Netzurlaub

Sechs Wochen lang kein Internet. Allenfalls sporadisch ein kurzer Blick hinein in irgendeinem Internetcafe oder bei einem Freund. Eine Geschichte mit bemerkenswertem Erkenntnisinhalt, die ich freiwillig wohl kaum zu erleben bereit gewesen wäre

Denn anfangs war’s nicht einfach. Täglich Stunden lang im Nachrichtendschungel auf Beutefang umherzustreifen, gelegentlich sogar auf einen kleinen Schatz zu stoßen, eine lieb gewonnene Gewohnheit. Und ja, gefehlt hat es mir schon. Aber nur sehr kurz. Anstatt zitternd und deprimiert am Bildschirm fast schon live mitzuverfolgen, wie der dritte Weltkrieg, entfacht in Syrien, unausweichlich schien – Kerzenlicht, Mozart, ein paar gute Romane. Anstatt zu erleben, wie die Welt hilflos einem zunehmend desolateren Zustand entgegentaumelt, las ich unter anderem Walter Moers, raste ich durch dunkle Tunnel, tausende Meter unter der Erde, durch riesige Hallen und über endlose Abgründe hinweg. Vor meinem inneren Auge entstanden Kristallhöhlen aus reinem Diamant, aus Smaragd und Saphir. Ich habe mir vor Lachen auf die Schenkel geklatscht, mit offenen Augen geträumt und mich gegruselt wie ein kleiner Junge.

Die Tiefsee habe ich erkundet, interessantes über marine Ökosysteme gelernt, zwischendurch mal eine belanglose Autorenbehauptung mit dem Taschenrechner widerlegt und mir wilde Schlachten mit fremden Spezies geliefert. Als Leser eines Romans identifiziert man sich mit dem Autor und versetzt sich in seine Sichtweise hinein. Im Netz kann man solch eine Erfahrung allenfalls bestellen, niemals jedoch erleben. Denn das Netz ist nicht das Leben. Es ist noch nicht einmal eine besonders gelungene Abbildung davon. Anstatt uns die Welt anzusehen, sehen wir uns Bilder von ihr an. Okay, das Netz vermittelt enorme Informationsperlen. Die gesamte Menschheit hat durch diese Erfindung einen Bewußtseinsschub erfahren. Die einen mehr, die anderen weniger. Heute begreifen wir besser, wie Macht funktioniert und wie sie missbraucht wird. Zugleich jedoch machen wir uns hierdurch zur schieren Manövriermasse. Den ganzen Tag sitzen die Leute vor der Glotze oder vor dem Bildschirm, werden dabei fast schon molekular überwacht und zudem gesteuert und manipuliert, während ihnen selbsternannte Experten ihre sinnentleerten Satzhülsen um die Ohren hauen.

Bastel- und Spieleläden schließen ihre Tore immer öfter. Kaum jemand spielt mehr Brettspiele mit anderen oder bastelt etwas, einfach nur, weil es schön ist und Spaß macht. Stattdessen kanalisiert das Netz unsere kulturelle Energie, aus der sich unsere Kreativität und Gemeinschaftlichkeit speist. Haben wir früher uninformiert einfach nur gelebt, ist unser Leben heute informierter denn je, aber ungelebt. Denn das Netz bildet nur in einem dünnen Film das wenige ab, was sich von unserer Wirklichkeit dorthin verirrt. Das Netz ist Schein, das Netz ist Matrix. Es vermittelt unschätzbare Dienste, was Information und Kommunikation betrifft, aber es ist nicht die Wirklichkeit. Eben diese verliert man daher zu einem Teil, wenn man sich zu weit in diese Matrix hineinziehen lässt. Es kann daher nicht schaden, wenn ein jeder sein Netzverhalten möglichst ständig im Auge behält und den Rechner oft genug ausschaltet um zu einem Buch zu greifen, einen Spaziergang zu machen oder Freunden einen Besuch abzustatten, gemeinsam zu kochen. Nur das ist Leben.



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