Sarah und ihre italienisch-schweizerische Familie in Italien
Habt ihr euch auch schon gefragt, wie es sich als Schweizer-Italo-Familie in Italien lebt? Wie man Ostschweizer Bräuche mit neapolitanischen Sitten verbindet? Worin sich der Familienalltag im “Land der Bambini” von demjenigen in der Schweiz unterscheidet?
Sarah Coppola-Weber wird uns an ihrem turbulenten italienischen Alltag teilhaben lassen und uns als “Auslandkorrespondentin” in regelmässigen Abständen über ihre Familienabenteuer in Italien berichten. Wir freuen uns sehr, gemeinsam mit Sarah und ihrer Familie einen Einblick in eine Art “spiegelverkehrte Familienwelt” zu unserer hier in der Schweiz zu erhalten!
Sarah ist gebürtige Ostschweizerin mit italienischem Pass und lebt mit ihrem neapolitanischen Ehemann, ihren zwei Töchtern (14 und 11) und ihrem Sohn (7) seit 17 Jahren im Belpaese, ziemlich genau in der Mitte von Bodensee und Amalfiküste, in der Nähe der Stadt La Spezia und einen Katzensprung von den weltbekannten Cinqueterre entfernt.
Sarah ist schreibend, lehrend, lernend, staunend und stets leidenschaftlich und engagiert unterwegs und beschäftigt sich hauptsächlich mit Familien- , Gesundheits- und Ernährungsthemen. Als gefehlte Hebamme und angehende Doula schreibt sie liebend gerne über Schwangerschaft und Geburt und wird für uns in regelmässigen Abständen berichten, wie es sich in „Bella Italia“ so lebt, wo der Ausnahmezustand oft an der Tagesordnung und von „dolce far niente“ keine Spur ist!
Wir heissen Sarah als unsere erste “festangestellte” Gastbloggerin herzlich willkommen und freuen uns, sie euch mittels nachfolgendem spannenden Interview vorstellen zu dürfen:
Sarah, erzähl uns etwas über dich: Wo bist du geboren, aufgewachsen, zur Schule gegangen und wie ist deine Liebe zu Italien entfacht?
Geboren, aufgewachsen und zur Schule gegangen bin ich in einem Dorf am Bodensee, unweit der Stadt St.Gallen, doch ab der Teenie-Zeit begann mein Herz für Italien zu schlagen: „Schuld“ waren daran nicht zuletzt drei Tanten – eine lebt im Tessin, die andere in Norditalien und die dritte steckte mir eine Kassette von Zucchero zu, deren Texte nicht nur mitsingen, sondern auch verstehen wollte. Meine Freude am Belpaese war so gross, dass sie mir nicht einmal von der stets missgelaunten und mürrischen Italienischlehrerin während der Frühstunde im Fach Italienisch, das um 6.55 (!) begann, vergällt wurde. Nach der Schulzeit verbrachte ich dann ein wunderbares Au Pair Jahr in Lugano.
Wie hat es dich nach Italien verschlagen? Nach Ligurien?
Mit einer Freundin plante ich Osterferien in den Cinqueterre. Eine andere Freundin gab mir die Nummer ihres Bruders, der vor Ort lebte und uns mit Insidertipps auf die Sprünge helfen konnte und uns gerne Gesellschaft leistete. Es würde zu romantisch tönen, dass uns Amors Pfeil auf der legendären Via dell’Amore zwischen Riomaggiore und Manarola getroffen hat, aber fast so war es.
Was war/ist der grösste Unterschied zwischen dem Italien aus den Ferien/Aufenthalten und dem Italien als Wohnsitz?
Man muss sich früher oder später mit äusserst komplexer Bürokratie herumschlagen, die einen oftmals zur Verzweiflung treibt. Als ich zu meinem Mann zog, musste er fürs Ausländeramt einen handgeschriebenen Brief verfassen, dass er zur Not finanziell für mich aufkommen würde. Und bei der Polizei deklarieren, dass ich nun mit ihm zusammenlebe. Die Polizei kontrolliert das persönlich und klingelt unangemeldet an der Haustür. Übrigens auch dann, wenn man den Wohnsitz wechselt.
Wie empfindest du als Schweizerin die italienische Sprache, die Kultur, die Menschen? Worin sind wir uns ähnlich, worin total unterschiedlich?
