Neue Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zum Urlaubsrecht

Erstellt am 29. Juni 2011 von Stscherer

© Thomas Meyer / pixelio.de

Draussen sind es knapp 30 Grad, hier im Büro sind es immerhin 26 Grad – da wünscht man sich eigentlich nur Eines: Urlaub!

Aber wenn man den schon nicht haben kann, dann bleibt einem immer noch doch Beschäftigung mit neuen Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts zur Frage des Urlaubs:

1. In einem Urteil  des Bundesarbeitsgerichts vom 24. März 2009 – 9 AZR 983/07 – (Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Köln, Urteil vom 29. August 2007 – 7 Sa 673/07 -) stand die Frage der Urlaubsabgeltung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit im Fokus des 9. Senats. Ausgangspunkt war die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Sache Schultz-Hoff vom 20. Januar 2009 (- C-350/06 und C-520/06 -) zu Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG.

Nach Auffassung des EuGH stehe diese Norm den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften entgegen, nach denen Arbeitnehmern, die wegen Krankheit den Jahresurlaub nicht in Anspruch nehmen können, am Ende des Arbeitsverhältnisses keine „finanzielle Vergütung“ gezahlt wird. Nationale Rechtsvorschriften dürfen diese Ansprüche nicht untergehen lassen.

Nun, dies widersprach der bisherigen Rechtsprechung des BAG, denn dort wurden § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG bisher so ausgelegt, dass der Urlaubsabgeltungsanspruch erlischt, wenn der Urlaubsanspruch aufgrund der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers bis zum Ende des Übertragungszeitraums nicht erfüllt werden kann.

Doch das BAG wollte sich nicht in Widerspruch zum EuGH setzen und gab seine Rechtsprechung ausdrücklich auf: Ansprüche auf Abgeltung gesetzlichen Teil- oder Vollurlaubs erlöschen nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums erkrankt und deshalb arbeitsunfähig ist. § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG ist im Verhältnis zu privaten Arbeitgebern nach den Vorgaben des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie gemeinschaftsrechtskonform fortzubilden. Jedenfalls seit Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts Düsseldorf vom 2. August 2006 in der Sache Schultz-Hoff (- 12 Sa 486/06 -) besteht kein schützenswertes Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Senatsrechtsprechung. Gesetzlichen Ansprüchen, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht verfallen waren, steht trotz krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit kein Erfüllungshindernis entgegen.

Diese Änderung der Rechtsprechung hat nicht unerhebliche Auswirkungen in der Praxis, denn der Fall, dass korrespondierend mit einer arbeitgeberseitigen Kündigung oder flankierend zu einer arbeitnehmerseitigen Kündigung auch eine Erkrankung auftritt, die zur Arbeitsunfähigkeit führt, dürfte sehr häufig sein. Und so kommen die Abgeltung der restlichen Urlaubstage seit dieser Entscheidung regelmässig schon in den Vergleichsverhandlungen mit in die „Verhandlungsmasse“.

2. Etwas anders sieht es aus, wenn das Arbeitsverhältnis trotz dauernder Arbeitsunfähigkeit weiter besteht; die Ansprüche auf Gewährung und Abgeltung des gesetzlichen Urlaubs erlöschen nämlich nicht, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums sowie darüber hinaus arbeitsunfähig erkrankt ist, § 7 Abs. 3 und 4 BUrlG. Ist ein tarifliches Urlaubsgeld mit der Urlaubsvergütung verknüpft (akzessorisch), ist es erst dann zu zahlen, wenn auch ein Anspruch auf Urlaubsvergütung fällig ist. Dies stellte ebenfalls der 9. Senat in seinem Urteil vom 19. Mai 2009 zum Aktenzeichen 9 AZR 477/07 (Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. Januar 2007 – 6 Sa 830/06) ausdrücklich fest.

3. Schwierig ist die Berechnung des tatsächlichen Urlaubs dann, wenn in den Berechnungszeitraum Elternzeiten fallen. Abstellen muss man in diesen Fällen zunächst einmal auf den Beginn des Urlaubsanspruchs: dieser entsteht nach erfüllter Wartezeit jeweils mit Beginn des Urlaubsjahres, § 4 BUrlG.

Sodann stellt sich die Frage, wie sich den Elternzeit auf den Urlaubsanspruch auswirkt; tatsächlich kann der Arbeitgeber nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG den Erholungsurlaub für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit um ein Zwölftel zu kürzen.

Konkret entsteht der Anspruch auf Erholungsurlaub also zu Beginn des Jahres auch für die Monate der künftigen Elternzeit. Er darf lediglich gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BEEG um ein Zwölftel für jeden vollen Kalendermonat der Elternzeit gekürzt werden.

Allerdings traf das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom vom 17. Mai 2011 (Az. 9 AZR 197/10 - Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Saarland, Urteil vom 25. November 2009 - 2 Sa 36/09) keine abschliessende Entscheidung, ob diese Kürzung des Urlaubsanspruchs durch die europarechtskonform ist. Es besteht also noch Raum für Streitigkeiten in der Zukunft.

4. Was machen wir aber mit den noch bestehenden Urlaubsansprüchen nach der Kündigung des Arbeitsverhältnisses bis zur endgültigen Beendigung? In der Praxis erfolgt häufig die Erklärung eines Arbeitgebers, den Arbeitnehmer unter Anrechnung auf dessen Urlaubsansprüche nach der Kündigung von der Arbeitsleistung freizustellen.

Diese Erklärung ist nach einer neuen Entscheidung des BAG (Urteil vom 17. Mai 2011 - 9 AZR 189/10 - Vorinstanz: Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil vom 27. August 2009 - 11/18 Sa 1114/08) ist nach den §§ 133, 157 BGB aus Sicht des Arbeitnehmers auszulegen, und zwar nach folgenden Grundsätzen:

Die Freistellung zum Zwecke der Gewährung von Erholungsurlaub erfolgt durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung des Arbeitgebers, denn dieser legt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG den Urlaub zeitlich fest. Allerdings muss insbesondere im Zusammenhang mit der Kündigung diese Erklärung für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennen lassen, in welchem Umfang der Arbeitgeber die Urlaubsansprüche des Arbeitnehmers erfüllen will. Zweifel gehen zu Lasten des Arbeitgebers. Denn als Erklärender hat er es in der Hand, den Umfang der Freistellung eindeutig festzulegen.