuelle Laufstil ist aber eben so viel mehr und sollte nicht “weggestützt” sondern unterstützt und gefördert werden. Dadurch kann und soll sich auch der Tragekomfort von Laufschuhen deutlich erhöhen. Dem eigenen Stil folgen zu dürfen, soll sich nicht zuletzt auch positiv auf die Effizienz des Laufens auswirken. Was wiederum sehr verlockend klingt. Wer möchte nicht natürlich und entspannt und dadurch auch effizienter laufen?
Ich bin wirklich gespannt, wie sich die Laufschuhhersteller und Verkäufer dieser Thematik annähern. Was für den Moment bleibt, sind für mich die folgenden Fragen. Wie kann man in einem Laufgeschäft diese persönliche Signatur herausfinden? Videoanalyse des gesamten Körpers? Wie komplex kann und darf ein System sein? Was für Materialien sollen verwendet werden, damit mein persönlicher Laufstil gefördert und nicht unterdrückt wird?
Die Thematik war in der Tat tagesfüllend und es gab einiges zu verarbeiten. Deshalb genoss ich die anschließende ruhigere Zeit auf der Sportmesse ISPO. Neben Hallen voller wahlweise selbstgestrickter und gehäkelter Wollmützen, gab es einiges zu entdecken. Mehr dazu in meinem folgenden Beitrag die Tage.