Die Sprache ist sehr blumig, und in Italien „lebt“ alles, alles ist ständig in Bewegung. Das, was heute fix ist, ist morgen schon ganz anders. Wenn man das Haus verlässt, weiss man nie, was auf einen zukommt und welche Hürden man zu überwinden hat. Auch die Menschen sind so: Verbindlichkeit ist für viele ein Fremdwort.
Was vermisst du an der Schweiz in Bezug auf das Leben, das Arbeiten?
Bezüglich Arbeit mehr Chancen und mehr Möglichkeiten, kreative Projekte zu verwirklichen, eine gute Idee arbeits- und wettbewerbsfähig zu machen. Vor allem für Junge und Freischaffende. Was ich am alltäglichen Leben am meisten vermisse, ist die Infrastruktur. In unserer Gemeinde gibt es keine einzige benutzbare Turnhalle mehr. Die eine wird derzeit renoviert und für die andere fehlt das Geld, um Hand anzulegen. Auch die Spielplätze sind teilweise mager, oft muss man weite Strecken zurücklegen, um zu einem tollen Spielplatz zu gelangen. Von Hallenbädern und anderem „Luxus“ ganz zu schweigen.
Welche Rolle, welche Bedeutung, welchen Status haben Eltern, Mütter/Väter, die Familie, Kinder in Italien?
Beide Elternteile sind oft berufstätig, mit einem Lohn kommt man in Italien kaum mehr durch. Somit werden die Kinder oft von den Grosseltern betreut oder werden schon früh ins „nido“ (Nest), die Kinderkrippe geschickt. Die Familie hat einen hohen Stellenwert, auch wenn sich dieser in den letzten Jahren ein wenig vermindert hat. Es gibt auch hier immer mehr Patchwork-Familien, die Scheidungsrate liegt bei über 50 Prozent. Auch betreffend Geburtenrate wurde ein historisches Tief verzeichnet – in vielen Familien gibt es Einzelkinder. Die Kinder haben nicht jenen hohen Stellenwert, wie es von aussen den Anschein macht, es wird wenig in ihr allgemeines Wohlbefinden investiert. Nur schon, was die Familienzulagen anbelangt: Oft reichen diese nur für eine Packung Windeln.
Was denkst du ist anders am Familienleben, am Elternsein in Italien als in der Schweiz?
Man muss sich alles selber suchen, sämtliche Freizeit- und Sportangebote. Es gibt keine Verzeichnisse, Webseiten sind oft nicht aktuell. Also erfährt man von spannenden Anlässen durch Mundpropaganda und über sieben Ecken.
Wann bist du eine Schweizer Mutter, wann eine italienische?
Eine Schweizer Mutter bin ich dann, wenn es um Feierabend geht – das Wort existiert nämlich im Italienischen überhaupt nicht! Bringt man mich auf die Palme, kommt hingegen mein ganzes südländisches Temperament zum tragen.
Wie gibst du deine Schweizer Werte an deine Kinder weiter? Wie lebt ihr das Schweizersein in Italien?
Wir versuchen, den Kindern Werte wie Verbindlichkeit, Pünktlichkeit, Akzeptanz und Toleranz vorzuleben. Doch sooo schweizerisch fühlen wir uns nicht, da wir alle fünf beide Pässe haben und mein Mann Süditaliener ist. Wäre er ebenfalls Schweizer Herkunft, wäre das sicher anders.
Was sollen deine italienischen Kolumnen in der Schweiz bewirken? Weshalb möchtest du uns aus deinem Leben erzählen?
Ich möchte einen unverschönten Blickwinkel auf das Alltagsleben in Italien bieten, das mit „dolce far niente“ nichts am Hut hat. Und dass es manchmal so skurrile Begebenheiten gibt, die man kaum glauben kann, wenn man sie nicht selber erlebt. Von einem Moment auf den anderen herrscht Ausnahmezustand. Ich möchte wohl die beide Länder ein wenig auf die Schippe nehmen, aber stets mit Respekt und Augenzwinkern, ich fühle mich beiden verbunden, auch wenn ich bald länger in Italien lebe als ich in der Schweiz gelebt habe.
Was sollte ich dir bei einem Besuch aus der Schweiz mitbringen?
Butter!!! Italienische Butter hat keinen Geschmack…
Vielen Dank, Sarah, für das interessante Interview! Wir freuen uns jetzt schon sehr auf deinen ersten Beitrag zum Thema “Back to school in Italien”!
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