Die neue Punkte-Regeln: Voller Fallen! – Foto: © Motorrad & Reisen
Anstieg der Führerschein – Verluste?
Ohne viel Getöse und weitgehend ohne kritische Würdigung gilt seit dem 1.Mai das neue Punktesystem im Straßenverkehr. Dabei steckt die Neuregelung voller Fallen und wird vermutlich zu einem steilen Anstieg der Führerschein-Verluste führen. Davon werden wohl vermehrt auch weitgehend regelkonform fahrende Chauffeure und vor allem Vielfahrer betroffen sein. Zunächst soll das neue „Fahreignungs-Bewertungssystem” durch die Reduzierung der Punktezahl von 18 auf 8 der Abschreckung und Disziplinierung dienen. Vor allem sollen Gefährdungssituationen geahndet werden. Von nun an wiegen also kleinere Vergehen schwerer als bisher.
• Das fängt schon bei der Lieblingsbeschäftigung deutscher Autofahrer/innen, dem Telefonieren ohne Freisprecheinrichtung an. Das kostet nämlich nunmehr nicht nur 60 Euro sondern bringt zusätzlich noch einen Punkt in Flensburg ein.
Dazu muss man wissen, dass zwar zukünftig jeder Punkt einzeln verjährt, die Tilgung also nicht mehr gehemmt werden kann, sondern die Folgen drastisch verschärft wurden. Jeder einzelne Punkt verjährt jetzt nämlich erst nach zwei Jahren und sechs Monaten statt nach zwei Jahren wie bisher.
Handelt man sich gleich zwei Punkte für höher bewertete Vergehen ein, verjähren die Strafpunkte erst nach fünf Jahren und bei Delikten mit drei Punkten sogar erst nach zehn Jahren.
Noch gravierender aber ist, dass man schneller zu den Punkten kommt, als man denkt. Wer glaubt, dass Routine und defensive Fahrweise vor Strafe schützt, ist schief gewickelt. Strafen gibt es nämlich auch ganz schnell für Fehlverhalten, das den versiertesten Fahrern unterlaufen kann.
• Wer beispielsweise bei Tempo 101 weniger als 50 Meter Abstand zu seinem Vordermann hält, wird mit einem Punkt und 75 Euro bestraft. Der Abstand entspricht etwa der Länge von zwei Sattelschleppern. Da ist an der Tagesordnung, wenn andere Autos in die Lücke stoßen. Die Regel, nach der der Abstand der halben Tachoanzeige entsprechen soll, wird wichtiger denn je. Wird man in so einer Situation mit geringerem Abstand geblitzt, dürfte der Beweis, dass man die Situation nicht zu verantworten hat, fast unmöglich werden.
• Wer an einem Linienbus vorbeifährt, der den Warnblinker eingeschaltet hat und nicht wartet oder mit ausreichendem Abstand vorbeirollt und dabei die Fahrgäste nicht vorbei lässt, muss mit einem Punkt und 60 Euro Geldstrafe rechnen.
• Der grüne Pfeil, ein harmloses Relikt aus der vergangenen diktatorischen DDR, hat nun auch seine Tücken. Wer dort nicht anhält, zahlt 70 Euro und bekommt
einen Punkt beim Kraftfahrtbundesamt eingetragen.
• Wenn ein Fußgänger sich in verkehrsberuhigten Zonen gefährdet fühlt und dieses anzeigt, bekommt der vermeintliche Sünder satte 60 Euro und einen Punkt aufgebrummt.
• Mit einem Punkt und 60 Euro muss ein Fahrer rechnen, wenn er in einer unübersichtlichen Kurve oder Straße parkt und ein möglicher Feuerwehreinsatz behindert wird. In einer Feuerwehreinfahrt kostet es noch fünf Euro mehr.
• Fahrer, die bei starkem Regen außerhalb geschlossener Ortschaften nur ihr Tagfahrlicht einschalten, müssen mit einem Punkt und 60 Euro Strafe rechnen. Schon mal bei Tempo 80 auf den Abstand zum Vordermann geachtet? Bei weniger als 12 Metern, also ein Abstand, der oft bei dichtem Verkehr reichen muss, kann das richtig „teuer” werden. Dann sind nämlich 160 Euro, ein Punkt und ein Monat Fahrverbot fällig.
•• Bei kleinsten Remplern an einem anderen Auto, sollte man nun in jedem Fall die Polizei verständigen. Der Zettel am Scheibenwischer ist keine Option. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort wird nämlich fortan mit zwei Punkten bestraft. Eine Strafanzeige kann außerdem fällig werden. Bei größeren Schäden gibt es sogar drei Punkte.
• • • Radikal bestraft wird nun unterlassene Hilfeleistung. Wer dabei erwischt wird, muss mit zwei oder sogar drei Punkten in der Flensburger Kartei rechnen. Außerdem droht der Entzug des Führerscheins. Fortan sollte also kein Auto- oder Motorradfahrer mehr an einem Unfallort vorbei fahren, ohne zu fragen, ob Hilfe gebraucht wird.
••• Ein sogenannter „gefährlicher Eingriff” in den Straßenverkehr (Schneiden, Drängeln etc.) zieht immer mindestens zwei Punkte nach sich.
Besonders heikel ist dabei die „Nötigung”. Bei diesem Tatbestand kann es zukünftig zu einer Welle von Anzeigen und Inanspruchnahmen von rechtlichem Beistand kommen. Die Anzeige eines Verkehrsteilnehmers kann nämlich zu einem Fahrverbot und zusätzlich zwei oder in schweren Fällen drei Punkten führen. Es wird auch nicht mehr von der Unschuldsvermutung ausgegangen sondern der Beschuldigte muss durch Zeugen oder andere Beweise seine Unschuld belegen. Das dürfte zu einem erheblichen Absatz von Dashbordkameras führen, welche die Fahrten aufzeichnen. Das sind dann Zustände, wie sie bislang aus Moskau überliefert sind.
Blitzer – Foto: © Motorrad & Reisen
Aber unsere Verkehrsminister sind schließlich doch gnädig mit den Auto- und Motorradfahrern. Sie können nämlich durch die Teilnahme an „Fahreignungsseminaren” bei den Stufen „Vormerkung” (1-3 Punkte) und „Ermahnung” (4-5 Punkte) alle fünf Jahre einen Punkt abbauen. Das ist aber wohl eher was für betuchte Fahrer, denn zusätzlich ist mit Kosten von etwa 500 Euro zu rechnen. In der Stufe „Verwarnung” (6 bis 7 Punkte) kann man freiwillig an so einem Seminar teilnehmen. Zu Punkteabzug führt das allerdings nicht.
Wer seinen Führerschein mit acht Punkten los geworden ist, muss erst mal sechs Monate warten. Danach folgt die für den Antragsteller schwierige Testung seiner Person durch eine amtlich anerkannte Begutachtungsstelle für Fahreignung.
Nie war es also mehr angeraten, sich aufmerksam und regelkonform im Straßenverkehr zu bewegen. Außerdem dürfte Hobby-Denunzianten für ein neues Betätigungsfeld Tür und Tor geöffnet werden!
von Frank Klose – Herausgeber und Redakteur von “Motorrad & Reisen“
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Quellen – weiterführende Links
Flensburg und Blitzer – Fotos: © Motorrad & Reisen, mit freundlicher Erlaubnis.
Frank Kloses Artikel ist in der aktuellen Juli-Ausgabe 2014 des Motorrad-Magazins auf den Seiten 20 und 21 erschienen. Veröffentlichungsrechte - © Frank Klose, Kontakt: [email protected]