Neue Freiheiten

Von Beautifulvenditti

Abends, wenn die Jüngsten schlafen, wenn es in der oberen Etage allmählich stiller wird und es draussen noch hell ist, dann packt uns dieser unbändige Freiheitsdrang. So viele Dinge, die man anstellen könnte. Ein zweites Eis essen, obschon offiziell nur eines pro Tag erlaubt ist. Einen Kaffee mit Sahnehäubchen trinken. Vielleicht einen Film schauen, der erst ab zwölf Jahren freigegeben ist. Oder gar an einem Glas Kamillenwein nippen.

Wenn die Kinder erst mal wegschauen, sind die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt und heute haben wir mal etwas ganz Grosses gewagt: Einen Abendspaziergang. Natürlich haben wir zuerst die Kinder, die noch wach waren, um Erlaubnis gefragt – notfalls wäre ja noch die Grossmama im Haus-, dann aber haben wir so richtig die Sau rausgelassen. Wir überquerten die Strasse zehn Meter neben dem Fussgängerstreifen, besorgten an der Tankstelle Chips und “Meiner” rief den Schwänen im Park eine wüste Beleidigung zu, weil er diese Tiere aus mir vollkommen unverständlichen Gründen nicht ausstehen kann. Am Ende – und jetzt haltet euch bitte fest – wagten wir es gar, Händchen zu halten. Wenn das unsere Kinder gesehen hätten. Die hätten sich sofort dazwischen gedrängt.

Wie so oft, wenn man die ganz grosse Freiheit geniesst, vergassen “Meiner” und ich die Zeit und so kamen wir nicht wie vorgesehen nach dreissig Minuten nach Hause, sondern erst nach sechzig. Und so, wie einen früher eine erboste Mutter in Empfang nahm, wenn man mal über die Stränge gehauen hatte, so stand heute Karlsson an der Tür und hielt uns eine Standpauke. So richtig frei ist man eben nie in diesem Leben.